Süddeutsche Zeitung

Fahrradverkehr:Mit Abstand besser

Auch wenn immer mehr Menschen im Landkreis mit dem Fahrrad unterwegs sind, so passieren doch nicht mehr Unfälle. Das höhere Aufkommen der Zweiradfahrer stellt die Polizei aber vor neue Probleme

Von Erich C. Setzwein, Fürstenfeldbruck

Die Strecke durch den Wald ist fordernd. Die Federgabel überträgt die Stöße in die Handgelenke, das Bild wackelt, als der Radler über die von geschickten Trailbauern illegal angelegte Schanzen springt. Eine falsche Bewegung, ein Ausrutscher zu viel - und der Sturz ist unabwendbar. Zu sehen ist so ein Malheur im Wald zwar nicht, aber die Videos über den MTB-Trail oberhalb Emmerings zeigen, wie viel Fun die Radler auf ihrer Strecke gehabt haben müssen. Doch der Weg durch den Wald ist Vergangenheit, seit dort Anfang April ein 69-Jähriger mit seinem Bike so schwer stürzte, dass er an den Folgen starb. Doch dieses tragische Ereignis scheint in den Berichten der Polizei über Radunfälle im Landkreis nicht auf. Der Unfall ereignete sich nicht auf öffentlichem Grund und wird deshalb statistisch nicht erfasst. Die 42 Fahrradunfälle der vergangenen Monate im Bereich der Polizeiinspektion Fürstenfeldbruck dagegen schon. Und auch die 26, die die Olchinger Beamten aufgenommen haben. Und nicht zuletzt im Dienstbereich der Polizeiinspektion Germering die 68 Radler, die einen Unfall hatten und die Polizei dazugerufen wurde. Alles Zahlen, die sich zunächst nach recht viel anhören. "Ist es aber nicht", sagt Andreas Ruch, stellvertretender Leiter der Inspektion, "wir haben weniger Unfälle von Radfahrern als im gleichen Zeitraum 2019".

Wie kann das sein, wo doch allem Anschein nach in diesen Tagen und Wochen viel mehr Radler auf den Straßen und Wegen zu sehen sind. "Gefühlt sind mehr als sonst unterwegs", schildert der Verkehrssachbearbeiter der Brucker Polizei, Oliver Erhardt, die aktuelle Situation. Ja, sagt auch Winfried Nassl, stellvertretender Leiter der Olchinger Polizeiinspektion, der Schein trüge nicht, es seien viele Radfahrer auf den Straßen, aber eben auch weniger Autos. "Seit Pfingsten sind mehr Radler unterwegs", hat Andreas Ruch festgestellt, seither häufen sich auch die Meldungen über Unfälle von und mit Radfahrern, die die drei im Landkreis zuständigen Polizeidienststellen veröffentlichen.

Der Fahrradverkehr nimmt zu im Land-kreis, gefördert einerseits durch den Radwegebau, wie etwa derzeit im Grafrather Ortsteil Mauern, durch die neuen gesetzlichen Möglichkeiten seit der Anpassung der Straßenverkehrsordnung im April, die den Radlern mehr Rechte einräumen. Wenn nun zwei Radler nebeneinander auf der Straße fahren, so ist das keineswegs illegal, sondern vom Gesetzgeber ausdrücklich erlaubt, und wer so unterwegs ist, den müssen motorisierte Fahrzeuge seither auch mit viel größerem Abstand als vorher überholen.

Deutlich sichtbar ist der Boom in den Fahrradgeschäften. Dort liegen mittlerweile Wartelisten auf, die Lieferfristen für Räder mit und ohne Elektroantrieb sind länger geworden.

Adi Stumper vom Vorstandsteam des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs in Fürstenfeldbruck (ADFC) beobachtet seit einiger Zeit, dass viele Autofahrer inzwischen auf die Gegenfahrbahn fahren, um zu überholen und die Radler nicht mehr das Gefühl haben, dass der Außenspiegel den Lenker berührt. Vor allem auf den Landstraßen sei zu sehen, wie Autofahrer Rücksicht nähmen. Für den 61-Jährigen, der seit 27 Jahren dem ADFC angehört, gäbe es kaum etwas Schöneres, als mehr Radler auf den Straßen des Landkreises. "Die Verkehrsplanung muss eine andere werden", fordert er nicht zum ersten Mal, wo doch die Planungen bislang nur die motorisierten Verkehrsteilnehmer priorisiere. Radwege und Schutzstreifen, bezeichnete und vor allem neue Routen: All das soll in Zusammenarbeit mit dem Landratsamt im Radverkehrskonzept seinen Niederschlag finden. Dann könnten vielleicht auch mehr von jenen Gefahrenstellen beseitigt werden, wo sich Radler und Autofahrer zwangsläufig begegnen und die Unfallgefahr am größten ist. Stumper meint Anfang und Ende von Radwegen, Einmündungen und Kreuzungen, wo es zu Kollisionen kommt.

Zum Thema Abstand nehmen fällt Stumper noch ein, dass viele Menschen in den vergangenen Wochen und Monaten weder öffentliche Verkehrsmittel noch das eigene Auto benutzt haben "für Strecken zwischen fünf und 15 Kilometer". Während der staatliche verordneten Ausgangsbeschränkungen war das Radfahren ja erlaubt. Sport sollte ja betrieben werden können. So haben sie nach Einschätzung der Polizei auch viele Menschen, die sonst auch kurze Wegstrecken mit dem Auto zurücklegen, besonnen und sind aufs Rad umgestiegen. "Ich sehe viele Ungeübte", gibt ADFC-Vorstandsmitglied Stumper an. Ein Indiz: Radler, die Straßen befahren, "wo sie sonst mit dem Auto fahren, anstatt die zum Teil ja gut beschilderten Radrouten zu nutzen: "Die kennen sich nicht aus."

Mehr Unfälle als in den vergangenen Jahren hat es deshalb aber nicht gegeben. Zumindest nicht so schwere, dass die Polizei davon erfuhr. Denn eigentlich fast jeder Sturz, jede Kollision birgt für Fahrradfahrer das Risiko einer schweren Verletzung. Sei es, weil ein Radler "mit dem Handy gespielt hat", wie Oliver Erhardt sagt, oder eine viel zu hohe, nicht mehr beherrschbare Geschwindigkeit gefahren wurde. Im Bereich der Olchinger Polizei, der die Stadt Olching, den Nachbarort Gröbenzell, die Gemeinde Maisach mit ihren vielen Ortsteilen sowie das Gemeindegebiet Egenhofen umfasst, sind zwischen 1. März und 30. Juni 26 Unfälle mit 24 verletzten Radlern aufgenommen worden. Im gleichen Zeitraum 2019 waren es 33 mit 29 Verletzten. Dabei spielen die Unfälle mit Pedelec und E-Bike eine untergeordnete Rolle, wie Winfried Nassl an Zahlen von 2019 erläutert. Im ganzen vergangen Jahr habe es nur fünf Unfälle mit solchen Rädern gegeben.

Auch die Germeringer Beamten, die seit dem Neuzuschnitt der Dienstbereiche vor über einem Jahr neben Germering und Gilching auch die Stadt Puchheim und die Gemeinde Eichenau betreuen, verbuchen für das erste Halbjahr weniger Verkehrsunfälle. So liegt die Gesamtzahl bei 1039 - 127 Menschen wurden dabei verletzt - im Ver-gleich zu 2019, als es im gleichen Zeitraum 1334 Unfälle mit 154 Verletzten gab. 68 Radunfälle wurden heuer aufgenommen, 2019 waren es 81.

"Und auch die Zahl der Wildunfälle hat abgenommen", sagt Andreas Ruch nebenbei. Eine Folge des geringeren Verkehrs während Corona: 57 Zusammenstöße mit Wildtieren ereigneten sich heuer, im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres waren es 74.

Was Ruch aber mehr interessiert als Zahlen, ist, wie es auf den Straßen und Radwegen inzwischen zugeht. "Es fehlen angepasste Geschwindigkeit und gegenseitige Rücksichtnahme, es wird gefahren auf Teufel komm raus." Das Unfallgeschehen und das Verhalten der Fahrradfahrer gäben Anlass, als Polizei anders vorzugehen. Bislang seien die Möglichkeiten begrenzt, Radfahrer könnten bei Kontrollen immer noch leicht davonfahren. Welche Maßnahmen in Germering geplant sind, kann Ruch noch nicht sagen, nur so wenig: "Wir werden uns neu aufstellen."

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Quelle:
SZ vom 25.07.2020
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