Fürstenfeldbruck:Die gespaltene Persönlichkeit

Was macht eine Schauspielerin, wenn in der Pandemie die Theater geschlossen bleiben und auch alle anderen Aufträge abgesagt werden? Sie schlüpft in eine zweite Rolle jenseits der Bühne. Christina Schmiedel aus Fürstenfeldbruck half mit beim Aufbau von Corona- Schnelltestzentren

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Natürlich muss eine gute Schauspielerin in der Lage sein, in jede Rolle zu schlüpfen. Aber dass sie mal mit dieser doch recht profanen "Verkleidung" auftreten würde, konnte sich Christina Schmiedel doch nicht vorstellen. Aber das reale Leben schreibt eben Drehbücher mit überraschenden Wendungen. Und so wurde aus der Schauspielerin und Sängerin die Mund-Nasenschutz tragende Managerin von Corona-Schnellteststationen. Eine gespaltene Persönlichkeit im besten Sinne - zunächst wider Willen und aus der Not geboren. Schmiedel hofft, dass die Pandemie sich als Episode erweist und irgendwann der Vorhang fällt. Gleichwohl könnte sie sich vorstellen, die Erfahrungen als Unternehmerin weiter zu nutzen.

Die 36-jährige gebürtige Oberpfälzerin ist ein Energiebündel, extrovertiert, kommunikativ, ausdrucksstark. Fähigkeiten, die man auch im Leben jenseits der Bühnen gut gebrauchen kann. Auf der Habenseite: Musicalstudium in Osnabrück, Schauspielstudium in München (mit dem bemerkenswerten Abschluss "Staatlich anerkannte Berufsfachschauspielerin"), Zusatzqualifikation Improvisationstheater. Und ein weiter künstlerischer Horizont. Bei "Impro macht Schule" trainiert sie Jugendliche, auch in der Mittelschule Nord. Weil die freiberufliche Schauspielerei immer schon ein hartes Brot war, coacht sie Mitarbeiter von Unternehmen wie Hotels oder Banken, unterweist sie in Sprachtechnik und Teambuilding. "Damit habe ich mir die Schauspielerei verdient", sagt Schmiedel. Jedes Jahr spielt sie um die sechs Theaterstücke. Dazu kommen gut 30 Improtheater-Termine - mit den Gruppen Bühnenpolka und Mixxit. Sie ist fest verwurzelt in der Münchner Szene und auch in Fürstenfeldbruck, wo ihr Mann Alexander die Neue Bühne Bruck leitet. Seit vier Jahren ist Christina Schmiedel zudem Mitglied des Teams der historischen Stadtführungen.

Fürstenfeldbruck: Maskierung - künstlerisch: Als Filippo Balatri stimmt Christina Schmiedel bei einer historischen Stadtführung im alten Gewölbe auf dem Gelände des Klosters eine Arie an.

Maskierung - künstlerisch: Als Filippo Balatri stimmt Christina Schmiedel bei einer historischen Stadtführung im alten Gewölbe auf dem Gelände des Klosters eine Arie an.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Und dann kommt Corona. Das Leben steht still, die Schauspielerei fällt in einen Dornröschenschlaf. Für freiberufliche Künstler, aber auch Unternehmens-Coachs bedeutet dies: kein Engagement. Kein Geld. Absagen von langjährigen Auftraggebern, wenn auch "mit den besten Grüßen". Gleichzeitig bedeutet es für die Mutter von drei fünf, sieben und zwölf Jahre alten Kinder, dass nun die ehrenamtlichen Fähigkeiten als Kinderbetreuerin und Lehrerin gefragt sind. Was das bei den Schmiedels bedeutet? "Einen Spagat, teilweise mit fünf Menschen an Computern", sagt Christina Schmiedel. Einmal, als sie auf dem Weg zu einem der wenigen verbliebenen Aufträge ist, wird das Homeschooling in den Kleinbus verlegt.

Jenseits des Finanziellen ist da auch diese große Leere. Spielen, proben, Texte studieren - alles weg. Und dazu die Ungewissheit, wie lange das noch geht. Manchmal scheint es so, als könne es ein neues Projekt geben. Und dann folgt doch wieder die Absage. Im März 2021, als die Ersparnisse fast aufgebraucht sind, fasst Schmiedel den Entschluss, die Sache in die eigene Hand zu nehmen. Gemeinsam mit Freunden, die in der Gastronomie arbeiten und IT-Spezialisten denkt sie darüber nach, wie man die Voraussetzungen für die Öffnung von Theatern und Restaurants schaffen könnte. Schnelltests als Eintrittskarten, wäre es das nicht? Was zunächst wie ein "verrücktes Projekt" klingt, nimmt Gestalt an. Zwei Ärzte werden gewonnen, und viele Freunde und Bekannte, Leidensgenossen und "allein erziehende Mamas" oder Studenten erhalten wieder eine wirtschaftliche Perspektive.

Das Leitungsteam aus Softwareentwicklern, Medizinern und der "Energiebombe" Schmiedel "rüttelt sich zusammen". Es beginnt im April mit einer Schnellteststation in Fürstenfeldbruck und wächst "in einem krassen Tempo" an auf 15 Stationen in den Landkreisen Fürstenfeldbruck, Starnberg und Weilheim - mit bis zu 110 Mitarbeitern, die meisten in Teilzeit. Für Christina Schmiedel geht es von null auf hundert: Siebentagewoche, 16 Stunden am Tag - "eigentlich absoluter Irrsinn, wie die verrückte Premiere eines großen Theaterstücks". Anfangs kämpft man mit Provisorien, mit Kälte, Schnee und Hagel, organisiert Schulungen und Heizlüfter, sammelt den über den Parkplatz gewehten Pavillon wieder ein. In den Pfingstferien werden unzählige Urlauber durchgeschleust.

Mit sinkenden Inzidenzen sinkt die Nachfrage wieder. Aus fünf Stationen in Fürstenfeldbruck werden drei, irgendwann werde wohl nur noch die erste, die in Fürstenfeld, übrig bleiben. Christina Schmiedel hat wieder etwas mehr Zeit nachzudenken. Sie hat in Köln eine Zusatzausbildung als Stimmtrainerin begonnen, kann sich aber gut vorstellen, ihre Erfahrungen im Aufbau von Teams weiter einzusetzen für Projekte in der Wirtschaft. Eins aber ist klar: Es ist ein weiteres Standbein, aber mitnichten der Ersatz für den Auftritt vor Publikum, das Lampenfieber, den spontanen Applaus.

Das Improvisationstheater "Impro macht Schule", das von Christina Schmiedel vor zehn Jahren mit aufgebaut worden ist, wird an diesem Montag von Landtagspräsidentin Ilse Aigner mit dem Bayerischen Integrationspreis ausgezeichnet. Das Projekt richtet sich vor allem an Mittelschüler.

Fürstenfeldbruck: Maskierung - notgedrungen: Mundschutz ist Pflicht bei der Arbeit im Schnelltestzentrum auf dem Parkplatz des Veranstaltungsforums.

Maskierung - notgedrungen: Mundschutz ist Pflicht bei der Arbeit im Schnelltestzentrum auf dem Parkplatz des Veranstaltungsforums.

(Foto: privat)
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