Fürstenfeldbruck:Am Ende unausweichlich

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Wer an eine Beerdigung (hier die des Alt-Bürgermeisters Max Steer in der Klosterkirche Fürstenfeld) denkt, hat feste Bilder und Rituale im Kopf. (Foto: Johannes Simon)

Sterben und Tod sind Tabu-Themen. Doch tröstende Worte und eine sich wandelnde Begräbniskultur erleichtern das Trauern

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Erst verschwanden die Gräber und mit ihnen die Namen. Dort, wo sich einst die geschmückten Ruhestätten Verstorbener aneinanderreihten, sind Jahr um Jahr immer mehr freie Flächen. "Es gibt mittlerweile viele aufgelassene Gräber", sagt Kreisdekan Albert Bauernfeind. "Ich sage das nicht anklagend, sondern wahrnehmend", betont er. "Es sind die Lebensumstände der Menschen, die praktischen Abläufe, die manches in unserer Begräbniskultur verändern." Und natürlich, mit Anstieg der Urnenbestattungen ändert sich auch das Gesicht der Friedhöfe. Aber es ändert sich nicht nur das. Seit einiger Zeit, hat Bauernfeind den Eindruck, gibt es einen ganz bestimmten Wandel in der Trauerkultur. Das Gedenken, der Tod - sie werden nicht mehr ganz so weit an den Rand der Gesellschaft geschoben, wie das in den vergangenen Jahrzehnten oft der Fall war.

"Natürlich ist der Tod immer noch eher ein Tabuthema", sagt der Kreisdekan. Vieles ist auch weniger ritualisiert. Das Trauerjahr, in dem Hinterbliebene ausschließlich schwarz trugen, das Lesen von Messen für die Verstorbenen oder das Beten des Totenrosenkranzes findet heute vor allem in städtisch geprägten Regionen kaum mehr statt. Auch das Requiem, die Totenmesse, ist im Schwinden. "Und am augenscheinlichsten ist, dass die Feuerbestattungen zunehmen", sagt Bauernfeind. Bestattungsmeister Luciano Peccolo von der Trauerhilfe Denk in Germering bestätigt: "Wir haben jährlich eine Zunahme. Auch bei uns im Landkreis liegen wir mittlerweile bei 60 Prozent Feuerbestattungen." Dass das nur mit der schwindenden Religiosität der Menschen zu tun hat, glaubt Peccolo nicht. "Es gibt mehrere Gründe", sagt er. Es gebe diejenigen, die die Einäscherung als umweltbewusster vorzögen. Natürlich habe eine Feuerbestattung aber auch ganz praktische Vorteile. Die günstigeren Kosten für ein Mauergrab etwa oder aber wenn Hinterbliebene weit entfernt wohnen und die Grabpflege nicht übernehmen können.

Doch gewandelt hat sich auch Folgendes: Seit einiger Zeit komme es wieder häufiger vor, dass die Menschen Zuhause sterben dürfen, und der Kreisdekan wird auch wieder öfter zu Krankensalbungen gerufen. "Es tut den Leuten gut, auch den Verstorbenen. Oft merkt man, wie ihr Atem wieder ruhiger wird", erklärt er. Rituale können stützen und können gerade in emotionalen Ausnahmesituationen helfen, mit dem Erlebten umzugehen.

Zwar sei der Ritus der Beerdigung ein schlichter, aber in seiner Wirkung nicht zu unterschätzen. "Es ist wichtig hinzuschauen, zu sehen, dass sich der Sarg in die Erde hineinsenkt und zum Grund kommt", erklärt Bauernfeind. Es ist wichtig, um abschließen zu können. "Die Bilder, die wir als Christen haben, können eine Stütze sein", sagt Bauernfeind. "Sie dienen auch schon zu Lebzeiten dazu, dass wir mit der Endlichkeit, in die wir hineingeboren sind, besser umgehen können", sagt er.

Mindestens so wichtig ist die Trauerrede. Auch hier stellt Bauernfeind eine Veränderung fest. "Die Trauerfeiern werden viel persönlicher", sagt er. "Ab und zu schreiben die Trauernden die Rede auch selbst." Auch in diesen Fällen spricht der Kreisdekan eigene Worte und verliest im Anschluss den Brief der Angehörigen. "Ich schätze das sehr, den persönlichen Blick auf den Verstorbenen", sagt er. Das sei der erste Zugang zur Bewältigung, der Rückblick auf ein gelebtes Leben und in manchen Fällen auch ein Schritt zur Versöhnung mit dem, was war. Immer häufiger würden auch freie Trauerredner engagiert. "Nicht nur bei Ausgetretenen, sondern auch bei kirchlichen Feiern", sagt Bauernfeind. "Das ist kein Tabu mehr."

Christine John, Mesnerin der Klosterkirche Fürstenfeld, war fast zehn Jahre lang, bis 2015, freie Trauerrednerin. "Der Markt ist sehr groß geworden", bestätigt sie. Die gestiegene Nachfrage habe vielerlei Gründe. Es gebe die Ausgetretenen, oder diejenigen, die feststellen, dass die Tante nicht mehr in der Kirche war. Es gibt Pfarrer, die sich in solchen Fällen weigern, eine Trauerrede zu halten. Es gebe aber genauso gut Gläubige, die mit den Trauerreden von Pfarrern schlichtweg schlechte Erfahrungen gemacht haben. "Ich habe es oft gehört und auch selbst erlebt, dass Pfarrer fast ausschließlich von sich selbst und nur in einem Nebensatz vom Verstorbenen gesprochen haben. Oder der Name des Verstorbenen wurde vergessen", sagt John. "Die Leute sind dann teils sehr verärgert. Weil es so ein wichtiger Moment ist, in dem man endgültig Abschied nehmen muss."

John selbst hat immer versucht, ihre Reden persönlich und tröstend zu formulieren. "Ich habe jedes Mal überlegt, was kann ich den Menschen mitgeben, das nicht über seinen Kopf hinweggeht?" Nur zu sagen "Gott ist da, Gott hilft" sei da zu wenig. Gerade, wenn ein junger Mensch gestorben sei, könnten Hinterbliebene mit derlei Worten nichts anfangen.

In Fürstenfeld, betont John, sei die Arbeit ihrer Vorgesetzten vorbildlich. "Sie machen es genauso, wie es sein soll." Angesichts der etwa 130 Beerdigungen pro Jahr im gesamten Pfarrverband, betont Bauernfeind: "Damit man als Pfarrer nicht in eine Routine verfällt, muss man wissen, jede einzelne Geschichte ist eine eigene Geschichte." Und diese hört sich Bauernfeind an. "Bei mir gibt es keine Ansprache aus der Konserve", sagt er.

Der Kreisdekan scheut sich auch nicht davor, Trauerreden für Ausgetretene zu halten. Im Gegenteil: "Die Seelsorge bezieht sich auf die lebenden Angehörigen", sagt er. "Wir im Pfarrverband sind da sicherlich inkonsequent." Ob er als Kirchenmann deswegen Gewissenskonflikte austragen müsse? "Nein." Das müsste er nur dann, wenn er die trauernden Angehörigen alleine stehen lassen würde. "Wenn es unter den Angehörigen noch eine Kirchenbindung gibt, haben wir die Pflicht, ihnen mit der Liturgie beizustehen", sagt Bauernfeind.

Heute ist vieles im Umbruch. Konfession ist nicht mehr zentrales Element unserer Lebensrealität. "Die Bestattungskultur ändert sich natürlich dort, wo das Säkuläre die Gesellschaft durchdringt", sagt auch der Kreisdekan. "Ich sehe darin keine Katastrophe." Bräuche ändern sich. "Einen richtigen Totenkult mit ganz klassischen Ritualen gibt es nicht mehr", sagt Bauernfeind. Vieles hat sich gelockert.

Noch bis Anfang der Siebzigerjahre seien Feuerbestattungen für Katholiken bei Exkommunikation verboten gewesen, sagt Bauernfeind. Und er erinnert sich noch an die vielen Regeln und Bräuche aus seiner Kindheit. Das Läuten der Kirchglocken, bei einem Todesfall. "Es war meist die kleinste Glocke, die am hellsten klingt, die geläutet wurde", sagt er. In Puch übrigens, gibt es diese Tradition noch bis heute. Bauernfeind erinnert sich auch noch an die sogenannten Leichenbitterinnen, die von Haus zu Haus zogen, um mit einem bestimmten Spruch die Mitglieder der Gemeinde über einen Todesfall zu informieren und sie zur Trauerfeier einzuladen. "

Doch manche bleibt auch. Wie eben die Krankensalbung, die Trauerfeiern und -reden, der Leichenschmaus. Es scheint nach wie vor einen Rahmen zu brauchen, an dem sich Trauernde festhalten können - ob religiös oder nicht. "Auf der einen Seite bleibt der Tod immer noch eines der größten Tabus", sagt Bauernfeind abschließend. "Auf der anderen Seite: dort, wo der Tod eintritt und wo er die Hinterbliebenen trifft, ist es unausweichlich, sich mit ihm auseinanderzusetzen."

© SZ vom 31.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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