Fürstenfeldbruck:Die Schönheit nach der Apokalypse

Haus 10

Der Fotograf Tom Schmid ist auf die Äußeren Hebriden gereist. Dort hat er Häuser fotografiert, die von ihnen Besitzer verlassen wurden und die nun wieder mit der Natur verschmelzen.

(Foto: Günther Reger)

Eine beeindruckende Ausstellung im Haus 10 zeigt Szenarien, in denen die Natur die Welt zurückerobert

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Wie würde die Welt aussehen, wenn - aus welchem Grund auch immer - die Menschen plötzlich aus ihr verschwinden? Wenn die Natur den Planeten wieder zurückerobert? Mit diesen Fragen beschäftigen sich die Bilder der aktuellen Ausstellung im Haus 10 mit dem Titel "Gras im Asphalt". Das ist verstörend, hoch politisch und letztlich sehr befreiend.

Der Maler Karl Witti beschäftigt sich schon seit zweieinhalb Jahrzehnten mit diesem Thema. Dafür vermischt er Realität mit Mythologie, schafft Bilder, die wie gestörte Traumwelten scheinen, stets grün, bunt, lebendig. Und doch sind sie alle bedroht von etwas Aggressiv-Zivilisatorischem, meist in Form eines oder mehrerer massiver Betonteile. Auf den ersten Blick ist nicht klar, ob es die Zivilisation ist, die die Natur zurückdrängt oder umgekehrt. Und doch lässt sich immer ein Schimmer der Hoffnung erkennen, entsteht ein Gefühl der Zuversicht, dass es am Ende die Natur ist, die sich durchsetzen wird.

Einige von Wittis Bildern wirken dabei wie Skizzen für Einstellungen aus Post-Apokalypse-Filmen, etwa wenn er eine Autobahn zeichnet, mit aufbröckelndem Asphalt, verlassen steht ein Auto auf einer Spur. Fledermäuse flattern auf den Betrachter zu. Und dann gibt es noch einen Menschen, einen Überlebenden offenbar, aber keinen Actionhelden, der irgendetwas rettet. Vielmehr ist er schon gerettet, hat gerettet, es ist der heilige Hieronymus, vor ihm der Löwe, dem er eine Dorne aus dem Zeh gezogen haben soll und der ihn deshalb treu begleitet. Solche wilden Tiere tauchen immer wieder in Wittis Bilder auf, also animalischer Teil des Rückeroberungsprozesses.

Während Witti ausschließlich Fantasie-Welten zeigt, bildet der Fotograf Tom Schmid die Realität ab - dafür hat er sich an den Rand der europäischen Zivilisation begeben, zu den Äußeren Hebriden im Westen Schottlands. Zwei Wochen hat er dort verbracht, im Dezember 2013. Und er hat Häuser gefunden, die längst nicht mehr bewohnt sind, sich in verschiedenen Stadien des Verfalls befinden. Die Menschen haben sich dort freiwillig zurückgezogen, sind in die Städte abgewandert. Was bleibt, sind mächtige Gemäuer, die eine Patina entwickeln und die langsam zuwachsen. Wie ähnlich sie der rauen, steinigen Landschaft der Inseln so, wird anhand der Naturaufnahmen deutlich, die Schmid dazustellt.

Im Vorfeld der Ausstellung waren auch Schüler dazu aufgerufen worden, auf die Suche zu gehen nach Orten, die sich die Natur von der Zivilisation zurückholt. Davon haben sie tatsächlich einige gefunden, die Fotos werden in der Ausstellung gezeigt. Die Besucher dürfen ihr Lieblingsbild küren.

Der Untertitel der Ausstellung lautet "Künstlerische Reflexionen über die sanften Potenziale der Natur". Mit diesem Aspekt beschäftigen sich die Werke von Pila Sippel und Doris Trummer. Sippel zeigt Mobiles aus gesammelten Pflanzenteilen und Dingen, die Menschen weggeworfen haben. Dadurch bekommt der "Müll", sei es ein Plastikeislöffel, Stofffetzen oder das Drahtgestell eines Sektkorkens, eine ganz eigenen Schönheit. Trummer fertigt Kleidungsstücke aus Naturmaterialien. Beeindruckend filigran gelingt es ihr, etwa aus Löwenzahnsamen kleine Pullover zu fertigen oder Hüte aus Wespennestern. Reine Natur also, die ganz unbearbeitet zum Gebrauchsobjekt wird.

Ausstellung "Gras im Asphalt", Haus 10, Kloster Fürstenfeld, Eröffnung, Freitag, 22. September, 19.30 Uhr. Danach zu sehen bis 8. Oktober, jeweils freitags 16 bis 18 Uhr und samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr

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