Fürstenfeldbruck:Die Stradivaris unter den Akkordeons

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Nur wenige Instrumente stellt Erich Sokollik pro Jahr her. Ihm geht es um Qualität und Induvidualität. (Foto: Matthias F. Döring)

Erich Sokollik fertigt in seiner kleinen Brucker Werkstatt Instrumente für Professoren und Profis. Für den optimalen Klang experimentiert er unentwegt

Von Paula Kolhep, Fürstenfeldbruck

Beim Spielen blüht er auf, sein ganzer Körper geht in der Bewegung mit, wenn er voller Elan den Balg auf- und zuzieht und seine Finger auf die Tasten und Knöpfe schnellen. 30 Jahre lang war Erich Sokollik als Musiklehrer an der Kreismusikschule Fürstenfeldbruck tätig, er leitete drei Orchester, darunter das Maisacher Akkordeonorchester, welches dreimal den ersten Platz beim World Music Festival in Innsbruck erreichte, und stand auch selbst auf der Bühne. "Ich habe die Ehre gehabt mehrmals im Herkulessaal in München aufzutreten", erzählt er stolz.

Seit langem beschäftigt sich Sokollik neben dem Spielen auch mit der Reparatur der Instrumente. Vor zehn Jahren habe er sich dann gedacht, er wolle ein eigenes Akkordeon auf den Markt bringen. Eigentlich im Ruhestand, fertigt Sokollik, Jahrgang 1943, nun in der Werkstatt im Keller seines Hauses Akkordeons der eigenen Marke "ERISO". Seine Instrumente baue er nicht für zehn oder 20 Jahre, sondern für die Ewigkeit, sagt er. "Und hoffentlich entdeckt das einer nach hundert oder zweihundert Jahren, wenn ich nicht mehr da bin, wie das mit den Stradivaris passiert ist."

Urkunden und Fotos von Konzertauftritten zieren die Wände seiner Werkstatt. Schrauben und Stimmblätter sind in unzähligen Schubladen sortiert, Zangen, Schraubenzieher und weitere Werkzeuge liegen auf dem Tisch. "Ich staune selbst, was ich mit den Jahren angesammelt habe", sagt der Akkordeonbauer Erich Sokollik. Als sehr pedantischen Mensch beschreibt Sokollik sich selbst. Beim Akkordeonbau legt er großen Wert darauf, dass alles korrekt und genau gefertigt wird. Deshalb sind seine Instrumente auch keine schnell gefertigten Massenprodukte. "Ich bin Individualist", sagt er. Der Bau des kleinsten Modells dauert drei Monate, das größte Modell dauert sogar ein Jahr zur Fertigstellung. Aus bis zu 3000 Einzelteilen baut er die Akkordeons zusammen, da viele Teile sehr klein sind, kommt ihm seine ruhige Hand gelegen. "Da zittert nichts", sagt er und hält zum Beweis einen Schraubenzieher vollkommen still in die Luft.

Seine Kunden können sich das Instrument individuell zusammenstellen lassen. Einer habe sich mal ein Akkordeon ganz in schwarz gewünscht, sogar die eigentlich weißen Tasten, auch solche Sonderwünsche setzt Sokollik um. Seine Klientel orientiere sich an Qualität, sagt er. Es setze sich aus Professoren, Studenten, Profimusikern und angehenden Musikern zusammen. Von der Qualität seiner Produkte ist Sokollik überzeugt. Einmal habe er einen Gola-Spieler getestet, ob er die Gola von seinem selbstgebauten Vollholzinstrument unterscheiden kann. Eine Gola der Firma Hohner sei das Äquivalent zur Stradivari-Geige, sagt Sokollik. "Ich baue auch so ein tolles Instrument." Dem Musiker spielte er abwechselnd auf den beiden Instrumenten vor, ohne dass dieser sah auf welchem. Mehrmals glaubte er seine Gola zu erkennen, wenn Sokollik auf seinem Instrument spielte. "Der war so enttäuscht," sagt er.

Die musikalische Neigung zeigte sich bei dem Akkordeonbauer mit absoluten Gehör schon früh. Angefangen hat er mit fünf Jahren auf der Mundharmonika. "Dein Sohn ist musikalisch", habe sein Onkel, selbst Akkordeonspieler, zu seiner Mutter gesagt. Blasinstrumente spielt Sokollik heute nicht mehr, dafür jede Art von Schlagwerken, wie Xylofon, Vibrafon und sämtliche Trommelinstrumente, Klavier und natürlich das Akkordeon. An der Hindenburger Fachakademie legte er 1967 die Diplomprüfung im Fach Schlagzeug ab, da Akkordeon nicht angeboten wurde. Später legte er am Richard-Strauss-Konservatorium in München die Zusatzprüfung im Fach Akkordeon ab. Seit 1983 ist er geprüfter Handzuginstrumentenbauer der Handwerkskammer München.

"Ich bin ein Tüftler", beschreibt Sokollik sich selbst. Auch nachts lässt ihn die Faszination für die Handzugmacherei nicht los. Dann wache er auf und müsse sich die Ideen notieren, die ihm Schlaf gekommen seien. 2015 ließ er sich die geräuschlose Bassmechanik, die er für seine Instrumente entwickelt hat, patentieren. Damit gebe es die metallischen Nebengeräusche, die nur beim schnellen Stakkato-Spiel zu hören seien, nicht mehr. Techniker hätten diese Geräusche bei professionellen Aufnahmen im Tonstudio bemerkt. Immer weiter tüftelt Sokollik, in einen weißen Kittel gekleidet, an seinen Akkordeons und suchtständig nach Verbesserungen. So viel Modifikation wie das Akkordeon habe wahrscheinlich kein anderes Instrument erlebt, sagt er. "Und wir sind immer noch nicht fertig. Ich hoffe, dass noch sehr viel Zeit für mich übrig bleibt, um das zu verwirklichen."

Die Stimmstöcke, die in den Akkordeons verbaut werden, lackiert er von Hand. Den Lack lässt er aus Asien liefern, weil nur der auf Naturbasis ohne chemische Zusätze und damit geruchlos sei. Die meisten Bauteile bezieht Sokollik von einem italienischen Lieferanten. "Ich picke mir die reifen Weintrauben raus und verbaue sie in meine Instrumente", sagt er. Bei seinen Arbeiten experimentiert Sokollik immer wieder mit verschiedenen Materialien, unter anderem verwendet er Fischleder. "Die Materialien entscheiden nicht nur das Design, sondern den Klang des Instruments", sagt er. Seine Akkordeonmodelle tragen die Namen von Inseln: Malta, Hawaii oder Elba. Sein erstes selbsthergestelltes Instrument sei ein Vollholzinstrument gewesen, das er "La Digue" nannte, nach einer Insel im Indischen Ozean, die er als "Paradiso auf der Erde" bezeichnet. Das Holz der Palmen auf der Insel habe ihn dazu inspiriert. Das Instrument sei "seine Stradivari", sagt er, die berühmten Geigen sind Vorbild und Inspiration für ihn.

"Das Akkordeon ist ein sehr vielfältiges Instrument", sagt er. Für die Anerkennung dieser Vielseitigkeit kämpft Sokollik. Leidenschaftlich spricht er über das Instrument und pocht auf den Tisch, sein Herzblut für das Akkordeon wird dabei deutlich. Man solle sich nicht nur auf eine Richtung versteifen, deshalb spielt er Klassik, Jazz, Operettenmusik und auch Arien auf dem Instrument. Würde man zum Beispiel nur Bach spielen, sei die Präsentation der Klangfarbe nicht erschöpft. "Die Musik macht mich glücklich und ich hoffe, dass die Musik, die ich präsentiere, andere Menschen glücklich macht." Ob er heute so glücklich mit seinem Leben sei, wenn er seine Musik nicht gemacht hätte, wisse er nicht.

© SZ vom 19.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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