Fürstenfeldbruck:Computer machen dumm

Der bekannte Hirnforscher und Buchautor Manfred Spitzer warnt im Fürstenfelder Stadtsaal vor den digitalen Medien und macht sie verantwortlich für die Entwicklungsdefizite von Kindern und Jugendlichen

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Smartphones, Tablets, Computer - Kinder, die stundenlang auf kleine oder große Bildschirme starren: Vor allem Eltern fühlen sich oft machtlos, wissen aber nicht so recht, wie sie reagieren sollen. Großzügig darüber hinwegsehen? Verbieten? Manfred Spitzer kann es ihnen ziemlich genau erklären. Sein Vortrag am Montagabend im Stadtsaal von Fürstenfeld lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Hände weg von digitalen Medien, denn die machen süchtig. Oder auch: je mehr Facebook oder Whatsapp, desto dümmer, desto weniger Sozialkompetenz. Und die Playstation ist schuld an schlechten Schulnoten. Bei der Glotze liegen die Dinge ähnlich: "Fernsehen macht dumm, dick und aggressiv" . Wenn das alles doch so einfach wäre.

Zunächst aber hängen die mehr als 800 Zuschauer, ein Großteil davon Kunden des Veranstalters, der Fürstenfeldbrucker Sparkasse, an den Lippen des Professors. Der 57-Jährige, der sieben Jahre als Oberarzt in Heidelberg gearbeitet hat, seit 1997 die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm leitet und sich seit vielen Jahren der Hirnforschung widmet, hat es 2012 mit seinem populärwissenschaftlichen Buch "Digitale Demenz" bis an die Spitze der Spiegel-Bestseller-Liste geschafft. Sparkassenchef Klaus Knörr ist es damit gelungen, eine höchst schillernde und rhetorisch beschlagene Figur der Wissenschaftsszene als Referent zu gewinnen. Knörr deutet einleitend auf die Bedeutung der neuen Medien hin, auf die "Demokratisierung von Wissen und Information". Er spricht Punkte wie Medienkompetenz und Datensicherheit an, stellt die Frage, ob die digitalen Medien denn nun "Fluch oder Segen oder auch beides" seien und bringt damit die Stimmungslage vieler Besucher zum Ausdruck: Beim Thema Internet fühlen sich viele überfordert, haben ein flaues Gefühl und erhoffen sich klare Botschaften als Leitfaden für die Erziehung der eigenen Kinder. Knörrs Anmerkungen, die bereits darauf hindeuten, dass es ein Spektrum zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Himmel und Hölle geben könnte, sind höchst berechtigt. Spitzer freilich beantwortet sie viel eindeutiger und mit fast schon verdächtig einfachen Botschaften. Für ihn, das wird schnell klar, sind die digitalen Medien vor allem eines: Fluch. Hölle.

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Da sitzen sie im fahlen Schein der Monitore und ruinieren sich ihre Gehirne - zumindest, wenn man den Ausführungen Manfred Spitzers glaubt.

(Foto: AFP)

Dabei argumentiert er streckenweise durchaus in beeindruckender Weise und untermauert dies durch zahlreiche Studien vor allem aus dem angelsächsischen Raum. Er stellt anschaulich dar, wie wichtig es vor allem für Kinder und Jugendliche ist, die Welt buchstäblich zu begreifen statt mit dem Finger über die zweidimensionale Oberfläche eines iPads zu wischen. Computer in Kindergärten, Schulen oder auch im Jugendzimmer? Bloß nicht! Kein Wunder, dass das Niveau des Abiturs schlechter geworden ist! Auch seinen Studenten bläut Spitzer in Vorlesungen immer wieder ein: Wer mit der Hand schreibt statt in die Tastatur zu tippen, kann sich besser konzentrieren und sich den Stoff besser einprägen. Er erklärt, wie wichtig Lernen für die Entwicklung des Gehirns ist - vor allem für Kleinkinder, durchaus aber auch für Erwachsene. Das Phänomen: Je mehr schon im Hirn drin ist, desto mehr passt rein. Klar, das wissen auch die Besucher: Wer schon fünf Fremdsprachen kann, dem fällt das Erlernen einer zusätzlichen Fremdsprache leichter als dem, der nur die Muttersprache beherrscht. Wer die grauen Zellen in Schwung hält, kann damit die Altersdemenz um viele Jahre hinauszögern. Wer zweisprachig aufwächst, haben Untersuchungen ergeben, der leide erst fünf Jahre später an Demenz als Altersgenossen. Vor allem aber, das ist Spitzer besonders wichtig, brauche es für die Entwicklung der Sozialkompetenz den Umgang von Mensch zu Mensch. Am Bildschirm verkümmere sie. Unter Berufung auf eine Studie stellt der Hirnforscher fest: "Je mehr Zeit die Jugendlichen vor dem Bildschirm verbringen, desto weniger Empathie entwickeln sie." Ergo: die Mitmenschlichkeit geht verloren, es droht Kälte, Abgestumpftheit. Spitzer belegt das mit Zeitungsausschnitten. Da stirbt in Südkorea ein Jugendlicher, der 38 Stunden gespielt hat, und Mitspieler um ihn herum nehmen es eher gelangweilt zur Kenntnis. Da liegen nach einer Massenkarambolage Verletzte auf der Autobahn, und eine Viertelstunde fahren Autos vorbei. Keiner steigt aus und hilft.

Mit großer Sorge verfolgt der Wissenschaftler, der mit seinen Vorträgen seit Jahren durch große Säle, Fernsehstudios und Talkshows tingelt, die zunehmende Bedeutung von Smartphone, Computerspiel, Sozialen Medien und überhaupt dem ganzen Internet als Tatort, Rotlichtbezirk, Ort der Abzocke, des sinnfreien Daddelns und der Zeitverschwendung. Als Ort, der das Gehirn nicht fordert und nicht zum Bilden neuer Synapsen anregt. Spitzer warnt vor der Lobby und den US-Firmen, die sogar weite Teile der deutschen Politik auf Linie gebracht haben. Wie anders wären Initiativen von Schulbehörden für PCs im Kindergarten oder Klassenzimmer zu verstehen?

Fürstenfeldbruck: Wortgewandter Psychologe, Psychiater, Hirnforscher: Manfred Spitzer referiert im Fürstenfelder Stadtsaal.

Wortgewandter Psychologe, Psychiater, Hirnforscher: Manfred Spitzer referiert im Fürstenfelder Stadtsaal.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Nach einer Stunde ist klar, dass Manfred Spitzer fast alle Zuschauer schwer beeindruckt hat. Es klingt einfach alles zu plausibel. Das mag aber auch ein wenig daran liegen, dass man die schnell an die Wand geworfenen Grafiken nicht so schnell hinterfragen kann. Andere haben das in Ruhe getan und Spitzers Buch "Digitale Demenz" ausgewertet. Ein Buch, das einem ähnlichen Strickmuster folgt wie jenem des bekannten Internetkritikers Nicholas Carr, von dem der Essay "Is Google making us stupid?" stammt und der die omnipräsente Digitalisierung ebenfalls vor allem von ihrer negativen Seite beleuchtet. Vor allem die voreingenommene und einseitige Interpretation von Studien sowie fehlende Differenzierung und Objektivität sowie den missionarischen Ansatz Spitzers kritisiert auch Bernward Hoffmann. Der Professor ist Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK): "Einige dem Autor passende Studien" würden trotz teils zweifelhafter Übertragbarkeit angeführt, viele andere mit teils gegenteiligen Ergebnissen dagegen ignoriert. Eine "Bruchsteinexegese" sei das, frei nach dem Motto "Ich suche mir die Studien, mit denen ich meine Vorurteile belegen kann". Hoffmann teilt zwar Spitzers Vorbehalte gegen das Ruhigstellen von Kleinkindern vor Bildschirmen. Kindern und Familien einen kreativen und kritischen Umgang mit Medien zu vermitteln, gehe aber "nur mit, nicht ohne gute Medien in maß- und sinnvoller Nutzung". Noch deutlichere Kritik schlug Spitzer nach Veröffentlichung seines Buchs vom SZ-Wissenschaftsjournalist Werner Bartens entgegen. Der ist selbst promovierter Mediziner und beschäftigt sich regelmäßig mit medizinischen Studien und Metastudien. Spitzers Buch bezeichnet Bartens als "ärgerlich und schludrig" und spricht ihm das wissenschaftliche Fundament ab: zu stark vereinfachte und unvollständige Grafiken, unkorrekte Fußnoten, voreingenommene Interpretation der Daten. So sei es die Frage, um ein Beispiel zu nennen, ob die Nutzung von Computern süchtig mache oder die übermäßige Nutzung nicht auch Folge anderer psychischer Probleme wie Depressionen sein könne. Spitzer, so Bartens Fazit, leide unter der falschen Annahme, "dass es um ein Ja oder Nein ginge, wo man doch nur noch über das Wie diskutieren kann".

So sehen das am Montag auch viele Zuhörer. Eine Mutter von drei Kindern zeigt sich tief beeindruckt vom Vortrag. Gleichwohl hegt sie Zweifel, ob sie ihren Kindern die Nutzung der Smartphones verbieten kann, ohne diese zu Außenseitern in ihrem Freundeskreis zu machen. Und dann endlich räumt Spitzer als Tribut an die Realität ein, dass die reine Lehre nur graue Theorie ist. "Die Dosis macht das Gift", sagt er. Versteht man seinen Vortrag als Plädoyer für eine sehr maßvolle und vor allem für Heranwachsende auf ein Mindestmaß limitierte, selektive Nutzung von Computer oder Smartphone, könnte er im Alltag der Familien auch etwas bewirken. Das gilt auch für Spitzers Mahnung, Kindern die Einschränkungen der Mediennutzung zu erklären.

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