Süddeutsche Zeitung

Bundesfreiwilligendienst:Die Helfer bleiben aus

Vier Jahre nach Abschaffung des Zivildienstes fehlen Bewerber für den Bundesfreiwilligendienst. Die Einrichtungen hoffen nun darauf, dass sich nach der Verteilung der Studienplätze noch welche finden. Ansonsten müssen sie Personal einstellen

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Sie sind die Nachfolger der Zivildienstleistenden und arbeiten in Krankenhäusern und Pflegeheimen, in Kindergärten, bei Jugendverbänden oder Sportvereinen - die Bundesfreiwilligen. Ihr Dienst beginnt im September, spätestens im Juli, wenn das Schuljahr zu Ende geht, sehen sich die Bewerber nach Plätzen um und die Einrichtungen warten darauf, dass sich Interessenten melden. In diesem Sommer ist es anders. Viele Einrichtungen tun sich schwer, Leute für den Bundesfreiwilligendienst zu rekrutieren.

"So zäh war die Nachfrage noch nie", sagt Andrea Szabo, die Geschäftsstellenleiterin des Germeringer Vereins Hilf, der junge Leute vermittelt, die ein körperlich oder geistig behindertes oder ein autistisches Kind in seinem Alltag an einer Regel- oder Förderschule im Raum München begleiten. Die Bewerbungen kommen deutlich spärlicher als sonst. "Dabei ist das eine schöne Tätigkeit. Die jungen Leute nehmen so viel mit", sagt Szabo. Auch Thilo Wimmer ist überrascht, dass er bisher nur einen neuen Bundesfreiwilligen an der Hand hat. Wimmer ist Fachdienstleiter für die Caritas-Kontaktstelle für Menschen mit Behinderung. Um die zehn Bundesfreiwillige hatte er in den vergangenen Jahren im Einsatz, davon sechs bis sieben in der Kontaktstelle selbst. So hat er auch heuer kalkuliert.

Doch warum bleiben die Freiwilligen auf einmal aus? Wimmer vermutet, dass gerade nach dem doppelten Abiturjahrgang 2011 und den damit verbundenen überfüllten Studiengängen viele junge Menschen erst einmal "ein Jahr drangehängt haben". Aber dieser Effekt wirke jetzt wohl nicht mehr. Auch Andrea Szabo hat den Verdacht, dass der Zivildienst, der den Einrichtungen früher die Helfer zugeführt hatte, nun schon zu lange zurückliegt. 2011 wurden Wehr- und Zivildienst abgeschafft. Dabei heißt es im Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, das dem Bundesfamilienministerium unterstellt ist, dass der Bundesfreiwilligendienst (BFD) eine "echte Erfolgsgeschichte" sei, wie dessen Sprecher Peter Schloßmacher sagt. Knapp 35 000 Bundesfreiwillige waren demnach im Juli 2015 im Dienst, im Jahresdurchschnitt 2014 waren es 42 800. Im Landkreis sind es derzeit 26 Frauen und 29 Männer, bis auf einen sind alle jünger als 27 Jahre.

In der Caritas-Kontaktstelle benötigt man die Bundesfreiwilligen vor allem im familienentlastenden Dienst und für Freizeitangebote für Menschen mit und ohne Behinderung. "Sie lernen bei uns eine Menge an Sozialkompetenz", sagt Wimmer. Dabei sei es hilfreich, dass die jungen Menschen zumeist "ganz unbedarft" an die Aufgabe herangingen und "nicht alles pädagogisiert wird". Beim Verein Hilf möchte man gerne schon jetzt wissen, wer die Kinder im neuen Schuljahr übernimmt, denn normalerweise absolvieren die neuen Bewerber bereits im Juli drei Probetage. Dabei wird ausgelotet, ob die Zweier-Teams zueinander passen. Die Schulbegleiter sollen Unterstützung beim Umsetzen schulischer Aufgaben als auch beim Erlernen alltagspraktischer Fähigkeiten geben. Es fehlten vor allem junge Männer als Bewerber, sagt Szabo. Die würden gerade für männliche Jugendliche in der Pubertät benötigt.

Auch das Bayerische Rote Kreuz (BRK) hat für das neue Schuljahr erst zwei Bewerbern zusagen können. Sieben Kandidaten werden noch gesucht. "Das ist dieses Jahr recht zögerlich", bestätigt der Kreisverbandsvorsitzende Rainer Bertram. Das BRK braucht vor allem volljährige Bewerber, denn Minderjährige dürften zum Beispiel nicht im Rettungsdienst eingesetzt werden, erläutert Bertram. Außerdem sollten die jungen Leute den Führerschein besitzen, weil sie auch im Fahrdienst oder Krankentransport gebraucht werden oder "Essen auf Rädern" ausliefern.

Beim Kreisjugendring (KJR) gibt es für die Freiwilligenstelle bereits einen Nachfolger. "Wir sind sehr froh, dass wir jemanden haben, der auch länger da ist", sagt Geschäftsführer Thomas Boll. Der Freiwilligendienstleistende ist vollständig ins Team eingebunden, hat einen eigenen Schreibtisch mit Computer und eigenem E-Mail-Zugang. "Es ist uns ein großes Anliegen, dass die Bundesfreiwilligen als vollwertige Mitarbeiter betrachtet werden", so Boll. Mit einem Freiwilligen komme man ganz gut über die Runden, früher hatte der KJR allerdings drei bis vier Zivildienstleistende. Doch auch das ist schon passiert: dass Boll einer Kandidatin absagen musste, weil sämtliche Plätze, für die der Bund eine Finanzierung bereit hält, schon vergeben waren.

Bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo) verzichtet man indes auf die Hilfe durch die Bundesfreiwilligen. Viele Bewerber wollten kein komplettes, sondern nur ein halbes Jahr machen, erzählt die Kreisvorsitzende Karina Werner: "Das ist für uns aber uninteressant." Die Awo braucht die Helfer für ihren ambulanten Pflegedienst, und für die Senioren sei Kontinuität wichtig: "Die alten Menschen erinnern sich sonst nicht mehr an sie oder sind enttäuscht, wenn sie nicht die ganze Woche da sind." Dass die Bundesfreiwilligen insgesamt fünf Wochen auf Seminaren sind und zudem Urlaubsanspruch haben, macht die Organisation Werner zufolge nicht einfacher. Im Gegenteil: Sie sagt, sie käme mit 450-Euro-Kräften besser über die Runden.

Auch die anderen Einrichtungen wie etwa die Caritas werden, falls sich nicht noch genügend Freiwillige finden, festangestelltes Personal für die vakanten Aufgaben einsetzen "oder mehr Akquise für die Ehrenamtsarbeit betreiben müssen", vermutet Thilo Wimmer. Zunächst aber gilt noch das Prinzip Hoffnung: Dass sich jene noch für den Bundesfreiwilligendienst entscheiden, die Anfang August bei der Vergabe der Studienplätze leer ausgeangen sind.

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Quelle:
SZ vom 14.08.2015
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