Süddeutsche Zeitung

Klimaschutz:Lernen vom Energiedorf am Lech

Fuchstals Bürgermeister Erwin Karg erläutert bei Ziel 21, wie seine Gemeinde schon in wenigen Jahren mehr Strom und Wärme erzeugen will, als sie selbst benötigt.

Von Erich C. Setzwein, Mammendorf

Die Energiewende könnte so einfach sein. Hätte man nur so einen Kommunalpolitiker wie Erwin Karg. Der Bürgermeister der Gemeine Fuchstal im Landkreis Landsberg ist auf dem Weg, bis 2030 seiner Kommune Energie-Autarkie zu verschaffen. Allein mit erneuerbarer Energie aus Wind, Sonne und Biogas. Und vielleicht noch ein wenig Wasserstoff. Wie er das noch bewerkstelligen will, was er schon geschafft hat und wie alles mit allem in der 4200-Einwohner-Gemeinde zusammenhängt, das erzählt der 58-Jährige gern. Am liebsten in seinem Dorf oder draußen im Wald vor den vier Windrädern, zu denen bis Herbst noch drei weitere kommen sollen. Für Besuche wie in Mammendorf bei Ziel 21 habe er eigentlich keine Zeit, sagte Karg so unverblümt, wie er den Besuchern der Info-Veranstaltung im Bürgerhaus den Weg seiner Gemeinde zur Klimaneutralität erklärt hatte. Doch weil der Fürstenfeldbrucker Ziel-21-Vorsitzende Gottfried Obermair sein Freund ist, ist er doch gekommen. Mit seinem elektrisch angetriebenen Golf, der 100 Kilometer für nur einen Euro fahre. Mit dem eigenen Strom für sieben Cent die Kilowattstunde.

Was den Kommunalpolitikern, die Ziel 21 nach Mammendorf eingeladen hatte, deutlich wird an diesem Abend, ist die unglaubliche Chuzpe, mit der Karg seine Vorhaben vorantreibt. Man merkt ihm an, dass er dafür lebt und dass er aber auch viele schon vor den Kopf gestoßen hat. "Ich bin ein Unguter", sagt er über sich, und auch noch, dass er sehr nachtragend sei. Alle die, die in den Fuchtsaler Ortsteilen Leeder, Asch und Seestall gegen die Windräder sind und alle, die in den mit Genehmigungsverfahren beteiligten Behörde sitzen, wissen das. Karg vermittelt den Eindruck, dass sich alle Vorschriften so auslegen lassen, dass sie Fuchstaler Vorstellungen entsprechen. Er kommt als Macher rüber, aber einige in der Kommunalpolitik sehr erfahrene Besucher dieses Abends schauen aus, als würden sie gleich den Kopf schütteln wollen über die Frechheiten im Umgang mit Andersdenkenden, die Karg plaudernd von sich gibt.

An den Tatsachen aber führt kein Weg vorbei: In dem Energiedorf am Lech werden jährlich 25 Millionen Kilowattstunden Strom verbraucht. Derzeit produziert die Gemeinde als Eigentümerin der Windkraft- und Photovoltaikanlagen jährlich 39 bis 45 Millionen Kilowattstunden, und wenn im kommenden Jahr die drei gerade genehmigten Windräder dazukommen, summiert sich der Strom aus den Erneuerbaren auf 60 bis 65 Millionen Kilowattstunden. Die noch vor allem im privaten Betrieb befindlichen fossilen Heizungen dürften in den kommenden Jahren ersetzt werden durch einen Anschluss an das Nahwärmenetz oder durch Umstellung auf Wärmepumpen. Dann hätte Fuchstal etwa um das Jahr 2030 herum die Klimawende geschafft. Die Grundlast wird über eine privat betriebene Biogasanlage abgedeckt, die auch Wärme für öffentliche Gebäude und Wohnhäuser liefert, die Spitzenlast übernimmt eine Hackschnitzelheizung. Während derzeit das Biogas noch aus nachwachsenden Rohstoffen wie Gras und Mais erzeugt wird, könnte es in naher Zukunft auch mit Abfällen aus der Biotonne beschickt werden, meint Karg: "Wir denken weiter."

Lediglich zwei Windräder stehen bislang im Landkreis Fürstenfeldbruck

Dass die Gemeinde, die in den vergangenen 20 Jahren einen vergleichsweise starken Zuzug erlebt hat, so etwas wie eine Vorzeigefunktion hat, das ist in vielen Medienberichten der vergangenen Jahre deutlich geworden, und auch derzeit werden die Fuchstaler gern als Ausnahmeerscheinung dargestellt. Denn woanders, und das trifft vor allem auch auf den Landkreis Fürstenfeldbruck zu, klappt die Energiewende halt nicht nach Plan. Von den vielen Standorten mit ausreichend Wind, die einmal kartiert wurden, sind lediglich zwei mit Rotoren bestückt worden. In Maisach überlegt man nun, zwei zu bauen, vielleicht noch ein drittes, aber die Abstandsregelung 10 H verhindert noch, dass der Umstieg von Öl und Gas auf die Erneuerbaren bald klappen könnte.

Doch keine Gemeinde im Landkreis kann einen polternden, aber tatkräftigen Bürgermeister wie Erwin Karg vorweisen, in wenigen Kommunen wird es einen Kämmerer wie in Fuchstal geben, mit dem man "auf die Jagd gehen" könne, wie Karg ihn lobt und damit den Schulterschluss zu einem engen Mitarbeiter demonstriert, der alle Fördertöpfe abschöpft, die es abzuschöpfen gibt. Und auch einen "Winni", wie ihn Karg vorstellt, dürfte es nicht geben, der mal schnell der Gemeinde Versorgungsleitungen in den Boden legt, während in anderen Kommunen noch an Ausschreibungstexten gefeilt wird.

Fuchstals Bürgermeister gab den Besuchern mit auf den Weg, dass er keine Investoren in seiner Gemeinde wünscht. "Das Geld bleibt im Dorf." Und die Bürger, die sich privat an den Windrädern beteiligen, könnten mit hohen Ausschüttungen rechen. Begonnen habe man bei sechs Prozent, 2018 waren es schon 18 Prozent Dividende. Und für die drei neuen Windräder seien Anteile über 6,8 Millionen Euro gezeichnet worden, fast doppelt so viel Geld, wie man investiere. So will man in Fuchstal gemeinsam die Energiewende schaffen. Man müsse eben, sagt Karg, "a bissl mitdenken, net rumflennen".

Wie Fuchstal die Energiewende schaffen möchte: "Vom Winde verwöhnt"

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