Süddeutsche Zeitung

Fürstenfeldbruck:Debatte über umstrittene Straßenpatrone

Die Mehrheit der Anwohner wollen die Namen behalten. Aber zusätzliche Tafeln sollen an die NS-Verstrickungen Wernher von Brauns und Hindenburgs erinnern

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Die Mehrheit der Anwohner in der Wernher-von-Braun und der Hindenburg-Straße in Fürstenfeldbruck wollen ihre Straßennamen behalten. Allerdings sprachen sich viele dafür aus, über die Missetaten der Patrone vor und während der NS-Herrschaft aufzuklären. Mahnmale oder Infotafeln sollten aufgestellt werden, "gerade in Zeiten, in denen Nazigruppen wieder durch die Straßen ziehen", sagte ein Frau aus der Hindenburgstraße am Donnerstag im Rathaus.

Es war die letzte von vier Informationsveranstaltungen der Stadt für die Anwohner der betroffenen Straßen. Etwa 80 Menschen kamen, darunter ein gutes Dutzend Stadträte. Laut Stadtarchivar Gerhard Neumeier war Wernher von Braun Technischer Direktor der Heeresversuchsanstalt Peenemünde. In dem dortigen KZ-Außenlager arbeiteten die Insassen von 1943 an für Brauns Experimente, ebenso wie im KZ Dora-Mittelbau in Thüringen. Dort starben fast 3000 Häftlinge. Von Braun trat 1935 der NSDAP und 1940 der SS bei, 1943 ernannte ihn Adolf Hitler zum Professor. Paul von Hindenburg war Chef des Generalstabes im Ersten Weltkrieg und überzeugter Monarchist, Antidemokrat und einer der Erfinder der sogenannten Dolchstoßlegende, die das Klima in der Weimarer Republik vergiftete. Demnach seien verräterische Politiker in der Heimat an der deutschen Niederlage schuld gewesen. Der Stadtarchivar schilderte, wie Hindenburg die Etablierung des NS-Regimes unterstützte.

Gerd Spohd, der eine Unterschriftensammlung in der Wernher-von-Braun-Straße initiiert hatte, verwahrte sich dagegen, dessen Werk "nur aus den Dokumenten zu beurteilen". Schließlich habe von Braun in der NS-Zeit "nur den Motor für Raketen" hergestellt. Seinen Angaben zufolge haben sich 55 von 72 Anwohnern gegen eine Umbenennung ausgesprochen. Andere verwiesen auf die Rolle von Brauns als Weltraumpionier, der entnazifiziert und mit vielen Auszeichnung in der Bundesrepublik geehrt worden sei. Der Unternehmer Frank Thurner rechnete vor, dass ihn eine Umbenennung bis zu 5000 Euro kosten würde. Seine Firma sei international tätig. Dritte Bürgermeisterin Karin Geißler (Grüne) widersprach. Sie arbeite selber in einer Software-Firma in München mit ähnlicher Struktur. Etliche Teilnehmer forderten, der Stadtrat solle sich nach den Anwohnern richten. "Mehr Bürgerbeteiligung war doch ein Versprechen der BBV", meinte ein Anwohner unter Beifall. Franz Neuhierl (FW) erinnerte, dass die Bundesrepublik eine repräsentative Demokratie ist. Die Stadträte seien nur ihrem Wissen und Gewissen verantwortlich. Etliche plädierten dafür, die Namensschilder zu belassen, aber in irgendeiner Form auf deren Verwicklung in den Nationalsozialismus hinzuweisen. Eine Bürgerin verwies auf den Informationsweg in der Bad Tölzer Hindenburgstraße. Geschichtliche Ereignisse könnten nicht ungeschehen gemacht werden, die Erinnerung daran sollte nicht verschwinden, sondern Anlass für eine kritische Auseinandersetzung sein, war der Tenor etlicher Wortmeldungen.

Die Hindenburgstraße wurde 1932 vom damaligen Marktgemeinderat so benannt nach dessen Wiederwahl zum Reichspräsidenten, berichtete der Stadtarchivar. Die Verstrickungen von Brauns seien 1977 nicht bekannt gewesen, sagte Jens Streifeneder (BBV), der damals schon im Stadtrat saß. Klaus Wollenberg (FDP) meinte, der Stadtrat habe die Begeisterung über die Mondlandung aufgegriffen. Er habe das als Jugendlicher auch so erlebt und sei deswegen gegen eine Umbenennung. Tatsächlich habe die Forschung jedoch neue Erkenntnisse erbracht, daher sollte man die Straßenschilder um Informationstafeln über die "geteilte Vita" des Raketenbauers ergänzen. Kulturreferentin Birgitta Klemenz (CSU) verbindet mit einem Straßennamen wie Wernher von Braun "eine Beleidigung für diejenigen, die schon vor 1933 wussten, wo es hinläuft, die sich im Dritten Reich anders verhalten und ihr Leben gegeben haben". Es wäre unakzeptabel, wenn die Namen blieben.

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SZ vom 13.06.2016
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