Fürstenfeldbruck:Armutsrisiko Ballungszentrum

Lesezeit: 3 min

Die Zahl der Aufstocker wächst. Schuld sind unter anderem die stark steigenden Mieten und die niedrigen Gehälter. Selbst mit Mindestlohn ist das Budget knapp bemessen

Von Ariane Lindenbach, Fürstenfeldbruck

Wer Vollzeit arbeitet, sollte davon leben können. Klingt genauso banal wie logisch, ist aber im Großraum München und damit auch im Landkreis immer seltener der Fall. Die Löhne steigen bei weitem nicht in dem Maße wie die Mieten und auch die Lebenshaltungskosten. Geringqualifizierte müssen für einen niedrigen Stundenlohn arbeiten und Alleinerziehende, die nicht Vollzeit arbeiten können, können oft ebenfalls nicht genug verdienen. Also steigt die Zahl der sogenannten Aufstocker. So werden im Behördendeutsch jene Menschen genannt, die arbeiten und zusätzlich vom Jobcenter Unterstützung erhalten, um ihren Lebensunterhalt finanzieren zu können.

Im September 2008 registrierte das Jobcenter für den Landkreis 1075 Bedarfsgemeinschaften mit Einkommen. Im März 2012 waren es 1218, in diesem Juni 1326. Zwar tauchen in dieser Statistik auch Menschen auf, die Arbeitslosengeld I erhalten oder 400 Euro aus einem Minijob. Doch unterm Strich zeigt die Entwicklung ein stetiges Wachstum. Und wenn man die Zahlen mit denen aller Bedarfsgemeinschaften vergleicht, zeigt sich, dass der Anteil der Bezieher mit Erwerbseinkommen stärker steigt. Johannes Loibl sieht die Ursachen dafür in den überproportional steigenden Mieten und den niedrigen Löhnen. Selbst mit Mindestlohn verdiene man in einem Vollzeitjob nur 1360 Euro brutto, überschlägt der stellvertretende Geschäftsführer des Jobcenters in Fürstenfeldbruck. "Das Verhältnis passt nicht mehr, es muss zu viel für Wohnraum bezahlt werden." Aber niedrigere Mieten alleine lösen das Problem seiner Meinung nach auch nicht. Es bräuchte auch höhere Löhne und 100 Prozent leistungsfähige Arbeitnehmer.

Rund 1100 Euro netto verdient man mit dem Mindestlohn. "Das ist in unseren Gefilden relativ knapp bemessen", betont Robert Otto. Denn auch zu seinem VDK-Kreisverband kommen regelmäßig Personen mit finanziellen Schwierigkeiten. Jemand, der nur von diesem Mindestlohn lebt und damit so gerade über die Runden kommt, gerät nach Erfahrung des Geschäftsführers rasch in Bedrängnis, wenn er plötzlich höhere Kosten tragen muss, etwa eine Nebenkosten-Nachzahlung. Genau das beobachtet Elisabeth Weller auch in der Puchheimer Tafel. "Man merkt im Januar und Februar, wenn die Nebenkosten-Abrechnungen kommen, dass dann viele zu uns kommen." Die meisten von ihnen sieht das Vorstandsmitglied der Bürgerstiftung für den Landkreis das Jahr über kaum. Sie vermutet, dass diese Menschen mit ihrem Einkommen normalerweise gerade noch so über die Runden kommen - solange keine außergewöhnlichen Ausgaben anstehen.

Heidi Schaitl, die bei der Caritas in der Schuldnerberatung arbeitet und die Sozialen Dienste leitet, vermutet darüber hinaus, dass eine ganze Personengruppe in der Statistik gar nicht auftaucht. "Ich denke, es gibt eine Dunkelziffer an Leuten, die weder beim Jobcenter noch bei uns auftaucht", etwa Niedriglöhner aus Osteuropa. Die schlagen dann bei der Caritas auf, wenn sie Geld für eine Fahrkarte zurück in die Heimat brauchen. Von dieser Personengruppe abgesehen, konnten Schaitl und ihre Kolleginnen aus ihrer Berufserfahrung einige Gründe für Armut ausmachen. "Trennung und Scheidung sind ein ganz großes Risiko für Armut." Und zwar für beide Partner, wie sie betont. Auch Menschen ohne Ausbildung oder mit schlechten Deutschkenntnissen hätten oft Schwierigkeiten, von ihrem Verdienst den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Ein Grund dafür liegt der Sozialpädagogin zufolge an der Region. "Im Großraum München mit seinen hohen Mieten und Lebenshaltungskosten ist es besonders schwierig", unterstreicht sie.

Im Gegensatz zu Loibl ist sich Schaitl sicher, dass wesentlich günstigere Mieten die Probleme zumindest deutlich entschärfen würden. "Ich denke, das Grundproblem ist schon ein sozialpolitisches, weil der Sozialwohnungsmarkt fast brach liegt." Die staatlich subventionierten Wohnungen seien zuletzt stark abgebaut worden. Zwar realisiere die Stadt Fürstenfeldbruck nun ein Projekt, doch das alleine könne den Bedarf - der mit den Flüchtlingen noch weiter wächst - bei weitem nicht decken. Da 2016 das Wohngeld angeglichen wird, hofft Loibl zumindest auf eine leichte Entspannung der Lage, auch wenn er noch keine Details kennt. VDK-Geschäftsführer Otto indes warnt vor Euphorie. Ohne sie verallgemeinern zu wollen hat sein Büro schon einige Szenarien durchgerechnet. Mit ernüchterndem Ergebnis: "Für die Betroffenen bedeutet es vielleicht fünf Euro mehr im Monat. Aber große Sprünge werden da nicht passieren." Überhaupt würden die Ausgaben durch die Erhöhung nur vom einen zum anderen Amt verlagert.

© SZ vom 19.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: