Fachtagung in Fürstenfeld:Unterwegs-Esser

Die mobile Gesellschaft sitzt kaum mehr am Tisch. Sie lässt sich lieber außer Haus versorgen. Das wirft neue Probleme auf

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Das Essen an Tisch und Tafel wird immer seltener. Essen "im Stehen, im Gehen, zwischendurch oder als Snack", sagt Barbara Wittmann, sei dagegen immer verbreiteter, weil die Gesellschaft immer mobiler und flexibler wird und sich weniger Zeit für die Essenszubereitung nimmt. Wittmann beschäftigt sich am Lehrstuhl für Vergleichende Kulturwissenschaft der Universität Regensburg unter anderem mit dem Thema Esskultur. Wie diese sich entwickelt hat und welchen Trends sie folgt, zeigte sie den 80 Teilnehmern der Fachtagung "In Gemeinschaft richtig gut essen" auf, die das Brucker Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten am Dienstag im Veranstaltungsforum Fürstenfeld ausrichtete. Wittmann sagt auch: "Das gemeinsame Essen wird zur Randerscheinung". Durch die weitere Zunahme der Single-Haushalte werde im Alltag vor allem außer Haus gegessen, es werde Essen bestellt und feste Mahlzeitenstrukturen gingen verloren. Nur ab und an werde Essen dann zum Eventerlebnis, etwa wenn sich Freunde zum Sonntagsbrunch träfen.

Die Tagungsteilnehmer, die vorwiegend in Gemeinschaftsverpflegungseinrichtungen tätig sind, sehen sich damit vor neue Herausforderungen gestellt. Was und wie sollen die Menschen dort in Zukunft essen? Lange sei Esskultur eine Mangelgeschichte gewesen, erläutert Wissenschaftlerin Wittmann. Fleisch, Milch, Eier und Butter seien auch in den beiden Weltkriegen rar gewesen. Später wird der Verzehr von Fleisch alltäglich, in den Achtzigerjahren wächst beim Verbraucher dann das Unbehagen über intensive Tierhaltung und Lebensmittelskandale. Damit einher geht die Verunsicherung: Was kann oder soll ich eigentlich noch essen?

Mittlerweile bevorzugten immer mehr Menschen - sie sind zumeist jung, weiblich, gut gebildet, urban - vegetarische und vegane Kost, wählten Bio oder Fairtrade und geben sich bei der Ernährung gesundheitsbewusst. "Die Lust auf Fleisch nimmt ab", betont Wittmann. Gleichzeitig nehme das Bewusstsein dafür zu, woher die Lebensmittel stammten. Die Menschen verfügten aber über weniger Ernährungskompetenz, weil sie immer weniger selbst kochen. Die Esskultur sei nunmehr auch "moralisch aufgeladen", sagt Wittmann und macht dies am Bild des strengen Veganers und des Fast-Food-Fleischessers deutlich. Für Gemeinschaftsverpflegungseinrichtungen wie Kitas, Schulmensen, Betriebskantinen, Krankenhäuser und Altenheime bedeute es eine "große Herausforderung", die verschiedenen Ernährungs- und Lebensstile zu bedienen und zufrieden zu stellen.

Auch andere Probleme der Außer-Haus-Verpflegung wie etwa das der Lebensmittelverluste in Großküchen sind noch nicht gelöst. Das üppig bestückte Frühstücksbuffet, halb voll zurückgehende Teller in der Schulmensa, zu große Portionen in den Altenheimen: Immer noch landen viele wertvolle Lebensmittel im Abfall. Dominik Leverenz, Doktorand am Lehrstuhl für Abfallwirtschaft und Abluft der Universität Stuttgart, zeigt auf, dass in den Küchen der Außer-Haus-Verpflegung vor allem Ware nach dem Kochvorgang weggeworfen wird, für deren Zubereitung zuvor jede Menge Energie aufgewendet wurde. Das jährliche Vermeidungspotenzial allein in Bayern entspreche 73 000 voll beladenen Lastwagen.

Wie also kalkulieren, wenn in gastronomischen Einrichtungen mehrere hundert Gäste täglich in kurzen Zeiträumen bewirtet werden sollen? Abfallmengen messen und deren Entstehungsort und Ursachen herausfinden, empfiehlt Leverenz. Ein von Wissenschaftlern der Uni Stuttgart entwickeltes Erfassungstool namens "Resource Manager Food" könne dabei helfen. Auch der Verbraucher könne dazu beitragen. So würden beispielsweise die meisten Bäckereien bis Ladenschluss immer das ganze Sortiment bereit halten, sagt Leverenz: "Der Kunde will immer seine Auswahl haben."

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