Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingsunterkünfte:Bürgermeister kritisiert Überbelegung

Norbert Seidl wirft dem Landratsamt vor, die Flüchtlinge zu vergessen. Die Behörde verteidigt sich

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

In den Flüchtlingsunterkünften des Landkreises haben sich bislang 88 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Die meisten seien aber wieder genesen, niemand schwer erkrankt, teilten die Behörden mit. Der Puchheimer Bürgermeister Norbert Seidl (SPD) hat dem Landratsamt vorgeworfen, die Flüchtlinge zu vergessen. Aufgrund der Überbelegung sei es unmöglich, dort Abstandsregeln einzuhalten. Das Landratsamt wies die Vorwürfe zurück. Die Zahl der Neuinfektionen gehe auch in den Unterkünften zurück.

In den Häusern, die das Landratsamt verwaltet, wurden in den vergangenen Wochen insgesamt 59 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet. Davon seien etwa 44 wieder gesund. Die Zahl der Kontaktpersonen liege aktuell bei 52 Menschen, die in ihren Unterkünften in Puchheim, Gröbenzell, Maisach, und Olching geblieben sind. Die Infizierten hingegen werden in speziellen Quarantäne-Unterkünften in Puchheim und Gröbenzell untergebracht, außerdem hat das Landratsamt ein Gebäude des Kreisjugendringes in Gelbenholzen beschlagnahmt. In der Dependance Fürstenfeldbruck wurden bislang 29 Bewohner positiv auf das Coronavirus getestet. Von ihnen seien 25 wieder genesen, vier verbringen ihre Quarantäne in die Dependance Funkkaserne in München, teilte die Regierung mit.

Kontaktpersonen werden ebenfalls verlegt oder bleiben in abgetrennten Bereichen auf dem Gelände. Bislang hätten Infizierte aus der Fliegerhorst-Dependance keine oder nur leichte Symptome gezeigt, schwere Verläufe seien nicht bekannt. Um größerer Ansammlungen von Bewohnern zu vermeiden, wurden Tische und Stühle im Speisesaal auseinandergerückt, nur maximal 30 Personen bekommen gleichzeitig ihr Essen. Im Saal gebe es Desinfektionsspender, das Besteck werde ausgegeben.

Der Puchheimer Bürgermeister hatte die Zustände in der Unterkunft in der Siemensstraße in Puchheim gerügt, die permanent überbelegt ist. Die Überbelegung führe zu "unhaltbaren Zuständen und Spannungen". Für die Kinder fehle ein Spielplatz. Um die Masken müsse sich jeder selber kümmern und die Abstände seien in den langen, nur zwei Meter breiten Gängen kaum einzuhalten. Statt 160 Menschen leben derzeit aktuell 168 dort. Die Pressesprecherin des Landratsamtes widersprach den Darstellungen Seidls.

Infizierte würden nicht dort bleiben, sondern verlegt, sagte Ines Roellecke. Falsch sei der Vorwurf, für 50 Männer stünde nur ein funktionsfähiges Waschbecken zur Verfügung. Im zweiten Obergeschoss etwa befänden sich 18 Becken für 100 Menschen, sagte sie. Das Security-Personal sei dafür zuständig, dass die Quarantäne eingehalten wird, die Objektbetreuer achteten darauf, wer sich im Haus aufhalte, sagte Roellecke zu dem Vorwurf, die Security kontrolliere nicht, wer ein- und ausgehe.

Auch den Vorwurf, das Landratsamt lasse den Flüchtlingen keine Perspektive und die Vergessenen könnten in die Schattenwirtschaft abtauchen, widersprach die Pressesprecherin. Ihren Angaben zufolge, handelt es sich bei den Bewohnern der Siemensstraße zur Hälfte um anerkannte Flüchtlingen, die arbeiten dürfen. Bei den übrigen laufe das Verfahren oder sie seien abgelehnt worden. Wenn solche Flüchtlinge bei der Kreisbehörde eine Arbeitserlaubnis beantragen, würden sie diese "überwiegend" bekommen. Nach Angaben der Kreisbehörde wurden 102 Anträge aus dem ganzen Landkreis genehmigt und zwölf abgelehnt.

Asylhelfer mahnen immer wieder, dass alle Bewohner einer Unterkunft auf das Virus getestet werden sollen, sobald ein Infektionsfall auftritt. Das Landratsamt hält davon nichts. "Das ist eine Momentaufnahmen, die Scheinsicherheit vorspiegelt", sagte Lorenz Weigl, der Leiter des Brucker Gesundheitsamts. Getestet würden lediglich Flüchtlinge, die Symptome aufweisen. Allerdings räumte Weigl ein: "Das wird kontrovers diskutiert, das gibt es unterschiedliche Meinungen." Was die Schlachthöfe in anderen Bundesländern betrifft, in denen alle Mitarbeiter getestet wurden, sobald sich einige infiziert haben, erklärte Weigl: "Das ist eine politische Entscheidung." Das Brucker Gesundheitsamt wäge ab und halte sich an die Leitlinien des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Berlin.

Das RKI wollte sich dazu nicht äußern. Man kommentiere grundsätzlich nicht die Entscheidungen einzelner Behörden, sagte die Pressesprecherin. Sie wollte auch nicht sagen, ob die Bewohner von Flüchtlingsunterkünften anderswo getestet werden, sobald Corona-Infektionen auftreten, und ob das sinnvoll sei oder nicht.

Lediglich in Maisach und Gernlinden seien aufgrund einer privaten Initiative sämtliche Bewohner von Unterkünften von niedergelassenen Ärzten getestet worden, berichtet Roellecke. Dabei seien insgesamt fünf Infizierte ausgemacht worden. In einer der beiden Unterkünfte seien es drei von 38 Bewohnern gewesen. Hotspots, also gehäufte Fälle von Infizierten, seien in keiner Unterkunft im Landkreis aufgetreten, betont die Pressesprecherin des Landratsamtes.

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SZ vom 23.05.2020
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