Eichenau:Szenarien für vier Jahre

Eichenau: Wirtschaftsfachleute unter sich: CSU-Ortsvorsitzender und Eichenaus Gewerbereferent Peter Zeiler (links) im Gespräch mit dem Redner beim politischen Aschermittwoch, Johannes Mayr von der Bayern LB.

Wirtschaftsfachleute unter sich: CSU-Ortsvorsitzender und Eichenaus Gewerbereferent Peter Zeiler (links) im Gespräch mit dem Redner beim politischen Aschermittwoch, Johannes Mayr von der Bayern LB.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Volkswirt Johannes Mayr erklärt beim politischen Aschermittwoch der CSU die Mechanismen des Marktes sowie die Auswirkungen von Brexit und Trump. Die größte Gefahr aber sieht er im Vertrauensverlust in die Politik

Von Erich C. Setzwein, Eichenau

Euphorie sieht anders aus. Eher abgekämpft sitzen die Spitzen der örtlichen CSU-Verbände in der Friesenhalle von Eichenau und hören zum wiederholten Mal an diesem Aschermittwoch einem Redner zu. Waren es am Mittag in der Dreiländerhalle in Passau noch Ministerpräsident Horst Seehofer und andere CSU-Granden, die die Partei auf die kommende Bundestagswahl einzuschwören versuchten, so ist es an diesen Mittwochabend in Eichenau ein Volkswirt. Aber nicht irgendeinen hat Eichenaus CSU-Ortsvorsitzender Peter Zeiler zum traditionellen Fischessen eingeladen. Es ist Johannes Mayr, Abteilungsdirektor Volkswirtschaft bei der Bayern LB in München und gern gebuchter Redner und oft gesuchter Gesprächspartner über Wirtschaftspolitik. Und was er in seinem einstündigen Vortrag sagen wird, trägt ganz offensichtlich nicht dazu bei, die Euphorie an diesem Tag zu erhöhen.

Brexit, Trump, die EU und der Euro, dazu noch die niedrigen Zinsen - über diese Themen legt Mayr die kryptische Überschrift "Postfaktische Ruhe". Wenn Mayr recht hat, dann ist es alles andere als ruhig in dieser Welt. Als momentan einzig stabile Konstante sieht Mayr den Finanzmarkt, der entspannt der Dinge harrt, die da kommen mögen. Noch steht die Wirtschaft "prächtig" da, die Aktienkurse erreichen "neue Hochwerte", doch wie Mayr stellt sich auch die Wirtschaft die Frage: "In welche Richtung könnte es drehen?"

Auch wenn das britische Oberhaus am Abend, als Mayr in Eichenau spricht, in London das Gesetz zum Ausstieg aus der Europäischen Union zur Korrektur noch einmal an das Unterhaus verwies und damit den Prozess etwas verzögert, so wird der Brexit kommen. Und zwar "hart", wie Mayr sagt, mit allen Konsequenzen. Ausstieg aus dem gemeinsamen Handel und gleichzeitig Aufbau von Zollschranken werden seiner Meinung nach die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich nicht leichter machen. Die Abkehr vom Binnenmarkt und der Zollunion aber könnten in Großbritannien schwerwiegende Folgen haben. Der "Exit vom Brexit" sei nicht zu erwarten, außer bei einer tiefen Rezession oder einem Zerfall von Großbritannien.

Mayr geht nicht davon, dass es ein schneller Ausstieg aus der EU wird. Im laufenden Jahr fänden in europäischen Staaten Wahlen statt. "Vor Wahlen gibt es keine Signale", es werde also auch "keine substanziellen Fortschritte bei den Verhandlungen geben.

Bald spüren dürfte Europa nach Einschätzung des Volkswirts die Auswirkungen der neuen US-amerikanischen Politik. Die von Präsident Donald Trump angekündigten Reformen der Handelsverträge und die Einfuhrzölle von 20 Prozent würden exportorientierte deutsche Firmen besonders treffen. Die amerikanische Wirtschaft hingegen würde vom Trump-Effekt zunächst beflügelt. Trump habe angekündigt, in den kommenden zehn Jahren 1000 Milliarden Dollar zu investieren, viel in die Infrastruktur, aber noch viel mehr in die Aufrüstung der Streitkräfte. "Diese staatlichen Ausgaben sind sofort wirksam, ein wichtiger Stimulus für die Wirtschaft", sagt Mayr. Das Wachstum werde um jährlich zwei bis zweieinhalb Prozent steigen. Aber nur drei Jahre lang, prognostiziert Mayr, der davon ausgeht, dass es eben "kein nachhaltiger Effekt" sein werde: "Es wird sich ins Gegenteil verkehren." Weil alles, was Trump anpacken wolle, schuldenfinanziert sei, werde die Staatsverschuldung, die jetzt schon bei vier Prozent liege, bis zum Jahr 2021 auf sechs Prozent steigen. "Das ist das Doppelte, was wir in der EU als Obergrenze festgelegt haben." Der sich ergebende Zinsanstieg in den USA werde sich auch auf Europa auswirken. Doch wann die Europäische Zentralbank sich von der Niedrigzinspolitik verabschiedet, das kann auch der Bankexperte nicht sagen. "Es wird keine Zinsanhebung bis zum Jahresende geben", sagt Mayr, möglicherweise könne es bis 2021 dauern.

"Die Zinsen werden erst angehoben, wenn die Inflation in Europa bei durchschnittlich zwei Prozent liegt." Auch wenn die Inflationsrate in Deutschland derzeit bei über zwei Prozent sei, so sei dennoch das Mittel in Europa noch nicht erreicht. Fraglich sei auch, ob es sinnvoll sei, in der Phase der höchsten Verschuldung von Staaten, Unternehmen und privaten Haushalten, die Zinsen zu erhöhen. "Der Euro-Raum kann sich höhere Zinsen kaum leisten", sagt Mayr.

Seit 2007 werden die Auswirkungen der Finanzkrise so bekämpft. Verlieren seien die Sparer, "sie sind am meisten betroffen". Der jährliche Verlust betrage im Jahr 20 bis 30 Milliarden Euro, das seien 100 bis 200 Euro Verlust pro Kopf und Jahr.

Dass sich die Verhältnisse in Europa auch ändern können, dass das ganze Gebilde Europa gar nicht so stabil ist, wie es scheint, das sieht Mayr in den Austrittstendenzen. In Italien und Frankreich etwa würden sich über die Hälfte der Befragten für Volksentscheide zum Austritt aus der EU bekennen, etwa jeweils die Hälfte würde auch dem Austritt zustimmen. Europa stecke in einer tiefen Vertrauenskrise: "Von europäischer Seite kann man sich nichts mehr leisten, ohne dass die Stimmung kippt", sagt Mayr seinen Zuhörern in der Friesenhalle, von denen viele schon die Gründung der EWG erlebt haben. Seine Bank habe vier Szenarien untersucht, was nötig wäre, um die europäische Einheit zu erhalten. Das Ziel der "Vereinigten Staaten von Europa" zu erreichen, schätzt Mayr als gering ein. Möglicher sei dagegen schon ein Europa der zwei Geschwindigkeiten, dass Staaten selbst bestimmen könnten, wie schnell und eng ihre Integration vorangehe. Am wahrscheinlichsten aber erscheint der Bayern LB das, was Mayr als "Durchwurschteln" bezeichnet: "Ich habe ganz erhebliche Sorgen, ob die Europäische Union zusammenbleibt."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: