Corona-Krise:Die Not mit der Betreuung

Lesezeit: 4 min

Seit vielen Wochen sitzen Familien zusammen zu Hause fest. Häufig sind die Eltern im Home-Office, die Kinder sollen daheim lernen. Alleinerziehende sind aber besonders belastet

Von Ingrid Hügenell, Fürstenfeldbruck

"Die Familien sind sehr belastet nach diesen langen Wochen", sagt Kerstin Kastrup, 44, über die Lage von Familien in der Coronakrise. Viele wären froh, wenn wieder Schule stattfände, weiß die Leiterin des Familienstützpunkts Puchheim, Kinder ebenso wie Eltern. Es dürfen bisher nur Erst- und Viertklässler, die Abschluss- und Vorabschlussklassen, Fünft- und teilweise Sechstklässler wieder in die Schule, viele nur jede zweite Woche. Seit Montag sind die Kindergärten für Vorschulkinder und deren Geschwister geöffnet. Gleichzeitig arbeiten nach wie vor viele Eltern im Home-Office, ihre Söhne und Töchter erhalten mehr oder weniger kompetenten Online-Unterricht. Wer außer Haus arbeitet, muss sehen, wie er seine Kinder betreut bekommt.

Immer mehr Eltern müssen wieder arbeiten, weil sie ihren Urlaub aufgebraucht haben. Glück hat, wer sich die Arbeit mit dem anderen Elternteil aufteilen kann, wie die Fürstenfeldbrucker Stadträtin Alexa Zierl. Ihre beiden Töchter besuchen die 7. und 9. Klasse des Gymnasiums, sie lernen zu Hause. "Beide Kinder nehmen das ernst und fordern Unterstützung ein, wenn sie sie brauchen." Auch sie selbst lerne dadurch "einen Haufen" dazu. "Ich nehme es mit Humor." Die Mädchen seien glücklicherweise technikaffin. Zierl nennt es einen "großen Luxus", dass die Familie alle nötigen Geräte habe. "Alle Kinder müssten ein digitales Gerät haben", sagt sie.

Sozialpädagogin Kastrup stellt einen gesellschaftlichen Rückschritt fest: "Die Mutter ist wieder zu Hause und macht alles." Arbeit, Haushalt, Schule - die Gleichzeitigkeit sei belastend. Das komme zum "Lagerkoller" noch hinzu, den viele Familien empfänden, weil sie so "aufeinander hocken". Kleinkinder seien in ihren Familien hingegen häufig gut aufgehoben sind. "Die genießen das", sagt die Sozialpädagogin. "Die lernen gerade auch viel von den Geschwistern." Das hat sie bei ihrem Vierjährigen erlebt, auch andere Mütter hätten ihr das berichtet. Gute Bedingungen, die aber nicht in jeder Familie herrschen. Besonders belastet seien Alleinerziehende. Die Familien, die Kastrup aus der Beratungsstelle kennt, gehen ganz unterschiedlich mit der Situation um. Die Sozialpädagogin berichtet von einer Mutter mit drei Kindern, die regelrecht rotiere, weil sie vormittags komplett mit Schule beschäftigt sei und nachmittags mit den Kindern in den Wald gehe, "damit die nicht versandeln. Man will ja, dass die Kinder sich bewegen und an die frische Luft kommen."

Andererseits gebe es auch Familien, für die die Lage recht entspannt sei. "Denn jetzt ist viel Mediennutzung erlaubt, und man muss die Kinder nicht raustreiben." Eine Lebensweise, bei der man lang schlafe, spät ins Bett gehe und viel fernsehe, sei jetzt möglich. "Das ist auf lange Sicht aber ungünstig." Nicht nur aus fachlicher Sicht sei es nicht gut, wenn Kinder wochenlang nicht draußen gewesen sind. "Manche haben auch Angst vor Ansteckung und gehen deshalb nicht raus", sagt Kastrup. Ganz schwierig sei die Situation für die Mitarbeiter der Beratungsstellen, weil sie ihre Klienten momentan einfach nicht erreichten. Viele Familien, die eigentlich Hilfe bräuchten, "kommen nicht freiwillig zur Beratung", und auch beim Jugendamt werde sich niemand von selbst melden.

Dass die Kinder zu Hause lernen sollten, mache die Sache vielfach schwierig, sagt Kastrup, die zwei Söhne im Alter von vier und elf Jahren sowie eine achtjährige Tochter hat. Oft passiere in den Familien alles gleichzeitig, die dienstlichen Videokonferenzen der Eltern und die schulischen der Kinder, was besonders dann schwierig werde, wenn nicht jeder sein eigenes Gerät habe. Kastrup berichtet zudem von "Riesenfrust", weil jeder Lehrer das Homeschooling anders handhabe. "Manche Lehrer sind sehr engagiert und rufen an, andere schicken einmal pro Woche Stoff, und es kommt kein Rücklauf." Kastrup weiß von einer jungen Lehrerin, die den Kindern gesagt habe: "Das Korrigieren machen eure Eltern." Andere Lehrer korrigierten nicht nur die Aufgaben, sondern schrieben auch nette, persönliche Mails an die Kinder. "Es geht sehr auseinander. Es gibt keine einheitlichen Vorgaben von oben und keine Qualitätssicherung", kritisiert Kastrup.

Die Notbetreuung wurde anfangs kaum in Anspruch genommen, wird inzwischen aber gut genutzt. Buben und Mädchen, deren Eltern in der "kritischen Infrastruktur tätig sind, kommen dort unter. Dazu zählt medizinisches und Pflegepersonal ebenso wie Polizisten und Feuerwehrleute und andere Menschen, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewährleisten. Seit die Schulen zumindest für einige Klassen wieder öffnen, gelten auch Lehrkräfte als systemrelevant, ebenso alle, die für die Versorgung mit Energie, Wasser und Lebensmitteln tätig sind, im öffentlichen Nahverkehr oder der Entsorgung.

An der Grundschule Graßlfing ist das Sekretariat laut Schulleiterin Cathrin Theis seit einigen Wochen praktisch ausschließlich damit beschäftigt, die Notbetreuung zu organisieren. Die Sekretärinnen müssen viele Anfragen von Eltern beantworten und entscheiden, ob die Kinder aufgenommen werden dürfen. Diese Entscheidungen bezeichnet Theis als "komplex". Die Buchungszeiten seien sehr individuell und flexibel, wodurch der Verwaltungsaufwand steigt. Schließlich muss an der Schule die Betreuung in Kleingruppen organisiert werden, dazu werden Räume und Lehrer gebraucht, und natürlich sollen auch die Grundschüler in der Notbetreuung an den täglichen Video-Klassenkonferenzen teilnehmen können.

Dass die Organisation so aufwendig ist, liegt wohl auch daran, dass die Kinder nur während der Arbeitszeit der Eltern gebracht werden dürfen. Martha Fritsch, 36, weiß, wie stressig das für die Eltern ist. Sie unterrichtet Englisch und Spanisch an der Fach- und Berufsoberschule Fürstenfeldbruck und ist dort auch Personalrätin. Sie hat außerdem zwei Töchter, eine ist zweieinhalb Jahre alt, die andere sechs. Fritschs Mann arbeitet im Homeoffice, die Familie lebt in München. Die Sechsjährige habe sie problemlos in der Notbetreuung der Grundschule untergebracht, berichtet die Lehrerin. Doch bei der Kleineren habe es zunächst Chaos gegeben. Denn zunächst sei in der Münchner Krippe nicht bekannt gewesen, dass Eltern ihre Kinder auch dann in die Notbetreuung schicken dürfen, wenn nur ein Elternteil in einem systemrelevanten Beruf arbeitet. Als ihr Mann also die kleine Tochter gebracht habe, sei ihm gesagt worden, sie dürfe ausnahmsweise bleiben. Am nächsten Tag gehe das aber nicht mehr. Glücklicherweise sei schnell eine Klarstellung des Sozialministeriums gekommen - das Mädchen geht seither in die Notbetreuung, wenn ihre Mutter an der FOS/BOS Präsenzunterricht erteilt.

Ein anderes Problem hat eine Kollegin von Fritsch, die in Schöngeising lebt und ihr Kinder erst eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn in die dortige Kita bringen darf. Abholen muss sie sie 30 Minuten, nachdem ihr eigener Unterricht beendet ist. Ein ziemliches Gehetze und Stress ist das für die Lehrerin, der so kaum Spielraum bleibt.

Nicht überall werden die Kinder in der Notbetreuung der Grundschulen auch beim Lernen unterstützt, hat Fritsch von einer weiteren Kollegin erfahren. In Jesenwang führe eine Lehrkraft zwar die Aufsicht über die Kinder, doch die Aufgaben würden nicht bearbeitet, was die Buben und Mädchen selbst erledigen, werde nicht kontrolliert. Die Eltern müssen also nach der Notbetreuung mit den Kindern den Stoff im Homeschooling nachholen. "Die Belastung ist immer noch hoch", resümiert Fritsch. "Ansonsten hat es sich eingependelt."

© SZ vom 29.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: