Süddeutsche Zeitung

Fürstenfeldbruck:Auf dem Weg zur Cannabis-Freigabe

Bei einer Diskussion in der Stadtbibliothek über die Legalisierung der Droge geht es um die gesundheitlichen Folgen des Konsums und die Hürden für den Gesetzgeber.

Von Clara Dünkler, Fürstenfeldbruck

Die Pläne der Bundesregierung, das seit 1972 in Deutschland unter das Betäubungsmittelschutzgesetz fallende Cannabis zu legalisieren, werden kontrovers diskutiert - auch bei einer Veranstaltung von Volkshochschule und Stadtbibliothek Fürstenfeldbruck. "Noch eine Droge? Ist die Cannabislegalisierung ein großer Fehler oder ein längst überfälliger Schritt?", lautet das Thema. An diesem Abend erfahren die Zuhörenden nicht nur mehr über Cannabis, sondern es werden auch ganz grundsätzliche Fragen gestellt: Wie weit sollte die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen gehen, und was braucht der Mensch eigentlich zu seinem Glück?

Der Abend beginnt mit einer kleinen Aufwärmrunde. Erst einmal sollen sich alle ein bisschen kennenlernen, damit später das Diskutieren leichter fällt. Die Gruppe besteht aus sechs Teilnehmern und Teilnehmerinnen, außerdem sind Diana Rupprecht von der Stadtbibliothek Fürstenfeldbruck, Christian Winklmeier von der VHS Fürstenfeldbruck und Referent des Abends Patrick Tietz anwesend. Tietz ist studierter Politikwissenschaftler und hat seine Diplomarbeit zum Thema Legalisierung von Cannabis geschrieben.

Blüte und Pflanze

Zunächst klärt Tietz über grundsätzliche Begriffe auf. Was genau ist Cannabis, was ist der Unterschied zwischen Blüte und Pflanze, wie viel Gramm passen in einen Joint und was genau passiert im Körper beim Konsum. Tietz erläutert, dass Cannabis sowohl Pflanze als auch Blüte bezeichne. Außerdem hebt er hervor, dass der Effekt des Konsums ausschlaggebend davon beeinflusst wird, ob es sich beim Konsumenten um eine erwachsene, nicht schwangere Person ohne psychische Vorbelastung handelt, oder um Menschen, die dieser Beschreibung nicht entsprechen. Tietz zufolge kann nur ein über Jahre stattfindender, exzessiver Konsum zu den mit Cannabis in Verbindung stehenden negativen Effekten wie Psychosen oder Gedächtnisproblemen führen. Allerdings gibt es genetische Prädispositionen, die diese Nebenwirkungen wahrscheinlicher machen. Der gelegentliche Freizeitkonsum, ähnlich dem eines Feierabendbieres, trage dagegen zur Entspannung oder zum Empfinden von Hochgefühlen bei, sagt der Referent.

Vor allem die gesundheitlichen und körperlichen Folgen interessieren die Anwesenden. Es wird die Frage gestellt, ob langjähriger, exzessiver Konsum Auswirkungen auf die Gene haben und so Schädigungen an die folgende Generation weitergegeben werden könnten. Tietz betont, dass es keinerlei wissenschaftliche Studien gebe, die auf einen solchen Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und genetischer Veränderung hinweisen. Tietz beruhigt die Anwesenden: Auch habe es keine bestätigten Fälle gegeben, bei denen ein Mensch auf Grund einer Überdosis gestorben sei. Laut Tietz sei es so gut wie unmöglich, eine letale Menge zu sich zu nehmen. Er fügt hinzu, dass keine Pflanze so gründlich untersucht worden sei wie Cannabis.

Härtere Drogen

Häufig werde Cannabis als Einstiegsdroge dargestellt. Eine Teilnehmerin möchte wissen, wie hierfür die Datenlage aussieht. Tietz erläutert, dass man diese Frage differenziert betrachten müsse. Der Konsum an sich verleite nicht dazu, andere Drogen ausprobieren zu wollen, die Tatsache, dass man Cannabis auf dem Schwarzmarkt kaufen müsse, aber schon, sagt er. Dealer und Dealerinnen hätten gewöhnlich nicht nur eine Droge im Sortiment, und so kommen die Konsumenten auch mit härteren Drogen in Kontakt. Das solle sich mit der Legalisierung ändern. So hält das Eckdatenpapier der Regierung fest, dass der Vertrieb von Cannabis nur in lizensierten Geschäften erlaubt werden wird. Dort soll es ausschließlich Cannabis zu kaufen geben, um so den Anreiz eines Mischkonsums mit Tabak und Alkohol zu verringern.

Welchen Effekt Cannabis auf Autofahrende hat, möchte ein weiterer Zuhörer wissen. Anders als beim Alkohol würden Menschen im Cannabisrausch eher zu mehr Vorsicht tendieren, erklärt Tietz die Studienlage. Autofahren sollte man aber grundsätzlich nicht, egal ob man Alkohol oder Cannabis konsumiert habe. Mit der Legalisierung und dem so erleichterten Zugang zu Cannabis, stelle sich einmal mehr die Frage, ob die Gesellschaft dem Individuum einen verantwortungsvollen Konsum zutraue. Eine Diskutantin wendet ein, dass das bei anderen Substanzen ebenso der Fall sei. Auch raffinierter Zucker und Alkohol seien für den Großteil frei verfügbar, würden aber sowohl hohes Suchtpotenzial als auch schwerwiegende gesundheitliche Schäden mit sich bringen können. Ihrer Meinung nach macht es fast keinen Unterschied, ob Cannabis noch hinzukommt.

Die Fragen werden konkret: Was passiert nach der Legalisierung? Tietz erläutert, dass zunächst Cannabis und der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) nicht mehr als Betäubungsmittel gelten werden. Zu dem Zeitpunkt laufende Ermittlungsverfahren sollen eingestellt werden. Der Besitz und Erwerb von Cannabis in einer Menge zwischen 20 bis 30 Gramm wird straffrei ermöglicht werden. So weit so gut, aber die Anwesenden fragen sich, wie das umzusetzen ist. Denn Gesetze der EU untersagen den Import und Export von Cannabis. Deutschland ist so gezwungen, sämtliches Cannabis im eigenen Land anzubauen. Der Anbau ist momentan aufgrund von sehr hohen Sicherheitsvorkehrungen kompliziert und teuer, kritisiert Tietz. Will man rechtzeitig zur Legalisierung auch die Produktion in ausreichender Menge ermöglichen, müssten auch die Vorschriften für den Anbau der Pflanze geändert werden. Tietz warnt davor, dass falls die legal produzierte Menge die Nachfrage nicht decke, der Schwarzmarkt existent bleibe. Der Gedanke, diesem durch das Wegfallen der Kunden und Kundinnen Macht zu entziehen, kann nur gelingen, wenn dieser Aspekt beachtet wird.

Bedürfnis nach Euphorie

Es wird philosophisch in der Runde. Teil des menschlichen Daseins sei das Bedürfnis nach Euphorie, findet eine Teilnehmerin. Sollte man den Menschen nicht lieber beibringen, wie man diese Zustände auch ohne zugefügte Substanzen erreichen könne? Eine Diskutantin erwidert, dass das wieder eine Frage der individuellen Freiheit sei und, dass man die Entscheidung wie ein Mensch dieses Bedürfnis befriedige, ihm überlassen solle - solange dabei niemand anderes zu Schaden komme.

Die Diskussion an diesem Abend hat gezeigt, dass die Thematik der Legalisierung von Cannabis viele Elemente mit sich bringt. Ganz konkrete Fragen der körperlichen Folgen, über die noch etwas unklare Realisierung bis hin zu Grundsatzdebatten über die Natur des Menschen. Alle Fragen sind in der Runde willkommen, es wird respektvoll debattiert und dafür gesorgt, dass jeder und jede zu Wort kommt. Wer Interesse hat selbst einmal dabei zu sein, kann am 9. Februar zum nächsten Gespräch in die Stadtbibliothek Fürstenfeldbruck kommen. Informationen gibt es auf den Homepages www.vhs-ffb.de oder www.stadtbibliothek-fuerstenfeldbruck.de.

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