Fürstenfeldbruck:Austritte geben Pfarrern zu denken

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Kurz vor zwölf: Die Kirchen haben auch im Landkreis mit etlichen Problemen zu kämpfen.

(Foto: Matthias F. Döring)

Die Mitgliederzahlen der beiden christlichen Kirchen sinken kontinuierlich. Die beiden Dekane Martin Bickl und Markus Ambrosy sind sich einig, dass Reformen notwendig sind

Von Ingrid Hügnell, Fürstenfeldbruck

Wie überall in Deutschland treten auch im Landkreis Fürstenfeldbruck Menschen aus der Kirche aus. 2210 Katholiken hat die katholische Kirche im Landkreis im vorigen Jahr verloren; 1234 Menschen traten aus, 976 starben. 741 kamen hinzu: 642 Menschen wurden katholisch getauft, sieben traten neu und 32 wieder ein. Das macht ein Saldo von 1469, so dass es Ende des Jahres 86 040 Katholiken im Landkreis gab. Bei gut 219 300 Einwohnern insgesamt bedeutet das, dass nicht einmal mehr 40 Prozent Katholiken sind.

Der katholische Dekan Martin Bickl nennt eine Vielzahl von Gründen für den Schwund: Das Zugehörigkeitsgefühl zur Kirche schwinde, was mit enttäuschenden persönlichen Erfahrungen, aber auch damit zusammenhänge, wie die Kirche dargestellt werde, aber auch sich selbst darstelle. Die Missbrauchsfälle spielten sicherlich eine Rolle, aber nicht die einzige. Einen Hauptgrund sieht Bickl in der Kirchensteuer, deren "gefühlte Höhe" vielen Menschen in ihrer persönlichen Situation als zu hoch erscheine. In Krisen und bei Krankheiten spielten Sinn- und Glaubensfragen dann doch bei vielen wieder eine Rolle. Dabei fällt es der katholischen Kirche wegen des Priestermangels immer schwerer, ihren seelsorgerischen Aufgaben nachzukommen. Gleichzeitig überfordern sich die verbliebenen Priester in den großen Pfarrverbänden systematisch und permanent selbst. Das seien "große Herausforderungen im Alltag", sagt Bickl.

Der evangelischen Kirche geht es nicht besser: Beinahe zwei Prozent ihrer Mitglieder hat sie im Landkreis im vorigen Jahr verloren. "Was mich am meisten erschreckt hat, ist der Anteil der jungen Erwachsenen daran", sagt der evangelische Dekan Markus Ambrosy. "Das ist prozentual so viel, dass es auffällt." Mit der ersten Arbeitsstelle werde das erste Mal Kirchensteuer fällig, was sehr oft zum Austritt führe, bei katholischen wie evangelischen Christen. "Wenn der Deutsche Steuern sparen kann, dann tut er das", sagt Ambrosy.

"Der Solidaritätsgedanke weicht dem Gedanken 'was habe ich davon?'. Das ist ein allgemeiner Trend", sagt der Pfarrer. Das betrifft seiner Ansicht nach nicht nur die Kirchen, sondern auch beispielsweise Sportvereine. "Vom Mitglied werden die Leute zum Kunden", analysiert Ambrosy und erzählt die Geschichte eines gut verdienenden jungen Vaters, der sein erstes Kind taufen lassen wollte. Beim Taufgespräch habe der Mann sich als "eigentlich evangelisch" bezeichnet, er war aber aus der Kirche ausgetreten. Er habe sich einer Idee verbunden gefühlt, aber nicht der Kirche zugehörig, sagt Ambrosy. Für die Taufe wäre er bereit gewesen, 2500 Euro zu bezahlen, sagt Ambrosy, der ihm vorgerechnet hatte, welche Kosten theoretisch in etwa anfallen würden, einschließlich seines eigenen Stundensatzes als promovierter Theologe. Natürlich hat er das Kind getauft, ohne eine Bezahlung zu akzeptieren.

Den Trend, dass viele Menschen Kirche eher als Dienstleister sehen, hält Ambrosy für unumkehrbar: "Da wird auch eine große Missionsoffensive nichts helfen." Für ihn ist klar: "Der Austritt gilt der Organisation, nicht dem Glauben." Für zielführender hält es Ambrosy, den Begriff "Kirchensteuer" abschaffen. Vielen sei dabei gar nicht klar, dass es sich eigentlich um den Beitrag für die Mitgliedschaft in der Kirche handele. Für problematisch hält er auch, dass man einfach auf dem Standesamt seinen Austritt erklären kann und nicht mit dem Pfarrer reden muss.

Ambrosy beklagt den Relevanzverlust der Kirche: "Das ist wirklich bitter und schwer auszuhalten. Wir tun und machen und haben tolle Ideen, und gleichzeitig treten die Leute aus." Und weiter: "Es gibt Menschen, für die hat der christliche Glauben keine Bedeutung und denen geht es trotzdem gut." Was für den Dekan noch zählt: "Zunächst ist das mein Leben und mein Glauben. Für mich ist es gut, und ich weiß warum. Das muss man sagen können." Im Übrigen werde die evangelische Kirche für die Fehler der katholischen in Mithaftung genommen. Überhaupt sei Religion in Zeiten des religiösen Fanatismus negativ konnotiert. "Wo das Zusammenleben der Religionen und Konfessionen gut gelingt, das interessiert nicht."

"Die Kirche muss sich immer ändern und verändern", sagt Bickl. "Sie muss sich auf ihre Wurzeln und den Kern ihrer Botschaft konzentrieren." Dazu gehört für ihn auch, dass man über den Zölibat nachdenkt. "Das ist etwas, worüber man reden muss, und nichts, was nicht änderbar wäre." Für Bickl bedingt die Ehelosigleit der Priester auch, dass von ihnen ständige Verfügbarkeit erwartet wird, sowohl von den Gläubigen wie von der Kirchenleitung. "Diese Erwartungen wären mit einer Familie kaum erfüllbar", sagt er. "Man kann auch Erwartungen verändern, und letztlich müssen wir in so eine Richtung gehen." Bickl weiß aber auch, dass sich die 2000 Jahre alte Institution der katholischen Kirche nicht in fünf Jahren wird ändern lassen. "Es ist ein Transformationsprozess, den die Kirche gehen muss", sagt Ambrosy: "Mit Augenmaß und Gottvertrauen."

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