Fürstenfeldbruck:Wie aus dem Fliegerhorst ein Stadtviertel werden soll

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Etwa 220 Hektar misst allein der Fürstenfeldbrucker Teil des Fliegerhorsts. Hinzu kommen etwa 360 Hektar auf Maisacher Flur (im linken Bildbereich), die aber größtenteils unter Naturschutz stehen (die große graue Fläche wird von BMW genutzt, links oben die Start- und Rollbahnen). (Foto: Luftbildverlag Bertram/Stadt Fürstenfeldbruck)

Ein städtebaulicher Wettbewerb soll die Weichen stellen für die zivile Umgestaltung nach dem Abzug der Luftwaffe. Per Bürgerbeteiligung können die Einwohner nun mitentscheiden, was dort gebaut wird.

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Für Städteplaner dürfte das wie die Verheißung aufs Paradies klingen: einen ganzen Stadtteil quasi am Reißbrett entstehen lassen. Hier Häuser, dort Gewerbebauten oder Schule, Kita und Supermarkt, verbunden durch ein effizientes Straßen- und Wegenetz. So könnte das laufen mit dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck, wenn 2026 die Bundeswehr das riesige Militärareal im Nordosten der Kreisstadt, auf dem man 250 Fußballplätze unterbringen könnte, weitgehend räumt. Können hier wirklich nach Herzenslust Träume realisiert werden, während mit Blick auf die fortschreitende Bodenversiegelung in den meisten Architekturbüros das Kleinklein der Innenverdichtung den Alltag bestimmt? Mehr als zweifelhaft.

Der Fliegerhorst wird es nicht mit Mannheim, Karlsruhe, Manhattan oder Mexico City aufnehmen können. Denn es gibt ein Korsett, das bei den Planungen berücksichtigt sein will: viele Altbauten, die erhalten werden und dann auch genutzt werden sollen oder sogar wegen ihrer geschichtlichen Bedeutung unter Denkmalschutz stehen. Alt und Neu zu kombinieren, dies ist gleichwohl die große, spannende Herausforderung. Eine Herausforderung, die auch die Fürstenfeldbrucker annehmen können: Bei der nun beginnenden Bürgerbeteiligung sollen sie mitreden - über die großen Linien und über Details. Ideen können in den Auslobungstext des städtebaulichen Wettbewerbs einfließen, der im kommenden Jahr ausgeschrieben wird und wiederum als Basis dient für die Zug um Zug folgenden Bebauungspläne. Der Wettbewerb umfasst auch die Siedlung an der Lützowstraße außerhalb des Zauns, Richtung Innenstadt. Nadja Kripgans-Noisser, seit März 2019 bei der Stadt für die zivile Umplanung zuständig, dämpft freilich allzu abgehobene Ansprüche: Ein "Wünsch-dir-was" sei die Bürgerbeteiligung auch wieder nicht: Das letzte Wort haben die Politiker - die ja wiederum von den Bürgern gewählt sind.

Erläuternde Worte vor der Radtour: Daniel Schreyer vom Büro Hendricks und Schwartz und Konversionsmanagerin Nadja Kripgans-Noisser. (Foto: Stefan Salger)

Es wird nach Einschätzung von Experten noch um die 20 Jahre dauern, bis das neue Stadtviertel fix und fertig ist. Und doch haben die Einwohner gerade jetzt die größten Einflussmöglichkeiten, können Wünsche und Anregungen, aber auch Sorgen vorbringen. In den nächsten Tagen und Wochen sollen die Pläne zudem in den politischen Gremien der betroffenen Nachbarkommunen vorgestellt und diese angehört werden. Dass es auf dem Areal eine Mischung aus Wohnen und Gewerbe und im Idealfall Forschung geben soll, ist ausgemachte Sache. Vieles andere aber wirkt noch wie das buchstäbliche unbeschriebene Blatt Papier.

Der Fliegerhorst ist so etwas wie eine Blackbox, für viele jenseits der Bundeswehr eine Terra Incognita - unbekanntes Land. Begehrlichkeiten endeten meist an der Hauptpforte. Ein Bild machen konnten sich von dem weitläufigen, in Teilen verwaist wirkenden Gelände, auf dem schon mal Reh oder Hase den Weg kreuzen und Zauneidechsen, Schlingnattern, Laubfrösche, Fledermäuse sowie der Große Brachvogel leben, bislang lediglich die geladenen Besucher der Neujahrsempfänge, die Mitarbeiter der wenigen Unternehmen, die sich in einem der nicht mehr benötigten Häuser eingemietet haben, oder die Teilnehmer des alljährlichen Sicherheitstrainings des örtlichen Motorsportclubs. Zurzeit verrichten dort noch knapp 500 Bundeswehrangehörige ihren Dienst - vor der Auflösung des Jagdbombergeschwaders 49 im Jahr 1991 und dem endgültigen Ende des Flugbetriebs im Jahr 2003 waren es schon mal um die 2000 Soldaten gewesen.

An zwei Terminen werden im Zuge der Bürgerbeteiligungen Radtouren angeboten rund um das Gelände. Der militärische Bereich selbst ist allerdings tabu. (Foto: Stefan Salger)

Kripgans-Noisser versucht die Weichen für den Wettbewerb zu stellen und berichtet im regelmäßig tagenden Fachausschuss des Stadtrats über die Fortschritte. Mit Spannung verfolgen auch die Sportvereine die Entwicklung, verfügt der Standort doch über ein bestens gepflegtes Sportgelände mit einem vor nicht allzu langer Zeit renovierten Hallenbad aus den Dreißigerjahren. Gemeinsam mit Daniel Schreyer, dessen Büro den Prozess der Bürgerbeteiligung begleitet und moderiert, führt Kripgans-Noisser an zwei Samstagen Gruppen von Fahrradfahrern an, die sich selbst ein Bild machen wollen. Am ersten Termin lassen sich auch Maisachs Bürgermeister Hans Seidl, auf dessen Gebiet ein weiterer großer, bereits militärisch entwidmeter Teil des Fliegerhorsts liegt, sowie der BBV-Fraktionsvorsitzende Christian Götz und Grünen-Stadtrat und Verkehrsforum-Sprecher Thomas Brückner nicht von einstelligen Temperaturen und Nieselregen abschrecken. Das Militärgelände selbst bleibt für die Fahrradtour tabu, die Route führt außen am stacheldrahtbewehrten Zaun entlang. Schilder, die vor unbefugtem Betreten und Schusswaffengebrauch warnen, verdeutlichen den Status Quo.

Im September 2024 soll in der neuen Offizierschule in Roth erstmals unterrichtet werden. Dann steht das "Blaue Palais" für andere Nutzungen offen. Mindestens bis 2026 gilt aber: Betreten des Geländes verboten! (Foto: Stefan Salger)

Doch auch die Einblicke von außen genügen, um die Dimension und auch die Unwägbarkeiten dieser Herkulesaufgabe klar zu machen -noch bevor man die zugänglichen Bereiche der ehemaligen, fast drei Kilometer langen Start- und Landebahn erreicht, die vom Testzentrum der BMW Driving Academy auf Maisacher Flur genutzt wird. Klar ist bislang, dass es auf dem Brucker Teil eine Mischung aus Wohnen und Gewerbe und eine "Stadt der kurzen Wege" mit möglichst wenig Autoverkehr geben soll. Die Rede ist von etwa 1600 Wohneinheiten, das wären 3000 bis 4000 zusätzliche Bewohner, sowie etwa 3000 neuen Arbeitsplätzen - die im Idealfall teils von eben jenen Bewohnern besetzt werden. Für Grünflächen soll genügend Platz reserviert werden. 2013 hatte die private Hochschule für Management Interesse bekundet, sich dann aber doch gegen den Standort entschieden. Auch das "Blaue Palais" der Offizierschule, die im Herbst 2024 ins fränkische Roth verlegt werden soll, versuchten Stadträte einigen Hochschuleinrichtungen schmackhaft zu machen - bislang vergeblich. Für Aufsehen sorgte dann aber jüngst eine Pressekonferenz im Landratsamt, bei der vom Interesse eines Unternehmensverbundes die Rede war, der sich im Fliegerhorst ein Zentrum der Hightech-Medizin vorstellen könnte, das sich der Erforschung, Entwicklung, Produktion und Vermarktung auf dem Feld der Krebstherapien widmen könnte.

Der alte und der neue Tower (rechts hinten) gehören zum markanten Gebäudebestand. (Foto: Stefan Salger)

Noch ist das Zukunftsmusik, aber es wäre ganz nach dem Geschmack des Stadtrats und der Fürstenfeldbrucker Städteplaner. Auf jeden Fall wolle man bereits einen Plan haben, sofern man 2026 von der Bima den Schlüssel für den Fliegerhorst ausgehändigt bekomme, sagt Kripgans-Noisser (die Lehrmittelwerkstatt wird einem Sprecher der Bundeswehr zufolge als letzte Einheit vermutlich allerdings erst 2028 abgezogen). Die Bima, das ist die in Bonn ansässige Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, in deren Eigentum der Fliegerhorst ist. Die hat klargemacht, dass sie nichts zu verschenken hat. Fürstenfeldbruck hofft dennoch, zumindest Teile des Geländes zu einem vergünstigten Preis erstehen zu können, so wie dies die Bundespolitik in Aussicht gestellt hat. Ob die Kreisstadt freilich die zig Millionen Euro aufbringen kann, um das ganze Areal zu übernehmen und damit weitgehend freie Hand zu haben bei der Planung, steht in den Sternen. Ganz ohne finanzstarke Investoren ist so ein Brocken schwer zu schultern. Denkbar ist auch, dass die Bima einen Teil des Geländes selbst entwickeln will. "Wir sind in Gesprächen", sagt Kripgans-Noisser. Mit der Bima zu verhandeln sei freilich ähnlich wie mit der Bahn zu verhandeln, fügt sie augenzwinkernd hinzu. Es braucht einen langen Atem. Deshalb wird Nadja Kripgans-Noisser im Rathaus schon mal als "Marathonläuferin" bezeichnet.

Noch bis 2024 nutzt BMW Flächen auf Maisacher Flur - und auch zwei ehemalige Flugzeughallen - für die Driving Academy. (Foto: Stefan Salger)

Zu berücksichtigen sind die Ansprüche der Nachbarkommunen Emmering und Olching - sowie vor allem von Maisach, auf dessen Gemeindegebiet weitere etwa 360 Hektar bereits 2009 militärisch entwidmete Flächen liegen. 85 Prozent davon stehen mit ihren Magerwiesen als Flora-Fauna-Habitat-Gebiet unter strengem Naturschutz. In anderen Bereichen gibt es einen von Kiefern, Fichten, Eschen, Eichen, Hainbuchen und Ahorn dominierten Baumbestand.

Auf anderen Flächen hat Maisach eine Ortsumfahrung gebaut. Der ursprünglich geplante Bau einer Trabrennbahn wurde wieder aufgegeben. BMW wird sein Testzentrum 2024 schließen. Auf die beiden instandgesetzten Flugzeughallen, die von BMW genutzt werden, aber ebenso wie einer der bogenförmigen Shelter-Flugzeugbunker auf Fürstenfeldbrucker Flur liegen, haben die Städteplaner bereits ein Auge geworfen.

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Die Fahrradtour führt zunächst zum Gebäudekomplex rund ums ehemalige Unteroffiziersheim, der 2014 entwidmet und befristet bis 2023 als "Ankerzentrum" für Asylbewerber genutzt wird. Bei einem Stopp am Osttor des Fliegerhorsts geht es vor allem um die künftige Verkehrsanbindung. Die bereitet manchem Sorgen. Tausende neue Einwohner, das klingt nach mehr Autoverkehr und Staus - auch wenn die Planer noch Potenzial im Busverkehr sehen und den Weg ebnen wollen für ein Quartier, in dem sich vieles zu Fuß oder mit dem Rad erledigen lässt. Dafür freilich wäre ein Umdenken in der autozentrierten Gesellschaft erforderlich. Bürgermeister Hans Seidl ist da eher skeptisch, hat seine Gemeinde doch jüngst mehrere Hunderttausend Euro in zwei neue Buslinien investiert, deren Fahrzeuge aber trotz der hohen Treibstoffpreise meist ziemlich leer durch die Gegend fahren. Zu prüfen ist, ob sich der in den Dornröschenschlaf gefallene Gleisanschluss wiederbeleben und nutzen, vor allem aber bei den Planungen erst einmal freihalten lässt, wie sich dies Christian Götz wünscht.

Über das Osttor könnte künftig ein Teil des Verkehrs laufen. In dem Bereich gibt es auch ein stillgelegtes Bahngleis. (Foto: Stefan Salger)

Und ob sich eine Auffahrt an die Bundesstraße 471 schaffen lässt. Kripgans-Noisser zufolge gibt es über Mobilitätsstationen hinaus durchaus Visionen wie autonom fahrende Systeme, die man mit Fördermitteln der aktuellen Internationalen Bauausstellung in München voranbringen könnte. Sie macht aber auch klar, dass man wegen des möglichen Mehrverkehrs im Quartier nicht einfach deutlich weniger Wohnungen und Gewerberaum bauen kann. Es gebe einen "Entwicklungsdruck". So müssen die Kosten für die Grundstücke wieder hereinkommen. Zudem lassen sich Infrastruktureinrichtungen wie Kita, Supermarkt oder Arztpraxen nur von einer kritischen Größe an realisieren. Und die Beseitigung von Altlasten zum Beispiel durch Rückstände von Öl oder Löschschaum könnte in die Millionen gehen. Gutachten sollen hier möglichst bald Klarheit bringen. Maisachs Bürgermeister hat gegen die Konversion des Fliegerhorsts grundsätzlich wenig einzuwenden: besser einen neuen Stadtteil auf bereits versiegelten Flächen anlegen "als auf der grünen Wiese".

Info-Markt online noch bis Freitag, 14. Oktober unter www.brucker-stadtgespraeche.de . Dialog in der Stadt: Samstag, 15. Oktober, 13 bis 16 Uhr, Eingangsbereich des City Points in der Innenstadt, und Samstag, 22. Oktober, 13 bis 16 Uhr, im Eingangsbereich des AEZ-Marktes, Center Buchenau. Ready for Take-Off: Zukunft Fliegerhorst, Beteiligungsveranstaltung für die Jugend, Mittwoch, 26. Oktober, 18 bis 20.30 Uhr, Alter Schlachthof Auf der Lände.

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