Für Strategen:Fußball mit Armbrust

Der Verein "Feldfürsten" widmet sich dem Tabletop, einer Mischung aus Modellbau und Strategiespiel. Beim Wettkampf mit Miniaturfiguren aus Zinn oder Plastik zählen Kalkül und Würfelglück

Von Peter Bierl, Puchheim

Der Sieg geht in der 86. Minute an die Gilde der Schmiede. Captain Ferrite platziert die Scheibe sicher im Tor. Die junge Frau schießt hervorragend und ist sehr schnell, trotz Rüstung und Schmiedezangen. Ihr Zug war ausgeklügelt. Patrick Bücherl hatte mit Ferrite in einer früheren Runde die Abwehr der Ingenieure durchbrochen. Nicht ungefährlich, denn diese Gilde ist mit Armbrüsten, Bomben und toxischen Chemikalien ausgestattet. So aber hatte er seine Figur vorne auf der linken Flanke platziert und lauerte auf eine Gelegenheit, die sich schließlich eröffnete.

Vier Mitglieder des Vereins "Feldfürsten" haben sich im ersten Stock eines Industriebaus in einem Gewerbegebiet in Puchheim getroffen, in dem der Spieleladen "Roll the Dice - Playground" residiert. Sie spielen ein Turnier Guild Ball, ein neues Tabletop, in dem zwei Teams in mittelalterlich anmutendem Outfit antreten. Wie bei Rugby oder Fußball können sie Tore schießen, aber auch mit Waffen und Werkzeugen gegeneinander kämpfen: Ein Tor bringt vier, ein ausgeschalteter Gegner zwei Punkte.

Tabletops heißen Strategiespiele, die mit Miniaturfiguren auf eigens gestalteten Flächen in der Regel auf der Oberfläche von Tischen gespielt werden, daher der Name. Die Figuren sind meist aus Zinn, aber auch aus Kunststoff. Die Spielvarianten sind kaum zu zählen. Eine Ahnung geben die Sets, die in den Vitrinen des Ladens aufgebaut sind: Eine kleine Armee von Star-Troopern aus Star Wars neben einer Gruppe von Soldaten in roten Uniformen mit Musketen und Piken aus der Zeit diverser Erbfolgekriege des frühen 18. Jahrhunderts. Meistens werden bei Tabletop Scharmützel mit einigen Dutzend Kämpfern, gelegentlich regelrechte Schlachten mit Hunderten Figuren auf einem drei Quadratmeter großen Feld ausgefochten. Dazu gibt es Kombinationen aus Sport und Schlacht wie Guilt Ball. Die Gestaltung von Figuren und Spielfeldern folgt historischen Vorbildern oder stammt aus der Science-Fiction- und Fantasy-Welt, etwa aus der Herr der Ringe.

Der 30-jährige Patrick Bücherl spielt seit seiner Jugend Tabletop zusammen mit dem Bruder Manuel. Im Frühjahr 2015 haben sie mit neun anderen den Verein Feldfürsten gegründet. Der Name ist nicht bloß eine Umkehrung von Fürstenfeld, sondern passt insofern, als die Spieler die Fürsten auf dem Spielfeld sind. Anfangs spielten sie im Keller des Elternhauses der Bücherls, inzwischen treffen sie sich im Jugendzentrum Nord in Bruck oder in Puchheim im Spieleladen. Die Zahl der Mitglieder ist auf knapp 30 gewachsen, die aus dem ganzen Landkreis kommen, sie stammen aus allen möglichen Berufsgruppen, vom Krankenpfleger bis zum Ingenieur.

Mehrmals pro Woche treffen sich die Tabletopper zum Wettkampf, aber auch zum geselligen Beisammensein. Regelmäßig werden Turniere, die aus sechs Spielen bestehen, mit anderen Vereinen gespielt. Die Gegner werden ausgelost und haben zwei Wochen Zeit, gegeneinander zu spielen. Zu jedem Spiel bringt jeder seine eigenen Figuren mit, das Spielfeld stellt der Verein zur Verfügung. Etwa 100 Euro muss man investieren, wenn man anfängt, die ersten Figuren zu erwerben.

Ganz wichtig sind die Würfel. Eine große Anzahl in verschiedenen Farben und Größen und bis zu 20 Seiten werden verwendet. Denn Tabletop ist zwar ein Strategiespiel, wie beim Schach muss man einen Plan entwickeln, die Absichten des Gegners erkennen und viele Züge im Voraus denken. Im Unterschied zum Spiel der Könige wird aber am Ende gewürfelt. Bei einem schlechten Wurf hätte Captain Ferrite das Tor verfehlt. Die Kombination aus Planung und Glück macht den Reiz aus, ähnlich wie bei den "Siedlern von Catan". Patrick Büchner und die anderen glauben, dass es gute und schlechte Würfel gibt, bestimmte Exemplare, die am besten zu Figur oder Gilde passen. Eigentlich sei das Quatsch, sagen sie, aber die meisten Tabletopper lassen niemand anderen ihre Würfel benutzen: "Würfel haben ihr Karma."

Maßarbeit

Tabletop ist ein bisschen wie auf einer Landkarte Soldaten hin- und herzuschieben, bloß dass der Würfel über Sieg oder Niederlage entscheidet. Vorläufer waren die sogenannten Königsspiele im 17. Jahrhundert, die dem Zeitvertreib, aber auch der militärischen und politischen Schulung dienten. Als unmittelbare Vorläufer des heutigen Spiels gelten Entwürfe des Barons Georg Johann von Reisswitz von Anno 1824. In Preußen wurde das "Kriegsspiel" verwendet, um Gefechtsübungen zu simulieren, die Regeln wurden immer ausgefeilter. General Karl von Müffling, Generalsstabschef des preußischen Heeres, erkannte das Potenzial für die Ausbildung und bald gehörten die Spiele zur Ausstattung jedes Regiments. Schon damals gründeten viele Offiziere eigene Vereine, in denen gespielt wurde, um strategische oder taktische Grundsätze zu üben aber auch zur Unterhaltung. Die Grundsätze waren denen des heutigen Strategiespiels sehr ähnlich. Notwendig ist taktisch kluges und flexibles Denken, um zu gewinnen. Die Figuren sind zwischen sechs und 54 Millimeter groß. Ein fertiges Spielbrett wie beim "Mensch ärgere Dich nicht" gibt es nicht, sondern nur Spielflächen, die sehr individuell gestaltet werden können. Weil bei jedem Spielzug die Entfernungen wichtig sind, für die Reichweite von Bewegungen oder Schüssen, werden Maßbänder und Zollstöcke verwendet. Gerade bei Turnieren und Ligaspielen kommt es auf jeden Zoll an. bip​

Tabletop ist Männersache, im Brucker Verein ist nur eine Frau. Die vier Männer, die an diesem Nachmittag an den Tischen schwitzen, führen das darauf zurück, dass Tabletop im Kern Kriegsspiel ist, angesiedelt zwischen Schach und dem Klassiker "Risiko", wo es gilt, Länder zu erobern. Außerdem haftet den Spielern der Ruf an, Nerds zu sein, was insofern unfair ist, als sie ihr Hobby in geselliger Runde im Verein betreiben, wie andere auch. "Beim ersten Date würde ich nicht verraten, dass ich Tabletop spiele", empfiehlt Büchner.

Allerdings könnte der Spruch, wonach hinter jedem starken Mann eine Frau steht, für Tabletop abgewandelt werden. Was Fans begeistert, ist der Umstand, dass nicht nur gespielt wird. Je nach Größe und Ausstattung bestehen Spielfiguren aus bis zu 60 Einzelteilen. Die müssen montiert werden und können bemalt werden. Einige Teilnehmer berichten, dass ihre Partnerinnen gerne die Zinnfiguren mit bunten Farben verzieren, entweder nach Vorlagen bei historischen Modellen oder sie können ihrer Fantasie freien Lauf lassen.

Außerdem gestalten Tabletop-Enthusiasten ihre Spielfelder selbst, was die Dimension des Modellbaus annimmt. In den Regalen in Puchheim stehen Fachwerkhäuser aus Holz, Wolkenkratzer aus Papier, Gebirgsformationen aus Pappmaché, dazu gibt es Accessoires wie Bäume, eine Wiese oder einen Schmiedeofen. In der zweiten Runde an diesem Nachmittag stellen die Tabletopper mittelalterlich anmutende Häuser auf ein Feld, das gepflasterte Straßen und Plätze zeigt. Die Ingenieurs-Gilde hat einen Vorteil: Ihr Maskottchen ist ein Adler und eine Figur hat einen Drachengleiter. Auf dem Weg zum Tor können sie über die Gebäude fliegen.

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