Süddeutsche Zeitung

Eichenau:Sozialpolitik neu gedacht

FDP-Bundestagskandidat Ulrich Bode stellt sein neues Buch über seine Reformideen für das Grundeinkommen und die Einführung eines Bürgergeldes vor

Von Karl-Wilhelm Götte, Eichenau

Erstaunlich ist, dass sich die FDP mit der Abschaffung von Hartz IV beschäftigt. Bleibt doch noch der ehemalige Parteivorsitzende Guido Westerwelle in legendärer Erinnerung, as er 2010 unter Applaus seiner Partei fünf Millionen Hartz IV-Bezieher bewusst verhöhnte. Für ihn gab es "kein Recht auf bezahle Faulheit" und die Forderung der Betroffenen nach Verbesserungen verglich er mit "spätrömischer Dekadenz". Aber nicht die ganze FDP beschäftigt sich mit diesem Thema, sondern Ulrich Bode, der lokale Bundestagskandidat der Partei, macht sich in seinem Buch "Sozial 4.0 statt Hartz IV" Gedanken darüber, etwas anderes an die Stelle von Hartz IV zu setzen. Ein bürokratisches System, das "Erfinder" Peter Hartz später als "Fehler" bezeichnete und das Kritiker als Armuts- und Ausgrenzungsgesetz qualifizieren.

Dem Eichenauer FDP-Gemeinde- und Kreisrat Bode geht es um nichts weniger als die "Erneuerung des Sozialstaates", der trotz einer Billion Euro jährlicher Ausgaben, Armut nicht beseitige und auch für Millionen von Rentnern keine auskömmliche Mindestsicherung garantiere, ganz im Gegensatz wie zum Beispiel in der Schweiz. Am Beispiel Hartz IV versucht er das zu verdeutlichen. Bode, 59, ist gelernter Informatiker und geht das Problem dann auch entsprechend an. Mit einer anschaulichen Matrix zeigt er bei seiner virtuellen Buchvorstellung, wie er zu seinem Ziel "Sozial 4.0" kommt. Historisch beginnt er im 19. Jahrhundert oder früher, als bei Sozial 1.0 das Almosengeben im Vordergrund stand. 2.0 - "die Umerziehung" - fand dann schon im 20. Jahrhundert statt, "als Armut als Charakterschwäche", so Bode, ausgelegt wurde und Arbeitslose in Arbeitshäuser und später ins KZ gesteckt wurden. 3.0 mit Sanktionsandrohung "ist heute vorherrschend", erläutert Bode weiter. "Wer nicht arbeitet, soll nicht essen", zitiert er Franz Müntefering, den ehemaligen SPD-Vorsitzenden, was dann mit den umstrittenen Schlagworten "Fördern und Fordern" bezeichnet wurde.

Der Buchautor kommt dann beim Punkt Sozial 4.0, den er mit "Motivation" überschreibt, zu seinem Hauptanliegen: "Leistung soll sich lohnen". Bode meint damit "nicht zwingend die Arbeitsleistung", wie er sagt, "weil viele, zum Beispiel Kranke, nicht arbeiten dürfen." Er plädiert für ein Grundeinkommen oder auch Bürgergeld für Bedürftige: 1000 Euro für Erwachsene und 500 Euro für beteiligte Kinder im Monat, aber mit gestaffelter Anrechnungsfunktion, also eine Art flexible Grundsicherung, die nicht bedingungslos ist. Bei 300 Euro und mehr Zusatzeinkommen beträgt die Anrechnung 50 Prozent des zusätzlichen Einkommens. Ab 2000 Euro im Monat würde das Bürgergeld somit ganz wegfallen. Das alles könne digital minutenschnell ermittelt werden, weil die Daten des Steuer- und Sozialbescheides zur Verfügung stünden. "Grundeinkommen in nur einer Minute" ist dann auch der Untertitel seines 200-Seiten-Buches. Interessant ist Bodes Vorschlag, zum Beispiel Kindern eine geldliche Belohnung für gute Schulnoten zu geben. Das "System Grundeinkommen" will er ohne bürokratischen Aufwand mit forcierter Digitalisierung umsetzen - quasi auf Knopfdruck in einer Minute. Er kritisiert sehr heftig Antragumfänge, die gerade bei Hartz IV 60 Seiten und mehr umfassen. "Das macht die Menschen fix und fertig, wenn sie für 3,50 Euro drei Briefe schreiben müssen", sagt er aus Erfahrung. Bodes Credo und Aufforderung an die Jobcenter: "Verlässlicher helfen und schneller zahlen."

Ob sich "Sozial 4.0 statt Hartz IV", also "Motivation statt Sanktion", in der FDP durchsetzen wird, darf stark bezweifelt werden. Die erste Frage, die der Puchheimer FDP-Stadtrat Martin Koch als Moderator bei der Veranstaltung mit immerhin 29 Zuhörern an Bode weiterleitete, kam dann auch gleich aus der Mottenkiste der gesammelten Vorurteile gegen arme Menschen. "Soll es ein Grundeinkommen für Berufshartzer geben?", lautete sie. Bode entgegnete dem Frager schlagfertig: "Das ist das Modell 2.0 charakterschwach." Auch dem Einwand, dass ein Grundeinkommen anstelle von Hartz IV nicht finanzierbar wäre, widersprach er nachdrücklich: "Wenn es gut gemacht wird, also ohne Bürokratie, ist es günstiger für den Staat."

Ulrich Bode ist sich im Klaren darüber, dass starke Kräfte in der FDP das Hartz IV-System immer noch verteidigen, was der Bundestagskandidat als Fehler bezeichnet. "Ein Bürgergeld als Mindestsicherung ist besser als das Sanktionsmodell 3.0", versuchte Bode noch den virtuellen Besuchern seiner Buchvorstellung zu vermitteln.

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SZ vom 26.04.2021
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