Fürstenfeldbruck:Auf Hilfe von außen angewiesen

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Der ehemalige Stadtrat Klaus Zieglmeier startet ein offenes Buchprojekt über die Entwicklung am rechten politischen Rand und Strategien dagegen

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Was sind die Ursachen und Hintergründe für das Erstarken der Rechten? Wie könnten Gegenstrategien aussehen? Fragen wie diese beschäftigen den ehemaligen Fürstenfeldbrucker BBV-Stadtrat Klaus Zieglmeier, der nun für ein Projekt Mitstreiter sucht. Zieglmeier demonstriert seit Jahren gegen rechte Aufmärsche und unterstützt die Gedenkfeiern am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus. Und er arbeitet an einem Buch, das als offenes Projekt gedacht ist, an dem sich alle beteiligen können. Unlängst stellte er eine Rohfassung beim Sozialforum Amper im Bürgerpavillon im Brucker Westen vor. Was Zieglmeier präsentierte, waren interessante Gedanken, Zitate und Bilder, aber insgesamt ist die Arbeit noch wenig durchdacht und in sich widersprüchlich.

So könnte man nach seinem Vortrag meinen, der aktuelle Rechtstrend sei eine schlichte Wiederholung des Aufstiegs der Nazis in der Weimarer Republik und beide Entwicklungen wiederum Ausdruck davon, dass der Mensch nicht klüger werde. Zieglmeier zitiert dazu Schopenhauer, der Mensch sei von Natur aus dumm, frech, faul und gefräßig und nur auf seinen Vorteil bedacht. Vielleicht wollte der Philosoph mit dieser Annahme einer quasi angeborenen Schlechtigkeit des Menschen seine eigene Menschenfeindlichkeit rechtfertigen, denn er war ein ekelhafter Antisemit und entschiedener Antidemokrat. Die Geschichte lehrt, dass Menschen zu allem fähig sind. Was sie tun, hängt von äußeren Umständen, aber auch ihren individuellen Entscheidungen ab.

Als Beweis für die Dummheit der Rechten zeigte Zieglmeier eine Karikatur aus dem Sartireblatt Simplicissimus: Zwei Ärzte öffnen Hitlers Schädeldecke und stellen fest, dass darunter nur Leere ist. Das ist eher symptomatisch für die weit verbreitete, dünkelhafte Vorstellung der liberalen Mittelschicht, wonach es sich bei den Rechten um bildungsferne Dumpfbacken handelt. Dabei stammen antisemitische, rassistische und nationalistische Wahnvorstellungen von angesehenen Theologen, Schriftstellern und Künstlern wie Martin Luther, Richard Wagner oder Ludwig Thoma. "Die Juden sind unser Unglück" hat kein Hartz-IV-Empfänger sondern ein Professor Treitschke formuliert. Und was hatten Simplicissimus-Redakteure in der Birne, als sie 1914 den deutschen Überfall auf das neutrale Belgien feierten? Was unsere Gegenwart betrifft, ließen sich der Bestseller des Sozialdemokraten Thilo Sarrazin oder die Warnung eines CSU-Ministerpräsidenten vor der "durchrassten" Gesellschaft anführen.

Ein weiteres Manko ist der Extremismusbegriff, den Zieglmeier als roten Faden und Titel nutzt, um seine Anekdoten zusammenzubinden. Er zitiert dazu Definitionen des Verfassungsschutzes, dessen Kompetenz spätestens seit der NSU-Mordserie als fragwürdig gelten darf, und ergeht sich in Tautologien: Im Alltag würden "extreme Ansichten" auftauchen, die sich "bei großen Entscheidungen als Nährboden für Extremismus zeigen".

Die wissenschaftliche Debatte über die Unzulänglichkeit dieses Ansatzes ignoriert Zieglmeier. Die Gefahr geht nicht von irgendwelchen extremen Rändern aus, sondern von der Mitte der Gesellschaft. Der historische Faschismus stützte sich auf den Mittelstand, das Kleinbürgertum und die Beamten. Die neuen Rechten haben zwar Zulauf unter Arbeitern und Gewerkschaftern, aber vor allem in deren weißen, männlichen Segment, das um seine Privilegien gegenüber Frauen und Migranten fürchtet und sich selbst längst als Mittelstand sieht. Die Propagandisten und Funktionäre der Rechten stammen ohnehin aus den höheren, gebildeten Ständen. Alice Weidel, die Spitzenkandidatin der AfD zur Bundestagswahl ist praktizierende Lesbe und promovierte Unternehmensberaterin mit Auslandserfahrung.

Der Extremismusbegriff ist ein Kampfbegriff aus dem Kalten Krieg. Man erinnere sich an Sprüche von Heiner Geißler über die Pazifisten, die an Auschwitz Schuld hätten, oder von Edmund Stoiber, wonach die Nationalsozialisten in erster Linie Sozialisten waren. Das Satiremagazin Titanic kommentierte seinerzeit: "Ich bin die dümmste Nuss im Reiche/weil ich rot und braun vergleiche". Die Formulierung reimt sich, ist aber ungenau, denn ernsthaftes Vergleichen würde Unterschiede deutlich machen. Das Problem ist die Gleichsetzung.

Die Hauptgefahr in Deutschland geht von einer Pogromstimmung aus. Schockierend ist die Zahl von rund 3500 gemeldeten Angriffen auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte im vergangenen Jahr. Die Opfer gehören in der Regel nicht der akademischen Mittelschicht an. Darum kann diese unbeschwert weiter über die Dummheit der Proleten räsonieren und sich in der besten aller Welten wähnen. Die "Sintflut nebenan" wird ignoriert, wie der Münchner Soziologen Stephan Lessenich kritisiert.

Zieglmeier, der es besser wissen müsste, meint: Mit Bildung, Erziehung, Selbstdisziplin und Realitätsbewusstsein könnten wir erfolgreich gegen einen Extremismus sein, der mit Mauern, Zäunen und Schießbefehl immer gescheitert sei. Wie gut, dass es das Mittelmeer gibt, in dessen Fluten die meisten Opfer europäischer Abschottung spurlos verschwinden, und dazu kooperationswillige Diktatoren für die übrige Drecksarbeit. Sie erlauben es vermeintlich aufgeklärten Europäern auf Trump zu zeigen, der erst noch eine Riesenmauer bauen müsste.

© SZ vom 17.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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