Fürstenfeldbruck:Der Untergang Griechenlands

Paul Kleiser

Kapitalismus-Kritiker: Pauls Kleiser.

(Foto: Günther Reger)

Politologe gibt Deutschland mit Schuld am Verfall des EU-Staates

Von Karl-Wilhelm Götte, Fürstenfeldbruck

"Griechenland im Würgegriff - ein Land an der EU-Peripherie wird zugerichtet": Dieser Buchtitel passt nicht zur üblichen Sichtweise hierzulande. Herausgegeben hat es Paul Kleiser, der am Donnerstag auf Einladung vom Sozialforum Amper rund 30 Zuhörern im Eine-Welt-Café die Griechenland-Krise aus seiner Sicht erläuterte. Das Sozialforum selbst ruft dazu auf, die dort unterversorgten Menschen mit Medikamenten zu unterstützen. Dazu hat die Initiative Sammelstellen in Bruck eingerichtet.

Die Griechen könnten sich teure Medikamente nicht mehr leisten. Das habe damit zu tun, dass etwa 30 Prozent der Griechen, weil sie ihre Arbeit verloren hätten, keine Krankenversicherung mehr haben. "30 bis 40 Prozent sind in Not", so Kleiser, also drei bis vier Millionen Menschen. Viele Griechen, die noch Arbeit hätten, bekämen ihren Lohn häufig erst Monate später. Kleiser wandte sich gegen das weit verbreitete Vorurteil in Deutschland, dass die "faulen Griechen" sich ihren Lebensstandard von der EU bezahlen ließen. "Die Deutschen arbeiteten durchschnittlich etwa 1400 Stunden pro Jahr, die Griechen 2050 Stunden", führte der Münchner Politologe als Vergleich an.

Kleiser sprach "von der Krise der weltweiten kapitalistischen Verhältnisse", die große Armut auf der einen und enormen Reichtum auf der anderen Seite geschaffen habe. "Ein Prozent der Menschheit besitzt so viel wie die anderen 99 Prozent zusammen." Besonders die deutsche Produktivität, die mit verhältnismäßig niedrigen Löhnen erreicht wird, gehe zu Lasten der anderen EU-Länder und besonders der Staaten an ihrer Peripherie wie Griechenland, Spanien und Portugal. "Das Plus der einen ist das Minus der anderen", kommentierte der 65-Jährige den Exportüberschuss Deutschlands von zuletzt 217 Milliarden Euro pro Jahr. Die Griechen müssten auch zur Versorgung von 18 Millionen Touristen jährlich 70 Prozent ihrer Lebensmittel importieren und dafür Schulden machen.

Zunächst hätten mit der Einführung des Euros die Wachstumsraten in Griechenland geboomt. "Sie lagen bei vier bis sechs Prozent", erläuterte Kleiser. 208 Milliarden Euro Kredite seien vergeben worden, 40 Prozent davon von französischen und deutschen Banken. Damit habe Griechenland auch große Infrastrukturmaßnahmen finanziert wie die Autobahn im Norden, die Bauten für die Olympischen Spiele in Athen oder den dortigen Flughafen. Die Krise Griechenlands habe auch mit dem Einbruch des Welthandels um 30 Prozent im Jahre 2009 zu tun. Die 700 griechischen Reeder oder "Handelskapitalisten", so Kleiser, die mit 5000 Schiffen 18 Prozent des Welthandels abwickeln würden, traf die Krise und viele der 500 000 Beschäftigten. Kleiser kritisierte die verordneten Sparmaßnahmen: "Diese Austeritätspolitik, also Haushaltskürzungen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, hat schon Deutschland 1930 in die Katastrophe geführt." Ministerpräsident Alexis Tsipras musste mit der "Pistole an der Schläfe" ein Sparprogramm unterschreiben, das auch den Verkauf des Staatsbesitzes vorsehe. Die Fraport, das Unternehmen, das den Frankfurter Flughafen betreibt, wolle 14 Flughäfen billigst für eine Milliarde Euro erwerben. Kleiser: "Deutschland und Frankreich machen mit ihrer Dominanz dort alles platt."

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