Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge:Bunter Protest

400 Menschen, darunter zahlreiche Asylbewerber, ziehen durch die Fürstenfeldbrucker Innenstadt. Sie fordern einen leichteren Zugang zu Arbeit und Ausbildung und kritisieren den Landrat

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Mehr als 400 Menschen haben sich am Sonntag an einem Demonstrationszug durch die Brucker Innenstadt beteiligt. Auf Transparenten forderten sie einen leichteren Zugang für Flüchtlinge zu Ausbildung und Arbeit. Auf der Kundgebung vor dem Landratsamt kamen auch Betroffene zu Wort. Zudem nutzten Vertreter zahlreicher Parteien zwei Wochen vor den Landtagswahlen die Gelegenheit für eine Abrechnung mit Staatsregierung und CSU. Landrat Thomas Karmasin wurde mit in die Verantwortung genommen für seine angeblich besonders restriktive Asylpolitik. Karmasin hatte bereits vor der Demonstration klar gemacht, nicht erscheinen zu wollen. Er begründete dies sinngemäß damit, auch eine erneute Debatte über Arbeitserlaubnisse werde keine neuen Erkenntnisse bringen.

Eskortiert von Streifenwagen und angeführt von Organisator Hans Sautmann vom Helferkreis Eichenau sowie den Trommlern der Musikgruppe Diappo bewegte sich der Demonstrationszug vom Volksfestplatz über abgesperrte Straßen Richtung Landratsamt. Transparente mit Aufschriften wie "Vielfalt statt Einfalt", "Arbeit statt Depression" sowie "Herr Karmasin, Ausbildung ist Entwicklungshilfe" wurden hochgehalten. Besonders zahlreich vertreten waren die Flüchtlinge vor allem aus nord- und westafrikanischen Ländern und die Mitglieder von 13 Asylhelferkreisen aus dem ganzen Landkreis, mit dabei waren aber auch Kreispolitiker wie der Gröbenzeller Bürgermeister Martin Schäfer (UWG). Auf der Bühne hinter dem Landratsamt geißelte Sautmann die aus seiner Sicht viel zu repressive, unchristliche und unmenschliche Asylpolitik zulasten der "geflüchteten Mitbürger". Karmasin und den CSU-Spitzenpolitikern warf er die Verbreitung von "Unwahrheiten" vor. Bei der CSU habe "das Täuschen System". Zuerst werde die "Drei-plus-zwei"-Regelung propagiert (die abgelehnten Asylbewerbern den Abschluss einer dreijährigen Ausbildung sowie zwei weitere Arbeitsjahre in Deutschland ermöglichen soll), dann aber komme es zu Fällen wie jüngst in Passau, wo ein 18-jähriger Afghane überraschend an der Berufsschule verhaftet und in Abschiebehaft genommen worden war. "Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen", rief Sautmann in die Pfiffe und Buhrufe der Zuhörer. Seine Forderungen: Recht auf Arbeit drei Monate nach Einreichung des Asylantrags, Auflösung der sogenannten Ankerzentren und ein echter Spurwechsel.

Ein solcher Spurwechsel freilich ist dem Grünen-Landtagsabgeordneten Martin Runge nicht mehr genug. Fällig sei vielmehr ein "Richtungswechsel". Die Politik der CSU und von Karmasin bezeichnete er als "unsäglich", die Staatsregierung schade zudem dem Wirtschaftsstandort Bayern. Bei der Drei-plus-zwei-Regelung werde der Vollzug geltenden Rechts vom Landratsamt überheblich "als Zuckerl" angepriesen, so Runge mit Blick auf den Fall eines Afghanen in Mittelstetten. Auch SPD-Politiker Peter Falk mahnte "einen Richtungswechsel in Bayern" an. Betriebe beschwerten sich regelmäßig über den Landkreis Fürstenfeldbruck. Viele Flüchtlinge von heute würden morgen gut ausgebildet in ihre Heimatländer zurückkehren. Gerade für ein Land mit der Vergangenheit Deutschlands sei es gut, in freundlicher Erinnerung zu sein. Christine Berchtold-Benchieb von der V-Partei³ mahnte eine Bekämpfung der Fluchtursachen an. Mit seinem eigenen "Konsum und Wahlverhalten" könne jeder einen Beitrag leisten, dass dies geschehe. Die Politik dürfe "Menschen nicht zu Bettlern machen", pflichtete Susann Enders von den Freien Wählern bei. Ernestine Martin-Köppl von der Linken plädierte ebenfalls für eine "menschliche Politik". Mirella Heidegger von der Mut-Partei erinnerte die CSU an ihre Namensbestandteile "christlich und sozial". Arbeit sei die Voraussetzung für "Unabhängigkeit und Würde".

Betroffene, denen keine Ausbildungs- oder Arbeitserlaubnis erteilt worden ist oder wieder entzogen wurde, schilderten ihre Erlebnisse. So wie die 17-jährige Hadia aus Germering. Vor zwei Jahren kam sie mit ihrer Familie aus dem Irak nach Deutschland und schaffte hier den Quali mit guten Noten. Während ihre Schwester geduldet ist und arbeiten darf, werde ihr eine Ausbildung verweigert. "Ich verstehe das nicht, warum ist das so?" fragte sie. Über ähnliche Erfahrungen berichteten junge Menschen aus dem Iran, aus Somalia, Uganda und Nigeria, die teilweise ihre Deutsch-Sprachkurse aus eigener Tasche finanziert hatten und die nun doch fast täglich mit ihrer Abschiebung rechnen müssen. "Nur Taschengeld bekommen und nicht arbeiten dürfen, das ist doch kein Leben", sagte Ali, der aus Pakistan stammt, in Gröbenzell lebt und dem auch sein abgeschlossenes Studium nicht weiterhilft. Oder Priscilla aus Germering, die aus Nigeria stammt und den "sehr geehrten Herrn Landrat" bat, sich ihres Falls anzunehmen. Auf ihrer Flucht übers Mittelmeer vor drei Jahren habe sie "schreckliche Dinge erlebt" und sei dankbar für die Aufnahme in Deutschland. Sie habe als Zimmermädchen gearbeitet, ihr Mann bei einer Elektrofirma. "Wir haben Steuern gezahlt, das war ein gutes Gefühl." Weil es ihnen nicht gelungen ist, in Nigeria Ausweispapiere zu besorgen, sei die Arbeitserlaubnis entzogen worden. "Wir sind fleißig und anständig, aber jetzt sind wir wieder Bittsteller."

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Quelle:
SZ vom 01.10.2018
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