Fasching:Jeden Tag Aschermittwoch

An Home-Office haben wir uns ja schon gewöhnt. Aber Home-Fasching? Eine Bestandsaufnahme zwischen Katerstimmung und Galgenhumor

Von Stefan Salger

Nicht mal ganz ein Jahr ist es her, dass von einem auf den anderen Tag größere Menschenansammlungen tabu waren. Da wirkt der Bericht vom letzten Faschingstreiben in Olching wie aus einer anderen Zeit. Von einer "Farbenexplosion" berichtet am 25. Februar 2020 die SZ-Reporterin. Da steht sie auf dem Nöscherplatz, auf dem damals die Lebensfreude zu Hause gewesen sein muss. Ein Bild vom größten Faschingszug weit und breit zeigt den Olchinger Cowboy-Bürgermeister, den Cäsaren-Landrat und seine Marienkäfer-Stellvertreterin, wie sie vom Wagen aus Kamellen aufs Volk niederprasseln lassen. Lichtjahre her, das alles. Nur eines scheint Höhen und Tiefen überdauert zu haben: diese vermaledeite Maske, die mittlerweile freilich kein Indiz mehr ist für große Ausgelassenheit.

Fast ein Jahr später, am unsinnigen Donnerstag, an dem eigentlich mit dem Weiberfasching die heiße Phase eingeläutet werden würde, stehen wir also noch einmal auf jenem Nöscherplatz, um uns an die gute alte Zeit zu erinnern, die noch gar nicht so lange her ist: die Vor-Corona-Zeit. Vor knapp einem Jahr zogen die Wagenkolonnen zu dröhnenden Bässen und unter Gejohle durch die Orte. So war es in Gernlinden und Moorenweis. In Mammendorf säumten 7000 Zuschauer die Straßen, in der Faschingshochburg Olching waren es nach Schätzungen der Polizei sogar an die 20 000, die den obligatorischen Gaudiwurm an sich vorbeidefilieren ließen.

Der Nöscherplatz empfängt einen am Donnerstagnachmittag mit der Herzlichkeit eines Gefrierfachs. Es hat minus fünf Grad. Eine besonders eiserne Familie sitzt auf einer der Bänke an der Kirche. Von einem Kulturplakat blickt einen ein Bierdimpfel, oder genauer ein Schluckspecht neben einem Rotkehlchen, aus wässrigen Augen an. Ansonsten: weiße Wüste, soweit das Auge reicht. Nix los, keine Spur von Konfetti und von dem, was sein könnte, wenn Corona uns nicht einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht hätte.

Nicht weit weg wohnt Manfred Reindl. Der hat wenigstens was zu erzählen, kann berichten von rauschenden Festen und preisgekrönten Gefährten. Mit dem "Rattenfänger", der sich thematisch dem damaligen Wahlkampf und Bürgermeister Andreas Magg als Platzhirsch widmete, schossen er uns seine Kolleginnen und Kollegen vom Motorsportclub Olching vergangenes Jahr den Vogel ab: erster Preis bei der Prämierung der 27 Wagen. Reindl, 61, denkt gerne daran. Er hat ja gerade auch viel Zeit zum Nachdenken. "Mei, man nimmt es halt, wie es kommt, so lange man gesund ist", sagt er tapfer. Aber die Whatsapp-Gruppe ist kein Ersatz für die Brotzeiten, zu denen sich die vier Frauen und acht Männer normalerweise von November an regelmäßig trafen, um einen neuen Mottowagen auf die Räder zu stellen. Rückte der Fasching näher, werkelte die eingeschworene Truppe schon mal bis zu zehn Stunden am Tag. Dieses Jahr ist das Motto: nichts. Schnee räumen geht aber auch nicht den ganzen Tag, und die Karnevalssendungen im Fernsehen nerven mit der Zeit. "Seit mehr als 30 Jahren kümmere ich mich um den Fasching", sagt Reindl, "aber diesmal ist es wirk- lich zum Vergessen". Da war es inmitten der Wüste schon fast wie ein Leuchtturm, dass er seiner zweijährigen Enkelin ins Biene-Maja-Kostüm helfen durfte. So ähnlich stellt sich die Sache auch für Martina Klein-Minigshofer dar, die Präsidentin der Faschingsgilde Olching, die wiederum ausgerechnet in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen feiert. Bereits Anfang November ist bei dem 120 Mitglieder zählenden Verein das letzte Fünkchen Hoffnung verpufft. Das Training wurde eingestellt, das Vereinsleben ins künstliche Koma versetzt. "Natürlich blickt man in die Zukunft und plant weiter", sagt Martina Klein-Minigshofer. Aber noch ist offen, ob oder wann es wieder Inthronisationen mit 800 Gästen geben kann. Die zunächst für den Mai angesetzte Jubiläumsfeier ist jetzt erst mal auf unbestimmte Zeit verschoben. Vielleicht klappt es ja im Sommer oder im Herbst.

Und es gibt sie doch, die beglückenden Botschaften inmitten der Misere: Die Präsidentin macht eine kleine Andeutung, die dann vom Faschingsprinzenpaar Amelie I. und Luca I. bestätigt wird. Zum einen dürfen sie einfach ein weiteres Jahr weiterregieren - so etwas gab es schon mal, als der Fasching 1991 landauf landab wegen des Irakkriegs abgesagt worden war. Vor allem aber hat es zwischen Luca Maier, 23, und Amelie Nißel, 21, gefunkt - Fasching hin oder her. "So blöd das mit Corona und dem ausgefallenen Fasching auch ist - ich habe in Person der Prinzessin privat die Liebe meines Lebens gefunden." Luca Maier kann sich seinen Kindheitstraum, einmal selbst Faschingsprinz zu sein, also gemeinsam mit seiner Herzensdame doch noch erfüllen. Zudem war es nicht vergebens, mit Amelie so akribisch Schritte und Drehungen des Prinzenpaarwalzers einzustudieren. In Kürze soll ein Film über die beiden in den sozialen Medien und auf der Homepage der Faschingsgilde abrufbar sein. Wenn schon nicht leibhaftig, dann haben beide eben erst einmal virtuell ihren großen Auftritt.

Noch einen Schritt voraus ist das Kinderprinzenpaar der Olchinger Tanzfreunde. In einem Video auf der Homepage wenden sie sich schon höchst routiniert mit einer Grußbotschaft ans Volk. Die zwölf Jahre alte Melina Kessler und der gleichaltrige Hannes Wusenkow beherrschen augenscheinlich schon alles, was man als gekröntes Haupt so draufhaben sollte - und ja, auch die beiden hängen kurzerhand ein weiteres Jahr Regierungszeit hinten dran.

In Fürstenfeldbruck geht das ausdauernde Durchregieren leider nicht, wie Gildemeister Daniel Brando von der Heimatgilde erklärt - "auch wenn einem da das Herz schmerzt". Denn Prinzessin Lea Bissinger aus Fürstenfeldbruck und Prinz Noah Max Saatze aus Emmering, beide ebenfalls zwölf Jahre alt, wollen nach dem Fasching aufrücken in die nächste Altersstufe und damit in die Teenie-Tanzgruppe.

Fasching: Das Kinderprinzenpaar der Heimatgilde.

Das Kinderprinzenpaar der Heimatgilde.

(Foto: Heimatgilde)

Brando macht den Eindruck, als sei er nicht so schnell unterzukriegen. Es ist wohl auch wichtig für die 80 Tänzer und 40 Helfer, die den "harten Kern" der Heimatgilde ausmachen, so jemanden vorne dran zu haben. Auch ohne Feste kann man feiern: So haben sie an Freunde, Bekannte und Sponsoren Papiertüten verteilt, gefüllt mit närrischen Utensilien wie Pappnase, Luftschlangen, Hütchen und Tröte. Die Beschenkten sollen von ihrem Home-Fasching ein Selfie machen und es an die Heimatgilde mailen, daraus wird dann eine bunte Collage. Brucks Oberbürgermeister Erich Raff sei unter den ersten Rücksendern gewesen, erzählt Brando. Außerdem beteiligt sich die Heimatgilde an diesem Samstag am virtuellen Gardetreffen, das von 20 Uhr an live über Youtube gesendet werden soll. Zudem gibt es in den Reihen des Vereins einige besonders unbeirrte Faschingsfans, die sich regelmäßig zu Hause verkleiden und dann online zusammenschalten. "Den Humor dürfen wir wegen Corona nicht verlieren" mahnt denn auch Brando. Und das ist diesmal kein Witz.

Gleiches Bild bei den Brucker Faschingsfreunden, die bereits im Juli den für November angesetzten großen Galaball abgesagt hatten. Auf ein Prinzenpaar wurde verzichtet. "Auch ein produktives Training der Garden ist unter Einhaltung der Vorgaben nicht möglich", heißt es auf der Homepage des Vereins.

In normalen Jahren erhält die Germeringer Showtanztruppe Fun Unlimited Anfragen ohne Ende. Nun aber pausieren die 22 Tänzerinnen und Tänzer ebenso wie die Kinder- und Jugendgruppen. Seit Faschingsende 2020 läuft nichts mehr, bestätigt Zweiter Vorstand Gerhard Fuchs. Denn auch alle Bürgerfeste und Marktsonntage wurden ja abgesagt. Bald war auch mit dem im Juni wieder aufgenommenen Training erneut Schluss. Und so halten sich die Mitglieder der Showtanzgruppe per Videoschalte fit und feilen an der Choreografie. "Das ist natürlich kein Ersatz", stellt Fuchs fest, "aber immerhin bleibt man im Kontakt." Auf der Habenseite verbucht er, dass die 125 Mitglieder dem Verein bislang die Treue gehalten haben. "Nächstes Jahr sind wieder alle dabei", davon ist Fuchs fest überzeugt.

Bis nächstes Jahr muss man sich dann aber wohl das Faschingstreiben auf dem Nöscherplatz dazudenken. Nicht leicht angesichts der einladenden "Betreten- verboten"-Schilder am Brunnen. Ein kleines Highlight gibt's dann doch: Neben dem Friseursalon haben zwei Eiszapfen im gleißenden Licht einen Galaauftritt. Helau.

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