Mehrgenerationenprojekt:Oma zum Ausleihen

Mehrgenerationenprojekt: Rita Dasgupta (links) kümmert sich als "Leih-Oma" um zwei Buben. Isolde Kirchner-Weiß und Margarete Reifinger gehören zum Team, das das Projekt organisiert.

Rita Dasgupta (links) kümmert sich als "Leih-Oma" um zwei Buben. Isolde Kirchner-Weiß und Margarete Reifinger gehören zum Team, das das Projekt organisiert.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Rita Dasgupta hat noch keine eigenen Enkel, deshalb kümmert sie sich um die Buben einer fremden Familie. Damit ist sie Teil eines Projekts des Frauen- und Mütterzentrums in Germering.

Von Anja Kolnsberg, Germering

Rita Dasgupta hat eigentlich ein erfülltes Leben: Einen Job, eigene Kinder, soziale Kontakte. Und dennoch hat sie sich dafür entschieden, als Leih-Oma die Betreuung zweier Jungs, der eine fünf, der andere zehn Jahre alt, aus einer ihr völlig fremden Familie zu übernehmen - für die Germeringerin eine große Bereicherung. "Die beiden erinnern mich an meine eigenen Söhne in diesem Alter". Sie hat ihre zwei Kinder als junge Mutter allein großgezogen, das gemeinnützige Frauen- und Mütterzentrum in Germering habe ihr damals sehr geholfen. Nun möchte sie etwas zurückgeben, Zeit und Kapazität hat sie dafür. "Meine Lebensphilosophie ist, dass ein Geben und Nehmen in unserer Gesellschaft nicht immer mit Geld verbunden sein muss", sagt Dasgupta.

Dass sie es als alleinerziehende Mutter früher selbst oft nicht leicht hatte, hat sie nicht vergessen. Heute arbeitet sie als selbstständige Masseurin, in ihrer Freizeit trainiert sie Jugendsportmannschaften. Den Umgang mit jungen Menschen sei sie dadurch gewohnt. Sidecut-Frisur und ein oranges Shirt unterstreichen ihr offenes und dynamisches Auftreten. Mit Mitte 50 ist sie zwar noch nicht im klassischen Oma-Alter, aber mitmachen kann bei dem Projekt jeder, der sich dazu bereit fühlt. Ehrenamtliches Engagement ist für sie vor allem eine politische Frage. "Gemeinnützige Arbeit trägt unsere Gesellschaft", sagt sie. Dass sie nun als Leih-Oma arbeitet, habe besonders bei ihren eigenen Söhnen zunächst für Verwunderung gesorgt. Doch die beiden sind erwachsen und leben ihr eigenes Leben, Enkel sind noch lange nicht in Aussicht. Und statt darauf zu warten, hat Rita Dasgupta die "Nachwuchsplanung" lieber selbst in die Hand genommen.

Als Leih-Oma wachse man ganz anders als eine klassische Babysitterin in eine Familie hinein, erzählt sie. Gegenseitiges Vertrauen aufbauen könne man nicht von heute auf morgen, dieser Prozess brauche Zeit. Die Kinder seien von Anfang an prinzipiell sehr aufgeschlossen gewesen, aber besonders der Kleine hänge manchmal noch sehr an der Mama. Zweimal pro Woche besucht Dasgupta die Familie, um mit den Buben zu unternehmen, was Großeltern eben so mit ihren Enkeln machen: Bei gutem Wetter gehen sie raus zum Spielen, manchmal bringt sie die Kinder auch ins Bett uns liest ihnen eine Gute-Nacht-Geschichte vor. "Oma nennen mich die Kinder aber nicht. Sie haben mir erzählt, dass es sich komisch für sie anfühlen würde. Deswegen sagen sie einfach Rita".

Dasgupta ist durch ihren Beruf als Masseurin hauptsächlich mit alten oder kranken Menschen in Kontakt, Zeit mit Kindern zu verbringen, ist für sie ein erfrischender Ausgleich. "Das gibt einem so viel Lebensfreude und kann einen auch davor bewahren, depressiv zu werden", sagt sie. Genau das erhofft sich auch Margarete Reifinger, Diplompsychologin und Koordinatorin des Projekts "Leih-Großeltern", für ihre Teilnehmer. Mehrgenerationen-Haushalte werden immer seltener, oft wohnt die Familie weit weg. "Wenn die Kinder wegziehen, fehlt vielen älteren Menschen eine Aufgabe", sagt sie. Ihr Traum sei es, besonders alleinlebende Rentner und Rentnerinnen aus ihrer Isolation zu holen und ihnen zu einer neuen Aufgabe und Sinnhaftigkeit im Leben zu verhelfen. Dies erfordere allerdings Bereitschaft, sich auf eine neue Familie einzulassen, über Konflikte zu sprechen, zuzuhören und andere Arten von Umgang wertschätzen zu können.

Ein Umstand, den Rita Dasgupta vorab nicht bedacht hatte: Dass man mit den Kindern ja auch eine "Schwiegertochter" quasi gratis dazu bekommt. Aber auch zu ihr habe sie mittlerweile ein vertrautes Verhältnis. In ihrer Leih-Familie gibt es keine Großeltern in der Nähe, die Oma mütterlicherseits ist bereits verstorben, die Großeltern der väterlichen Seite leben in England. Manchmal habe die Mutter ihrer "Leih-Enkel" Redebedarf, dann hört Dasgupta zu und gibt Ratschläge. "Spannend ist, dass wir dabei im Grunde gesellschaftlich sehr unterschiedlich positioniert sind", sagt sie. Dass dadurch manchmal unterschiedliche Werte aufeinanderprallen, sieht sie als Bereicherung - vor allem für die Jungs, die so im Kindesalter verschiedene Ansichten und Lebensrealitäten mit auf den Weg bekommen. "Es ist einfach ein schönes Gefühl, wenn man seine Lebenserfahrungen und Werte weitergeben kann", sagt sie. Allzu genau möchte sie auf die familiäre Situation ihrer Leih-Familie allerdings nicht eingehen, auch weil sie sich über die Projektkoordination schriftlich dazu verpflichtet hat, die Privatsphäre der Familie zu wahren.

Bisher wenigen Leih-Omas steht bei dem Projekt eine hohe Nachfrage von Seiten junger Familien gegenüber. Es sei das Bedürfnis vorhanden, ältere Menschen in die Familie zu lassen, damit Kinder mit verschiedenen Erfahrungswerten in Berührung kommen. Projektkoordinatorin Margarete Reifinger würde sich deshalb wünschen, dass sich auch Ehepaare und "Leih-Opas" melden. "Den Kindern würde oftmals auch männliche Bezugspersonen guttun", sagt die Psychologin. Dass das bisher noch nicht vorgekommen ist, erklärt sie sich damit, dass diese Männer aus einer Generation stammen, die mit Kindererziehung nicht viel zu tun hatte. Bei ihnen nehme sie auch verstärkt das Bedürfnis wahr, in der Rente endlich mal so richtig frei von Verpflichtungen zu sein. "Ich glaube für viele potenzielle Leihgroßväter ist es schwer, da umzudenken."

Dabei soll das Arrangement für keine Partei eine Verpflichtung darstellen, ganz im Gegenteil: Von Seiten der Projektkoordination gibt es wenig Vorgaben darüber, wie das "Zusammenleben" gestaltet werden soll. Die Bedürfnisse, zeitliche Rahmen und gegebenenfalls die Finanzen können die Familien unter sich ausmachen. Je nach finanzieller Lage der Beteiligten betreuen manche Leih-Omas die Kinder auf rein ehrenamtlicher Basis, während andere durch eine Aufwandsentschädigung ihre Rente ein wenig aufstocken.

Reifinger entscheidet in erster Linie intuitiv, welche Interessenten zusammenpassen könnten. Hat sie ein "Match" gefunden, können Oma und Familie ein Kennenlern-Treffen vereinbaren und dann selbst entscheiden, wie es weitergeht. Dabei entscheiden oft Kleinigkeiten, ein Bauchgefühl oder eine subjektive Präferenz. Rita Dasgupta beispielsweise hat sich für ihre Leih-Enkel entschieden, weil die Jungs gerade in einem Alter sind, in dem sie gerne stundenlang auf dem Spielplatz herumtoben. "Genau wie bei meinen früher. Da bleibt man geistig und körperlich fit."

Wer Interesse hat, sich als Familie oder Leih-Großelternteil an dem Projekt zu beteiligen, bekommt per Mail an Margarethe@reifinger.de weitere Informationen.

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