Süddeutsche Zeitung

Olympia-Attentat 1972:Zwölf Namen, ein Schicksal und eine App

Der Landkreis stellt gemeinsam mit Fürstenfeldbrucker Gymnasiasten den digitalen Erinnerungsort für die Opfer vor.

Von Erich C. Setzwein, Fürstenfeldbruck

Der Wind ist so stark, dass er jeden Wortwechsel wegweht und schmerzhaft auf die Ohrhörer drückt, aus denen Erläuterungen zu hören sein sollten. Was und wann wo passierte auf dem Vorfeld des alten Towers von Fürstenfeldbruck am Abend des 5. September 1972. Wo welcher Hubschrauber stand, wie viele israelische Geiseln und palästinensische Terroristen sich in und vor den Hubschraubern aufhielten, wann das Feuergefecht mit den bayerischen Polizisten begann und wann die Situation ihr tödliches Ende fand. Neun israelische Sportler und ein Polizeibeamter kamen ums Leben, aber die Erinnerung an sie und die beiden Mitglieder der israelischen Olympiamannschaft, die bereits am Morgen jenes verhängnisvollen Tages ermordet worden waren, wird wachgehalten. Nicht nur durch die jährlichen Gedenkveranstaltungen, sondern seit dem 5. September vergangenen Jahres auch an einem digitalen Erinnerungsort. Die Seite im Netz (www.erinnerungsort-fuerstenfeldbruck1972.de) und eine App für Apple und Android sollen nicht allein an die Opfer erinnern, sondern Zusammenhänge aufzeigen, wie es zu dem Attentat in München und zu dem fatalen Versagen der Polizei in Fürstenfeldbruck kommen konnte.

Angesprochen werden sollen mit diesem digitalen Erinnerungsort vor allem junge Menschen, für die die Zeitspanne von nun mehr als 50 Jahren zu den Geschehnissen von damals riesig sein muss. "Alles war schwarz-weiß und grau damals", erinnert sich Landrat Thomas Karmasin, 60, als er bei der Vorstellung der App im Fliegerhorst Fürstenfeldbruck von Schülern des Graf-Rasso-Gymnasiums befragt wird. Von jenen Schülern, die im November vergangenen Jahres mit einer beeindruckenden Performance Yakov Springers gedachten, der in Fürstenfeldbruck ermordet wurde. Karmasin gab Auskunft über das Lebensgefühl, das damals alle erfasste, die die Farbigkeit und Vielfalt von Olympia nach München und in die Region brachten.

Die Schüler sind, auch wenn sie es vielleicht selbst noch nicht so sehen, durch ihre Präsentation im vergangenen Jahr bereits zu Mittlern der Zeitgeschichte geworden und erheben den Anspruch, dass dieses Ereignis "niemals im Dunkel der Geschichte verschwinden" darf, wie die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch, es bei der Veranstaltung im Tower formulierte.

Dass im Hellen bleibt, was passiert ist, dafür soll eben auch die App sorgen. Dafür muss man sich nicht in den Wind vor dem Tower stellen, sie funktioniert genauso gut auch an anderen Orten und in vier Sprachen: Deutsch, Englisch, Arabisch und Hebräisch. Sie dient als Übergang oder Zwischenstation, bis der authentische Ort des gescheiterten Befreiungsversuchs zu einem realen Ort der Erinnerung und des Austausches wird. Charlotte Knobloch dankte dem Landkreis, der diesen digitalen Erinnerungsort geschaffen hat, mit den Worten: "Sie haben ein gutes Werk getan."

Dem Dank schloss sich Carmela Shamir, Generalkonsulin des Staates Israel in München, an: "Es bedeutet mir viel, es bedeutet viel für Israel." Und Ulrich Reuter, Präsident des bayerischen Sparkassenverbandes, würdigte die Erinnerungsarbeit, die der Landkreis leistet, und unterstrich die "gemeinsame Verantwortung als Gesellschaft". Die Sparkassenstiftung tritt zusammen mit der Sparkasse Fürstenfeldbruck als Sponsor auf. Dass der Landkreis Fürstenfeldbruck allein seit 26 Jahren dieser Erinnerungsarbeit leiste, sei eine "Schande für meine Heimatstadt München und die Bundesrepublik Deutschland", sagte der Antisemitismusbeauftragte der bayerischen Staatsregierung, Ludwig Spaenle (CSU). "Es war politisch nicht opportun, zu erinnern", kritisierte er vehement, "hier ist verdrängt worden!"

Als die Gäste der Präsentation die App live vor dem Towergebäude ausprobieren, ist es an diesem Nachmittag eben der Wind, der so gut wie alles verdrängt, was vermittelt werden könnte. Im Tower selbst läuft die App aber auch und ist ohne Windgeheul vernehmbar, für die Gäste aus Landespolitik, Olympischem Komitee und Brucker Gymnasium, die das meiste schon wissen über Olympia 1972 und die Toten von Bruck und das deshalb weiterverbreiten können.

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