Erstaufnahme:Herrmann und Raff blitzen ab

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Der Brucker Stadtrat stimmt geschlossen gegen eine Vereinbarung zwischen Oberbürgermeister und Innenministerium zur Asyl-Unterkunft am Fliegerhorst. Streitpunkt ist die Zahl der Flüchtlinge

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Die Sitzung des Stadtrats am Dienstag verdient das Prädikat "denkwürdig". Denn Oberbürgermeister Erich Raff (CSU) hat beim Thema Asyl-Erstaufnahmestelle gegen die Vorlage der eigenen Verwaltung und auch gegen den gesamten Stadtrat inklusive CSU-Fraktion gestimmt - ein bislang in der Kreisstadt einmaliger Vorgang. Damit ist die Einigung mit dem Innenministerium, die Raff schon in greifbarer Nähe wähnte, wieder in weite Ferne gerückt.

Zu der überraschenden Wendung kam es, weil Raff am Nachmittag vor der abendlichen Stadtratssitzung die Einladung von Innenminister Joachim Herrmann (CSU) angenommen hatte. Gemeinsam mit Landrat Thomas Karmasin (CSU) als Chef der Ausländerbehörde verhandelte er in München über den Entwurf der Fraktionsvorsitzenden für eine gemeinsame Erklärung von Freistaat, Kreisstadt sowie Landkreis "zur Fortsetzung der Nutzung des Standorts Fliegerhorst als Aufnahmeeinrichtungs-Dependance". Ergebnis: Das Ministerium signalisierte Bereitschaft, zehn von elf Punkten zu akzeptieren. Erstmals kam damit auch Bewegung in die Frage der Laufzeit. Die Regierung pochte bislang auf einen Betrieb bis 2026 und sagte lediglich eine Bedarfsprüfung 2023 zu. Die Stadt wollte den Spieß umdrehen, wenn sich schon keine Befristung bis 2022 durchsetzen lässt. Die Einrichtung soll Ende 2023 geschlossen werden. "Im Einvernehmen der Vertragsparteien" wäre aber "im Notfall" eine Verlängerung um zweimal je ein Jahr möglich. Keine Zugeständnisse machen will das Ministerium, wie Herrmann Raff und Karmasin deutlich gemacht haben soll, beim Punkt Höchstbelegung. Die soll von einst 1600 und aktuell 1100 lediglich auf 1000 reduziert werden. Der Stadtrat pochte immer auf 300 bis 500, würde nun aber 800 Personen akzeptieren. Wiederum nur im Notfall sollte übergangsweise eine Überschreitung um bis zu 200 Personen akzeptiert werden. Bedingung: eine "heterogene Belegung". Dies bedeutet, dass der Anteil der Menschen aus Ländern mit geringer Bleibeperspektive reduziert werden soll - vier von fünf Bewohnern der Unterkunft am Fliegerhorst stammen aus Nigeria, deren Anerkennungsquote liegt bei etwa 17 Prozent.

In der Sitzung am Dienstagabend machte Raff den Stadträten deutlich, dass weitere Verhandlungen mit dem Ministerium im Punkt Belegungslimit hoffnungslos seien. Akzeptiere der Stadtrat das nicht, so habe man ihm unverblümt klargemacht, platze die Vereinbarung. Raff: "Entweder ihr tragt das mit, oder der Vertrag kommt nicht zustande." Dazu aber waren die Stadträte nicht bereit. So verwies Ulrich Schmetz (SPD) darauf, dass 1000 Flüchtlinge für Bruck nicht verkraftbar seien und es in vergleichbaren Städten wie Garmisch oder Waldkraiburg lediglich 200 beziehungsweise 600 Plätze gebe.

Herwig Bahner (FDP), der bislang immer einen harten Kurs gegenüber der Regierung propagiert hatte, zeigte sich nachdenklich. Bewege sich die Regierung in zehn von elf Punkten, dann solle man darüber nachdenken, ob man das Bewohnerlimit akzeptieren könne, sofern dieses beispielsweise an eine "Durchmischung" geknüpft sei. Auch Alexa Zierl (Die Partei und Frei) mutmaßte, man stehe "knapp vor einer Einigung". Dennoch stimmten alle Stadträte, so wie vorgesehen, für das gemeinsam ausgearbeitete Papier und damit auch fürs reguläre Belegungslimit von 800 Personen, obwohl selbst dieses nicht nur dem Integrationsreferenten Willi Dräxler (BBV) "Bauchschmerzen" bereitet. Raff soll damit erneut in Verhandlungen treten.

Ob diese aussichtsreich sind, ist offen. Christian Stangl (Grüne) rügte Raff denn auch wegen der öffentlichen Behandlung des Themas, durch die man Verhandlungsspielraum einbüße. Dass es überhaupt Spielraum gibt, kann sich Landrat Karmasin kaum vorstellen. Er will sich an weiteren Verhandlungen nicht beteiligen. Innenminister Herrmann sei der Stadt weit entgegengekommen. Er begreife nicht, dass diese sich weiter verweigere. Eine "Politik nach Befindlichkeiten" und "ohne die Vernunft einzuschalten" sei für ihn "extrem bedauerlich". Karmasin: "Dann sollen sie selber verhandeln, ich bin raus aus der Geschichte." Raff verteidigte am Mittwoch auf Nachfrage die Terminwahl für das Gespräch: "Ich bin vom Innenminister eingeladen worden, und so ein Gesprächsangebot schlägt man nicht aus."

© SZ vom 28.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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