Süddeutsche Zeitung

Fürstenfeldbruck:Debatte über braune Straßennamen verlagert sich ins Netz

Lesezeit: 2 min

In einer Facebook-Gruppe verteidigt ein Großteil der Nutzer die zweifelhaften Patrone - nur ein Stadtrat hält dagegen

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Die Debatte um NS-belastete Straßenpatrone bewegt die Gemüter in Bruck. Eine fraktionsübergreifende Mehrheit hat im Arbeitskreis Straßennamen sowie im Kultur- und Werkausschuss etlichen Namensgebern, darunter dem Wehrwirtschaftsführer Willy Messerschmitt, längst Persilscheine ausgestellt. Abhängen wollten die Stadträte jedoch Namen wie Paul von Hindenburg, Julius Langbehn, Wernher von Braun sowie sechs Wehrmachtshelden. Die werden nun von Anwohnern eisern verteidigt. Die Auseinandersetzungen finden in Bürgerversammlungen und in den sozialen Medien statt. Dabei widerspricht der Einsatz mancher Bürger dem von ihnen mantraartig wiederholten Vorwurf, das ganze Thema sei doch eigentlich völlig überflüssig - und die Mehrheit des Stadtrates duckt sich weg.

Einer der sich stellt, ist Andreas Ströhle von der Piratenpartei. Fast als einziger hält er in einer geschlossenen Facebook-Gruppe dagegen, die von Thomas Lutzeier, dem früheren Grünen-Stadtrat, gegründet wurde und administriert wird. "Es kommen nur die, die dagegen sind. Die anderen, die die Umbenennungen begrüßen, melden sich nicht", sagt Ströhle.

In der Facebook-Gruppe rechnet einer vor, dass 5000 Haushalte in Bruck betroffen wären. Die Kosten lägen im Schnitt bei jeweils 300 Euro und deshalb wären insgesamt 1,5 Millionen Euro zu berappen. Quellen gibt es dafür nicht. Ströhle rechnet vor, dass es in Bruck insgesamt nur etwa 18 000 Haushalte gibt und davon vielleicht 300 betroffen wären, würden zehn Straßen umbenannt. "Ruhig und sachlich antworten", ist seine Devise.

Geduldig erklärt Ströhle, der Aufwand für Anwohner sei geringer als bei einem Umzug, weil man keinen Nachsendeantrag stellen muss. Lutzeier, der schon als Grünen-Stadtrat gelegentlich irrlichterte, behauptet unverdrossen, der Aufwand sei "nicht unerheblich". Als zum x-ten Mal jemand unterstellt, wegen der Straßenpatrone würden andere, viel wichtigere Projekte in Bruck liegen bleiben, gibt Ströhle dann doch mal zurück, dass es wenig spaßig ist, immer wieder auf die gleichen Vorwürfe zu reagieren.

Schockierend ist das Unwissen von Personen, die in der Öffentlichkeit stehen. Da behauptet eine Frau, die sich als Elternbeirätin und Kirchenvorstand engagiert hat, in Bruck würde kein einziger SS-Offizier als Straßenpatron geehrt und macht Leonhard Plonner zum Nazi-Bürgermeister. Wernher von Braun war Sturmbannführer, was dem Rang eines Majors entspricht, und Bürgermeister während der NS-Zeit war Adolf Schorer. Der Kulturreferent und Wirtschaftshistoriker Klaus Wollenberg (FDP) wollte Plonner überprüfen, weil der in den 1920er-Jahren in eine Finanzaffäre verwickelt war. Plonner soll nach dem Beschluss von Arbeitskreis und Ausschuss sowieso bleiben.

Schließlich zieht die Frau wie einige andere die Sache ins Lächerliche: Man müsse die Landsberger Straße umbenennen, weil Hitler in Landsberg "Mein Kampf" verfasst habe. Schluss mit lustig ist, als Jan Halbauer (Grüne) sie als Rechtspopulistin bezeichnet, sie droht mit einer Anzeige. Die Aussage ist allerdings eine freie Meinungsäußerung.

Ein vormaliger Kreisvorsitzender der Linkspartei fühlt sich an eine "Hexenjagd" erinnert. Er meint nicht die Stimmungsmache gegen Demokraten, die braune Straßenpatrone kritisieren, sondern Vorwürfe gegen Langbehn und Konsorten. Für ihn ist eine Umfrage Lutzeiers, bei der 54 Teilnehmer gegen und einer für die Umbenennungen votierte, so was wie eine demokratische Abstimmung. Dass weiter diskutiert wird, empfindet er als subtile Beeinflussung.

Lutzeier schimpft, Leute würden sich zum Richter über Wernher von Braun aufschwingen. Ströhle verweist auf die Fakten, dessen SS-Mitgliedschaft, auf Lager wie Dora-Mittelbau, in denen tausende Menschen grausam ums Leben kamen, sich zu Tode schufteten, für die Raketenexperimente von Brauns, die obendrein Grundlage für Raketen waren, mit denen die Nazi-Wehrmacht Städte in England, Frankreich und Belgien beschoss.

Dass es immer die gleiche Handvoll von Leuten ist, die immer gleiche Vorwürfe posten, erträgt Ströhle. "Ich sehe das als Form der Bürgerbeteiligung. Es gibt viele stille Mitleser. In der Gruppe sind 360 Leute", sagt der Piraten-Stadtrat. Im übrigen ist er gestählt. Er hat drei Kinder und als Philosophiedozent acht Semester lang mit Studenten diskutiert. Bloß sei das Niveau zu Hause und an der Universität deutlich höher.

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SZ vom 10.06.2016
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