Süddeutsche Zeitung

Erneuerbare Energie:Stromerzeuger mit vier Haustüren

Wärmetauscher, Erdwärmepumpe, PV-Anlage: Dieses Plus-Energie-Gebäude aus Holz produziert mehr Energie als es verbraucht. Die Brucker Volkshochschule lässt sich das Projekt von Umweltbeirat Martin Lohde erläutern

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Das lang gestreckte Gebäude duckt sich hinter der altertümlichen Garage, als habe es etwas zu verbergen. Dabei muss sich dieses Haus nicht verstecken. Es produziert mehr Energie als die Mietparteien benötigen. Zudem ist es aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz errichtet und speichert 81 Tonnen CO₂. Wer meint, dass sich all dies sicher nicht rechnen kann, der täuscht sich: Das Haus nahe dem Fliegerhorst, das die Brüder Martin und Stefan Lohde gebaut haben, ist zwar kein Schnäppchen. Die Energiespartechnik amortisiert sich dank der Zuschüsse aber in absehbarer Zeit. Grund zur Klage hat bestenfalls der Kaminkehrer - mangels Kamin.

Der Fürstenfeldbrucker Volkshochschule (VHS) ist dieses Plus-Energie-Haus ein paar Tage vor dem Einzug der Mieter einen Besuch wert. Für Georg Tscharke muss die Ortsbesichtigung des Neubaus an der Lützowstraße so etwas wie eine Win-win-Herzensangelegenheit sein. Er ist nicht nur Vorsitzender des VHS-Fördervereins, sondern auch des Brucker Umweltbeirats. Und aus dieser Sicht ist so eine klimaschonende Mischung aus Low- und Hightech höchst spannend. Unter den Teilnehmern sind gute Bekannte, die Tscharke von Stadtratssitzungen kennt: Thomas Brückner von den Grünen und Christian Götz von der BBV. Auch die Grafrather Grünen-Stadträtin Monika Glammert-Zwölfer ist gekommen. In gewisser Weise sind auch die Christsozialen bestens im Bilde. Denn ein weiterer Bruder der beiden Bauherren ist der CSU-Fraktionsvorsitzende Andreas Lohde. Das Haus könnte der örtlichen Politik also als Blaupause dienen, wenn es um Themen wie Bebauung, Förderprogramme und Stadtbild in Bereichen jenseits des Zentrums geht.

Die Führung übernimmt Martin Lohde. Der Landschaftsarchitekt und Organisator der "Gartentage" gehört seit in dieser Amtsperiode dem Umweltbeirat an. Wenn es um Holzhäuser in Passivbauweise geht, kennt sich der 52-Jährige aus. Er wohnt mit seiner Familie seit zwölf Jahren in einem. Der Neubau an der Lützowstraße steht direkt neben einem Altbau aus dem Jahr 1936. In dem ist Martin Lohde gemeinsam mit seinen vier Geschwistern aufgewachsen, seine Mutter lebt heute noch dort. Um nicht mit dem Denkmalschutz ins Gehege zu kommen, wurde auf ein ausgebautes Dachgeschoss verzichtet, das Haus "duckt" sich mit seinem mäßig geneigten Dach also hinter der Garage, die zum Bestand zählt.

Bei der Besichtigung sind zwei Experten beteiligter Firmen dabei. Schnell wird klar, dass so ein Haus aus Fichtenholz in Holzständerbauweise für viele Menschen nicht aus Kostengründen erste Wahl ist, sondern wegen des ganz eigenen Raumklimas. Das profitiert auch vom Einbau einer energiesparenden Lüftungsanlage, die den kontinuierlichen Luftaustausch bei minimalem Wärmeverlust sicherstellen soll - jeder Raum hat in dem Brucker Haus einen eigenen Einlass nebst Wärmetauscher. Sie selbst wolle ihr Holzhaus nicht mehr missen, sagt Sonja Neuerer von der in Windach ansässigen Holzbaufirma. Etwa jedes fünfte Haus in Deutschland wird heute so gebaut. Recycelter Zellulose-Dämmstoff wird in die Holzrahmen eingeblasen, und in zwei oder drei Tagen werden die vorproduzierten Fertigteile auf dem Baugrundstück montiert. Lohde schätzt die Baukosten für das Wohnquartett inklusive Technik auf etwa eine Million Euro, abzüglich der Zuschüsse, die wohl etwa zwölf Prozent der Summe ausmachen dürften. Zudem gibt es günstige Kredite der KfW-Bank.

Das Gebäude ist 16 Meter lang und symmetrisch geteilt. Sichtbar wird die vertikale und horizontale Längstrennung in vier Wohnungen beim Blick von Süden aus. Jede verfügt über gleich große Fensterflächen bis zum Boden. Und jede Wohnung wartet mit der gleichen Sichtachse auf: vom nördlichen Zugang aus blickt man bis zur Glasfläche und somit direkt ins Grüne. Ebenso wie die Lüftung sind die "verborgenen Werte" zunächst unsichtbar: Die beiden Photovoltaikanlagen mit je bis zu 20 Kilowatt Maximalleistung auf dem Dach wären nur sichtbar, wenn man auf einen der mächtigen Bäume im Garten steigen würde. Die Erdwärmekollektoren mit einer Fläche von etwa 80 Quadratmetern sind 1,50 Meter tief unter der frisch angesäten Wiese vergraben. Und der Technikraum im Keller hat eher die Dimension einer Besenkammer, weil kein Öltank untergebracht werden muss. Ein 600 Liter fassender Pufferspeicher für Warmwasser sowie Installationen für Wasser und Strom finden locker Platz. Gleich vor der Tür werden noch Batterien installiert, die einen Teil des überschüssigen Stroms speichern sollen. Ob sich dieses Investment rechnet, ist offen. "Ein bisschen Idealismus gehört da halt auch dazu", räumt Lohde ein.

Das Haus verbraucht laut Prognose jährlich 13 000 Kilowattstunden und erzeugt selbst 18 000. Lohde will in der Garage zwei Stromzapfsäulen installieren, an denen Elektroautos mit dem Überschuss aufgeladen werden können. Die Erzeugung von Strom lohnt sich, wenn man ihn weitgehend selbst verbraucht. Höchst effizient ist es natürlich, ihn auch zum Betrieb der Wärmepumpe einzusetzen, die aus jeder Kilowattstunde den fünffachen Ertrag in Form von Wärme für die Fußbodenheizung zur Verfügung stellt. "Dach und Garten heizen das Haus", stellt Martin Lohde fest. Das findet auch sein Bruder Stefan toll. Er wird in eine der gut 60 Quadratmeter großen Wohnungen im Erdgeschoss einziehen. Weil Teile des Kellers über große Fenster verfügen und das Gelände davor abgeböscht ist, wächst die nutzbare Fläche auf mehr als hundert Quadratmeter - komfortable Verhältnisse für einen Zweipersonenhaushalt.

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Quelle:
SZ vom 09.11.2020
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