Süddeutsche Zeitung

Eichenau:Aus dem Krieg in den Garten der Friedenskirche

Zum ersten Mal treffen fast alle ukrainische Flüchtlinge und deren Gastgeber zusammen. Etwa 90 Geflüchtete sind bislang in Eichenau angekommen. Derweil bereitet sich die Gemeinde auf eine noch größere Zahl vor.

Von Erich C. Setzwein, Eichenau

Reichen die angebotenen Unterkünfte aus, können alle geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer aufgenommen werden? Fragen wie diese treiben die Organisatorinnen Rike Schiele, Susanne Gropp-Stadler, Gertraud Merkert und weitere am Freitag am. Denn die Zahl der Flüchtlinge steigt. Nicht nur aus Eichenaus Partnerstadt Wischgorod sind sie gekommen, auch aus dem schwer zerstörten Charkiw und anderen Orten stammen die Geflüchteten. Fast alle sind Frauen mit ihren Kindern und Verwandten, die den Weg in den Landkreis gefunden haben. Wie schwierig dieser Weg für sie war und wie sie jetzt Kontakt in die Heimat halten, darüber haben sich die meisten der inzwischen 90 Flüchtlinge am Freitagnachmittag im Garten der evangelischen Friedenskirche ausgetauscht. Es kamen auch die Gastgeber, die entweder schon Flüchtlinge aufgenommen oder sich dazu bereiterklärt haben. Bei diesem ersten Treffen soll es nicht bleiben. Pfarrer Christoph Böhlau möchte, dass die Ukrainer einmal wöchentlich zusammenkommen können.

Wertvolle Kontakte

Wie wertvoll die Kontakte des Freundeskreises Partnerstadt Wischgorod sind, wie stark die nun 30 Jahre währende Freundschaft zwischen Eichenauern und Wischgorodern wirklich ist, das zeigt sich nun in beispielloser Weise. Doch die Bewährungsprobe wird erst noch kommen, sollte sich die Zahl der Geflüchteten stärker erhöhen als erwartet. Wie am Freitag zu hören ist, wird ernsthaft darüber nachgedacht, die große Budrio-Sporthalle kurzfristig als Massenunterkunft herzurichten.

In die Halle müssen die bereits Angekommenen nicht, sie haben Schlafplätze bei Gastgebern in Eichenau gefunden. Rike Schiele, Dritte Bürgermeisterin, sagte, es seien auch schon Flüchtlinge nach Olching oder nach München vermittelt worden. Eine Gastgeberin berichtete, dass die Ukrainer, die sie kurz beherbergen konnte, zu Verwandten nach Westdeutschland weitergezogen seien. Erst einmal im Ort bleiben möchte dagegen Anna Schadan mit ihren beiden Kindern. Die 42-Jährige ist die Schwiegertochter von Kolja Schadan, dem früheren Leiter des von Eichenau aufgebauten Kinderhauses in Nowi Petriwzi, einem Nachbarort von Wischgorod. Ihr Mann Sergiy und die Eltern hätten sie gedrängt, Wischgorod zu verlassen, und so habe sie sich mit den Kindern und dem Hund ins Auto gesetzt und sei durch die noch unbesetzte Westukraine nach Rumänien gefahren. 2000 Kilometer hat sie zurückgelegt, um nun aus der Distanz mitzuerleben, wie sich die Ukrainer gegen die russischen Truppen verteidigen.

Anna Schadan berichtet von Angriffen seit dem Beginn des Krieges, denn Wischgorod ist mit seinem Wasserkraftwerk, das die Hauptstadt Kiew versorgt, ein strategisches Ziel für die Angreifer. Ihre Kinder hätten bei jedem Angriff geweint, sie hätten alle Angst gehabt bei jedem Raketeneinschlag, der die Wände der Wohnung habe zittern lassen. Und sie bringt das Dröhnen der angreifenden Jets und Hubschrauber in Erinnerung. Anna Schadan ist Juristin und hat in einer Baufirma in Wischgorod gearbeitet. Jetzt würden keine Häuser mehr gebaut, sagt sie. Der Baustahl und der Beton würden nun in Kiew für Barrikaden gegen die russischen Aggressoren gebraucht.

Kaffee und Kuchen beim Pfarrer

Ekaterina Bodnartschuk ist nicht zum ersten Mal in Eichenau, aber jetzt wird sie wohl ein paar Tage länger bleiben. Die Mitarbeiterin von Wischgorods Bürgermeister Aleksej Momot flüchtete zusammen mit ihrer Tochter, einer weiteren Jugendlichen und drei Verwandten über Polen, die Slowakei und Österreich. Sie berichtet von einem zeitweise normalen Leben in Eichenaus Partnerstadt. Die Versorgung mit Strom und Wasser funktioniere. Die Luftabwehr auch wird von einer anderen Frau aus Wischgorod eingeworfen. Kein Trost für alle die, die sich im Garten der Friedenskirche austauschen und bei Kaffee und Kuchen von Pfarrer Christoph Böhlau ein wenig entspannen. Auch Anna Ivaschtschenko hat es raus aus Wischgorod geschafft. Sie war schon als Austauschschülerin in Eichenau, machte während ihres Studiums ein Praktikum in der Gemeindeverwaltung. Sie arbeitet weiter für eine Menschenrechtsorganisation in Kiew, jetzt halt von Eichenau aus. Ob sie froh sei, nun in Sicherheit zu sein? "Ich wäre lieber zu Hause und in Sicherheit", sagt sie nur.

Suche nach Wohnraum

Ob und wie sich die weiteren Treffen in der Friedenskirche gestalten lassen, das lassen SPD-Gemeinderätin und Organisatorin Elisabeth Böhlau und Susanne Gropp-Stadler noch offen. Die Ereignisse haben sich in den vergangenen Tagen überschlagen. "Es ist über uns hinweggerollt", sagt Gropp-Stadler. "Es geht ans Herz, man kann es einfach nicht abstreifen." Die Frage, die sie sich stelle, ist, wie man langfristig helfen könne. Gropp-Stadler weiß, dass die meisten Angebote von Gastgebern kurzfristig sind und nicht für Monate oder Jahre bestehen. Man werde bei der Suche nach Wohnraum helfen, dies werde aber nicht in den nächsten Tagen ein Thema sein. Was nun ansteht, ist die Betreuung der Kinder und Jugendlichen, für die Räume gesucht werden. Es sind Lehrerinnen aus der Ukraine gekommen, die die Kinder unterrichten könnten. "Die Kinder sollen Aufgaben bekommen, sie sollen die deutsche Sprache lernen und sich nicht fremd vorkommen", sagt die Vorsitzende des Freundeskreises.

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