Süddeutsche Zeitung

Ein Haus voller Barbiepuppen:Die Puppenspielerin

Peggy Gerling besitzt eine der größten Barbie-Sammlungen in Deutschland. Bis heute ist sie von der Spielzeugfigur ebenso begeistert wie vom Marketingkonzept

Heike A. Batzer

Sie trägt ein eng anliegendes schulterfreies Kleid. Festliches Schwarz, mit Paillettenglanz. Die Knie umspielt ein üppiges Volant aus schwarzem Tüll. Die Arme stecken in überlangen Handschuhen. Um den Hals trägt sie eine Kette, die Augenlider sind hellblau geschminkt, darüber ein dicker Lidstrich. Sechziger Jahre. Eine elegante Erscheinung, diese "Barbie Nummer vier". Sie war die vierte Barbiepuppe, die der US-amerikanische Spielzeugkonzern Mattel auf den Markt gebracht hat - und Peggy Gerlings erste Barbiepuppe. Peggy Gerling war damals zehn Jahre alt und spielte, wie viele Mädchen bis heute, "stundenlang Barbie".

Ganz vorsichtig nimmt sie "Barbie Nummer vier" aus der großen Glasvitrine, die die ganze Zimmerbreite ausfüllt. Neben "Barbie Nummer vier" stehen unzählige weitere Barbies, auch Ken ist dabei. Wie viele es sind, weiß Peggy Gerling nicht: "Ich habe sie nie gezählt. Ich weiß nur, es sind nicht genug." Wie das halt so ist bei Sammlern. Einmal damit angefangen, will man immer mehr. Peggy Gerling sammelt schon seit vielen Jahren Barbiepuppen. Inzwischen hat sie so viele, dass manche sagen, dort in dem Haus im kleinen Allinger Ortsteil Biburg befinde sich eine der größten Barbie-Sammlungen in Deutschland, möglicherweise sogar in ganz Europa.

"Es sind Erinnerungen an meine Kindheit, und ich hatte eine sehr schöne Kindheit", sagt die gebürtige US-Amerikanerin, die aus dem Bundesstaat South Carolina stammt, in den USA Französisch und International Business studiert hat - und der Liebe wegen in Deutschland geblieben ist. 1959 gab es die erste Barbie zu kaufen, dunkelhaarig, im Badeanzug. Sie blieb nur drei Monate auf dem Markt, genau wie "Barbie Nummer zwei". "Barbie Nummer drei" gab es dann sechs Monate lang. Alle drei Modelle hat Gerling später für ihre Sammlung erworben, sie stehen nebeneinander in der Vitrine. "Barbie ist die erfolgreichste Puppe in der ganzen Welt, in der ganzen Geschichte der Menschen", sagt die Sammlerin. In Deutschland kennt Barbie jeder, der Bekanntheitsgrad liegt bei hundert Prozent. Eine Statistik aus dem Jahr 2010 besagt, dass jedes Mädchen in Deutschland im Durchschnitt sieben Barbiepuppen besitzt.

Für die elegante 63-Jährige, die das brünette Haar zu einem Knoten hochgesteckt hat, hat die Sammelleidenschaft auch ein bisschen missionarische Züge: Barbie ist auch "ein starkes Marketingprogramm", sagt Gerling. Die ersten Puppen trugen nur Badeanzug, also brauchten sie was anzuziehen. "Und Mattel hat immer irgendwas Neues angeboten, das die Kinder dann unbedingt haben mussten." Outfits für jede Gelegenheit, für jede Passion, für jede Profession. Alltags-Fashion und Abendgarderobe. Mit allen Details, die frau braucht. Peggy Gerling nimmt ein Barbie-Miniaturhandtäschchen aus dem Schrank, öffnet es ganz vorsichtig und holt den Inhalt heraus: Ein Mini-Brillenetui mit Mini-Brille, ein klitzekleiner Kamm, eine Bürste, eine Puderdose mit einer Mini-Puderquaste innen drin und einem B hinten drauf. B für Barbie. Mattel hat an alles gedacht. Und natürlich, als Sammlerin möchte Peggy Gerling auch die Accessoires vollständig haben. Sie legt alles in das Täschchen zurück und gibt Barbie die Tasche wieder an die Hand.

Die Geschichte von Barbie ist untrennbar mit der Geschichte von Lilli verbunden. Peggy Gerling erzählt gerne von den Zusammenhängen, die zu Barbies Erfindung führten. Von Lilli, einem Cartoon in der Bild-Zeitung, die es später auch als kleine Puppe gab. Schlank, schmal, blond. Und von Ruth Handler, der Mitbegründerin der Firma Mattel, die eine solche Lilli in der Schweiz gesehen und dabei die Idee hatte, selbst eine Puppe auf den Markt zu bringen, die man immer wieder neu erfinden könne, indem man sie immer wieder neu einkleidet.

Auch Peggy Gerlings Barbiepuppen spiegeln diese bunte Vielfalt wider. Barbie als Lehrerin, Barbie als Köchin, Barbie im Hawaii-Look, Barbie als Märchenfigur, Barbie als Skifahrerin und, immer wieder, Barbie elegant. Es ist vor allem der Look der Sechzigerjahre, den Peggy Gerlings Puppen zeigen. Sie ist Vintage-Sammlerin und interessiert sich deshalb nur für Modelle aus den Jahren 1959 bis 1972. Die zeigen den Sechzigerjahre-Look, die Kleider wurden überwiegend in Japan in Handarbeit gefertigt. Mit vielen aufwendigen Details. Fein vernähte Säume, Knöpfe und Perlen, Miniatur-Reißverschluss und Gürtel, Mäntel mit Innenfutter, Schulterüberwürfe aus echtem Pelz. Vintage-Sammlerinnen wie Peggy Gerling blicken ein bisschen pikiert auf die Gattung der Pink-Box-Sammler, die drei Viertel aller Sammler ausmachen: Jene Barbie-Fans, die Puppen aus der Zeit von Mitte der Siebzigerjahre an in den pinkfarbenen Originalkartons sammeln. "Wir sind ein bisschen Snob," sagt Gerling über Ihresgleichen, denn "unsere Barbies sind schwerer zu finden". Sie müssen in perfektem Zustand, komplett mit allen Accessoires und eine Seltenheit sein. "Dann wird Peggy schwach in den Knien", sagt die 63-Jährige mit ihrem unüberhörbaren amerikanischen Akzent. Dass sie noch immer Kontakte nach Amerika hat, wo ihr 32 Jahre alter Sohn lebt, hat ihr den Erwerb der berühmten Puppen bisweilen erleichtert. Ansonsten sucht Gerling über Anzeigen danach, im Internet, aber auch auf Barbie-Börsen und bei großen Barbie-Conventions in den USA. "Es ist erstaunlich, wer alles Barbies sammelt", wundert sie sich und zählt auf: "Lastwagenfahrer, Caroline von Monaco, Demi Moore."

Peggy Gerling kann ihren Barbiepuppen ein eigenes Zimmer zur Verfügung stellen. Ihr Ehemann, ehedem Vize-Präsident von Mc Donald's Europe, unterstütze ihre Leidenschaft, hat sie mal der Münchner Abendzeitung erzählt. Kein Wunder, ist er doch selbst Sammler - und Jäger. Und beansprucht eigenen Platz im Haus für seine Jagdtrophäen. Über die Kosten ihres Hobbys redet sie nicht gerne: "Das ist nicht so wichtig." Die meisten ihrer Barbies hat Gerling von Privatpersonen erworben. Über beinahe jede ihrer Puppen könne sie deshalb eine eigene Geschichte erzählen. Und immer wieder wünschten sich die Verkäuferinnen, dass ihre Barbies in einem ganz bestimmten Outfit in Gerlings Vitrine stehen sollen. Natürlich kommt Peggy Gerling diesen Wünschen nach.

Auch ihre Tochter Diana, inzwischen 29, hat als Kind mit Barbiepuppen gespielt. Für die Vintage-Sammlung ihrer Mutter allerdings hat sie sich nie interessiert. Der bisweilen geäußerten Kritik an Barbie, deren Äußeres sich eher an männlichen Phantasien denn an den realen Maßen einer Frau orientiert und deshalb das Selbstbewusstsein von Mädchen eher schwächen als stärken würde, begegnet sie gelassen. "Keiner von uns hat je den Wunsch geäußert: Ich will jetzt aussehen wie diese Plastikpuppe", sagt Peggy Gerling. "Ich habe meinen Busen nie mit dem Barbie-Busen verglichen." Und wenn sie nun alle ihre Barbies weggeben müsste und nur eine davon behalten dürfte, welche wäre das dann? Peggy Gerling sagt, ohne zu zögern: "Barbie Nummer vier". Denn: "Wir sind ja schon so lange zusammen."

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Quelle:
SZ vom 30.11.2013
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