Ex-Schlagerstar in Germering:Überall Botschaften

Katja Ebstein zeigt in der Stadthalle, wie sie in ihrer fast 50 Jahre dauernden Karriere den Weg vom leichten Musicalhit zum kritischen Lied genommen hat. Das Publikum bekommt aber auch die Schlager von ihr zu hören, die sie berühmt gemacht haben

Von Karl-Wilhelm Götte

Germering: STADTHALLE - Konzert Katja Ebstein

Sie ist an diesem Abend erkältet, doch sie gibt alles. Katja Ebstein singt das, was man von ihr kennt, aber auch viele politische und sozialkritische Lieder.

(Foto: Johannes Simon)

Langsam kommt im erwartungsvollen Publikum etwas Ungeduld auf. Katja Ebstein lässt auf sich warten. Sie kommt eine Viertelstunde zu spät auf die Bühne und hat eine Tasse Tee dabei, die Sängerin in Hose und Schlabberpullover mit der roten Schleife der Aids-Hilfe am Revers, ist erkältet. Doch sie versöhnt ihr Publikum sofort mit "Wein' nicht um mich, Argentinien" aus dem Musical Evita. "Es gibt einen missionarischen Drang in mir", sagt Ebstein und bereitet sogleich ihr Publikum auf viele sozialkritische und politische Lieder vor. Sie weiß, dass dieser Schwerpunkt ihres Schaffens nicht allen gefällt, oder sich die Geister daran scheiden. Das nimmt die 69-Jährige jedoch bewusst in Kauf und tritt deshalb auch in kleineren Sälen auf. "Das Missionieren finden Leute gut", sagt Katja Ebstein, "oder sie kritisieren mich dafür." In Germering ließ sie sich im kleineren Amadeussaal der Stadthalle platzieren. Ihr Konzert war ausverkauft.

In der fast 50-jährigen Karriere Ebsteins, die auch Theater spielt und Bücher schreibt, hat sich ein großes und abwechslungsreiches Repertoire angesammelt. So präsentiert sie auch in Germering die ganze Palette vom Musical-Song, Chanson bis zum sozialkritischen und politischen Lied. Und natürlich ihre beim Eurovisions Grand Prix prämierten Schlager. Wie geschaffen füreinander, wird Ebstein seit vielen Jahren von Stefan Kling am Piano begleitet. "Ja, Kinder", ist ihre bevorzugte Anrede für das Publikum, "jetzt kommt wieder der Missionar durch", sagt sie, als sie ein Lied über "geordnete Bürger und Wirtschaftskriminelle" ankündigt. Anschließend setzt sie die Lesebrille auf und schaut auf ihren Ablaufplan. "Muss mal gucken, wo wir sind", sagt sie und setzt die Brille wieder ab.

Angekommen ist sie bei Heinrich Heine, den Ebstein als "Abgott unter den Dichtern" bezeichnet. "Der saß immer zwischen allen Stühlen", sagt sie und singt seine Ballade von den schlesischen Webern von 1845: "Ein Fluch dem König, dem König der Reichen . . . und "Deutschland, wir weben dein Leichentuch, wir weben hinein den dreifachen Fluch." Dann kommt wieder Ebsteins Anrede an den Saal: "Ja, Kinder, mit solchen Liedern wurde er als Menschenrechtler eingesperrt." Als "Rettung" propagiert die Sängerin, Konflikte "in Liebe und Versöhnung" zu lösen. Passend dazu singt sie "Ein Kuss bleibt Kuss, trotz all der Barbarei, ganz egal, wohin die Zeit uns treibt, die Liebe bleibt", das Rocksänger Klaus Lage bekannt gemacht hat. Dann wieder die Berliner Göre: "Feste Jungs, macht weiter so, wir bekommen schon alles kaputt."

"Wollen sie noch einen kleinen Missionar hören?", fragt sie dann wieder die Zuhörer. Ohne die Antwort abzuwarten, interpretiert sie Udo Lindenbergs Text "Wozu sind die Kriege denn da?" Sie singt angemessen leise, aber dann den Refrain "Wir leben noch, ist das wunderbar, dieses Jahr, nächstes Jahr" aus voller Kehle. Heftiger Applaus des Publikums. Dann geht Ebstein in eine halbstündige Pause. "Mir gefällt der Stil und die Texte zum Nachdenken", zeigt sich eine Besucherin aus Gilching begeistert. "Das ist genau das, was ich mit vorgestellt habe, gerade auch die politischen Texte." Die Sängerin Ebstein erinnere sie an Cläre Walldoff, eine Berliner Kabarettistin und Sängerin, die besonders in den Zwanzigerjahren ihr Publikum begeistert hat.

"Ihre Stimme ist in der Tiefe beeindruckend", lobt eine Zuschauerin aus Puchheim die Ebstein. "Sie hat sich schon verändert, ist viel zeitkritischer geworden", kommentiert ein Besucher aus Krailling das Programm. Trotz der Erkältung sei ihre Stimme erstaunlich. "Ich bin begeistert, dass sie noch so gut ist", sagt eine ältere Besucherin aus Germering, die von Ebstein sehr angetan ist. Ihr Ehemann hätte gerne noch mehr Chansons gehört. Doch auch nach der Pause kommen nur wenige. Ebstein singt "Wilde Wasser" aus dem Jahre 2003. "Mehr Courage, mehr Rücksicht, mit den Herzen denken", heißt es dort. Einige Zuschauer versuchen den Saal anzuklatschen, doch der zieht nicht mit. Dann wieder die vertraute Anrede "Kinder". Ebstein erzählt etwas über ihr Lebensmotto. Einmal das Streben nach Sicherheit, aber auch immer ein Risiko eingehen. "Sich über Schicksal und Zeit zu erheben", formuliert sie. Ebstein interpretiert "Inshallah", einst von Adamo gesungen. Das Publikum fühlt sich vom Volumen ihrer Stimme spürbar berührt. Einzelne Bravo-Rufe mischen sich in den heftigen Applaus. Beeindruckend auch Ebsteins deutsche Version von Sinatras "My Way", die sie Berlin widmet, der Stadt, die sie nie wieder als Reichshauptstadt erleben wolle. Sie wünscht sich ein Berlin, wo die Straße frei bleibt von Nazischmierereien und Fremdenfeindlichkeit. "Dass endlich ungestört zusammenwächst, was zusammengehört."

Es kommen auch ihre bekannten Schlager, auf die viele im Saal gewartet haben. "Theater, Theater" ist etwas zum Mitklatschen und "Wunder gibt es immer wieder" zum Mitsingen. Das Publikum spendet begeisterten Applaus. Ebenso für das Lied der Friedensbewegung der Achtzigerjahre "Sag mir, wo die Blumen sind." Auch ihr Ex-Ehemann Christian Bruhn klatscht begeistert. Er sitzt in der ersten Reihe, viele Lieder für Ebstein, die als Karin Ilse Witkiewicz in Schlesien geboren wurde und seit ihrer zweiten Ehe Karin Ilse Überschall heißt, hat er vertont und produziert. "Sie ist eine der großen Sängerpersönlichkeiten", schwärmt Bruhn von der Künstlerin.

Bevor Ebstein ihre Zugaben beginnt, wünscht sie sich "ein heiles Herz für alle", auch für die "Delegierten". So bezeichnet die Künstlerin Politiker. Von denen verlangt sie, keine Soldaten mehr in den Einsatz nach Afghanistan oder nach Mali zu schicken. Diese Botschaft musste die Missionarin vor dem Ende ihres Konzerts noch loswerden.

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