Süddeutsche Zeitung

Flucht und Vertreibung:Mit dem Rücken zur Wand

Oberbayerns Landräte wissen nicht mehr, wie sie die vielen Flüchtlinge unterbringen sollen. Erste Landkreise belegen bereits wieder Turnhallen.

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Die Kommunen in Oberbayern wissen nicht mehr, wo sie weitere Flüchtlinge unterbringen sollen. Die oberbayerischen Landräte warnen nun nach ihrer Tagung in Fürstenfeldbruck noch einmal vor dem sich zuspitzenden Problem. "Wir stehen zunehmend an der Wand, weil es nicht endet", sagt Thomas Eichinger (CSU), Landrat aus Landsberg und Vorsitzender des Bezirksverbandes des Bayerischen Landkreistags. Damit fasst er die Sorgen zusammen, die die Landräte in diesen Tagen und Wochen quer durch die Republik quälen.

Die Kommunen, die die Geflüchteten aufnehmen, sehen sich zunehmend am Limit. Die Flüchtlingszahlen der Jahre 2014 bis 2016 seien längst überschritten, sagt Eichinger und prophezeit: "Wenn das ungebremst so weiter geht, werden wir um Turnhallen nicht herumkommen." Erste Kommunen sehen sich bereits zu dieser Maßnahme gezwungen. Den Landkreis Rosenheim nennt Eichinger bei einer Pressekonferenz als Beispiel, auch den Landkreis Mühldorf am Inn. Schon im Zuge der Flüchtlingskrise Mitte der Zehnerjahre waren Zugewanderte für einige Zeit in Turnhallen untergebracht worden - für die geflüchteten Menschen ein Leben ohne Privatsphäre auf engstem Raum. Gleichzeitig standen die Sportstätten für Schulen und Vereine monatelang nicht zur Verfügung.

Zwei Zelte für Flüchtlinge

Das sollte sich eigentlich nicht wiederholen, darüber waren sich die Landräte bislang einig. Das hatte auch Fürstenfeldbrucks Landrat Thomas Karmasin (CSU) als Präsident des Bayerischen Landkreistags vor geraumer Zeit betont. Für seinen Landkreis lässt er gerade Zelte aufbauen, jenes in Maisach steht, ist aber noch nicht bewohnt. Ein weiteres soll am Mammendorfer Freizeitgelände errichtet werden.

Karmasin fehlte am Dienstag unter den oberbayerischen Landräten, er weilte zeitgleich bei einer Pressekonferenz im Anschluss an eine Kabinettssitzung in München. Thema: dasselbe. Auch ist die Problematik keine speziell oberbayerische oder bayerische. Es gebe niemanden unter den Landräten Deutschlands, der das Problem nicht bestätigt habe, sagt Andrea Degl, Geschäftsführerin des Bayerischen Landkreistags.

"Es ist eine ganz schwierige Situation", betont Eichinger. Das Problem treffe auch noch auf einen extrem angespannten Wohnungsmarkt. Im Wohnungsbau sei viel zu wenig passiert, überdies sei er "überfrachtet mit Vorschriften". Keine günstigen Voraussetzungen dafür, dass es schnell neue Wohnungen geben könnte. Die Landkreise hätten bereits bei den Bürgermeistern der Städte und Gemeinden danach gefragt, wo noch Flüchtlinge untergebracht werden könnten. Die Resonanz? "Keiner bewegt sich, sondern hofft, dass die Sache an ihm vorübergeht", sagt Eichinger.

Der Landsberger Landrat warnt stellvertretend für seine Kollegen auch davor, dass die Lage negative Auswirkungen auf die Integration haben werde. Denn auch in den Kindergärten und Schulen fehle es an Plätzen und an Personal. Gerade jetzt aber brauche man mehr von dieser Infrastruktur, stattdessen gebe es wegen des Fachkräftemangel weniger davon. Und auch ehrenamtliche Flüchtlingshelfer seien längst nicht mehr so zahlreich wie noch 2015 und in den Folgejahren. "Das erschwert die Integrationsbemühungen", weiß Eichinger.

Wenig Erwartung von Gipfel

In der Bevölkerung werde die Situation indes noch gar nicht richtig wahrgenommen. Viele Bürger seien überrascht, dass "das Thema wieder eine Rolle spielt", ist Eichingers Beobachtung. Vom Flüchtlingsgipfel, den Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nun angekündigt hat, erwarten sich die oberbayerischen Landräte wenig. Eichinger stöhnt, als er danach gefragt wird: Die zurückliegenden Gespräche hätten nicht auf eine große Bereitschaft des Bundes schließen lassen. Wolle man aber weiterhin eine Willkommenskultur haben, seien Antworten nötig, wie das auf kommunaler Ebene gelöst werden könne. Auch einen Verteilungsmechanismus auf europäischer Ebene halten Oberbayerns Landräte für sinnvoll. Sie zweifeln aber daran. Man habe eher den Eindruck, "dass man die Dinge so laufen lässt", fasst Eichinger zusammen.

Andrea Degl wird noch einmal deutlich. "Wo führt dieser Weg hin?", fragt sie. Die Zuwanderung müsse "mehr in gesteuerte Bahnen laufen". Thomas Karmasin hatte es vor einer Woche in einer Präsidiumssitzung des Bayerischen Landkreistags so gesagt: "Ohne eine spürbare Begrenzung des ungesteuerten Zugangs vor Ort wird die Integration auf kommunaler Ebene scheitern."

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