Essay zur Talentförderung:Nicht jeder Begabte kann es schaffen

Klavierspieler im Kinderhaus der Johanniter, Junge aus einer sozial schwachen Familie.

Egal ob Klavier, Geige, Flöte oder sonst ein klassisches Instrument, die Konkurrenz ist auf dem Weg zum Berufsmusiker ist groß.

(Foto: Florian Peljak)

Nur wenige hoch talentierte junge Musiker werden in Zukunft angemessene Beschäftigungen finden

Von Klaus Mohr

Es sind unvergessliche Momente für alle Verwandten, wenn hübsch angezogene Kinder ihre ersten Konzerterfahrungen auf der Bühne machen. Hier lässt sich erkennen, ob das eigene Kind deutlich schneller als seine Altersgenossen das Klavier- oder Geigenspiel erlernt. Vielleicht kommt noch der glückliche Umstand hinzu, dass das Kind länger übt, als es der Lehrer erwartet. Die Bewunderung für das junge Genie ist groß, und es kann durchaus sein, dass bald erste Preise bei "Jugend musiziert" folgen. Ein neues Wunderkind ist quasi geboren, das sich ganz altersuntypisch für die Musik Mozarts oder Bachs interessiert. Aus einem wunderbaren Hobby wird aber später nicht zwangsläufig auch eine tragfähige Berufstätigkeit.

Setzen sich sehr positive Erlebnisse mit dem Erlernen eines Instruments über die Jahre fort, so kann der Schüler schon bald auf eine fast zehnjährige "Musikerkarriere" zurückblicken. Dann kann es sein, dass die Interessenslage auch in der Pubertät durch die gegenseitige Befruchtung von stetigem Erfolg und großem Übungsfleiß erhalten bleibt. Bei aller menschlichen Unsicherheit ist das Instrument oft der verständnisvollste Partner in Krisenzeiten. Spätestens in dieser Zeit kommt oft die Idee auf, das Zentrum des Lebens zum Beruf zu machen, also Musik zu studieren. Was liegt scheinbar näher, als sich ganz dem Instrument zu widmen und eine Karriere im Orchester anzustreben, vielleicht sogar Solist zu werden? Alle Musikhochschulen bieten heute für Hochbegabte ein Jungstudium an, in dem sie schon während der Schulzeit nach bestandener Eignungsprüfung Instrumentalunterricht bei einem Professor erhalten können, und das fast ohne Kosten.

In den letzten drei Jahren lag die Zahl der Anmeldungen zur Eignungsprüfung für ein Bachelorstudium Querflöte in der künstlerischen Studienrichtung an der Münchner Musikhochschule jeweils bei deutlich über einhundert. Davon sind zwischen fünfzig und sechzig Bewerber angetreten, von denen jeweils fünf die Eignungsprüfung bestanden und damit einen Studienplatz erhalten haben. Damit wird deutlich, dass die Wahrscheinlichkeit, ein Studium beginnen zu können, bei weit unter zehn Prozent liegt. Die eigentliche Hürde aber steht erst nach oft hervorragend abgeschlossenen Examina bevor: Auf jede frei werdende Orchesterstelle, die ein halbwegs sicheres Einkommen ermöglicht, bewerben sich oft über einhundert erstklassige Instrumentalisten.

Viele der ausgezeichneten jungen Musiker, die eine glänzende Karriere als Instrumentalist oder Sänger vor Augen hatten, werden ihr ursprüngliches Ziel letztlich nicht erreichen können. Sie müssen ihr Berufsleben mit ständig wechselnden Projekten und ein bisschen Unterricht meistern, um finanziell über die Runden zu kommen. Kurzum: Die vielen professionellen Musiker werden kaum ein ausreichendes Publikum vorfinden. Doch auch für die, die sich das Unterrichten nicht nur als Notlösung vorstellen können, wird es eng. Musikschulen kämpfen seit Jahren um Schüler und damit auch um Stellen für ihre Lehrer. Aus Verantwortung um junge Menschen müssen alle Beteiligten begreifen, dass es in erster Linie darum gehen muss, Alternativen aufzuzeigen und Jugendliche nicht zu einem Weg zu ermuntern, der in den meisten Fällen wenig aussichtsreich sein dürfte. Vielmehr muss sich die Nachwuchsförderung noch nachhaltiger mit attraktiven Angeboten um die Breite kümmern.

Wer Klassikkonzerte heute beobachtet, der blickt im Zuschauerraum auf einen großen Silbersee: Der Großteil der Zuhörer hat die Lebensmitte bereits zum Teil deutlich überschritten. Alle Münchner Institutionen, das gilt für die Profiorchester und die Theater gleichermaßen, haben inzwischen in irgendeiner Weise ein Education-Programm etabliert. Sie beschäftigen Theaterpädagogen, führen speziell ausgerichtete Konzerteinführungen durch oder gehen in kleinen Gruppen in die Schulen, um Instrumente und Musik vorzustellen. Hier wird viel Mühe und Geld investiert mit dem entfernten Ziel, das Konzertpublikum von morgen zu akquirieren. Bedenkt man, dass die Haltedauer eines Abonnements in der Regel nur noch wenige Jahre beträgt, dann wird deutlich, welche Herkulesaufgabe es hier zu schultern gilt.

Der Eindruck im Landkreis Fürstenfeldbruck täuscht, denn hier laufen die Konzertreihen zum Beispiel in Gröbenzell und Fürstenfeld ausgezeichnet. In München aber mussten in den vergangenen Jahren bereits Kammermusikreihen schließen, bundesweit sind immer wieder Orchester von der Verkleinerung oder Auflösung zumindest bedroht. Nur, wenn es gelingt, durch eine breite Förderung möglichst vieler junger Menschen eine lebenslange Begeisterung der Erwachsenen für die Musik als Hobby zu erreichen, haben klassische Konzerte in Zukunft ausreichend Publikum und Laienchöre Mitsänger.

Klaus Mohr ist Dozent an der Hochschule für Musik und Theater in München. Der 53-Jährige schreibt außerdem seit 1999 für die Fürstenfeldbrucker Lokalausgabe der Süddeutschen Zeitung über klassische Musik.

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