Flüchtlingsschicksal:Mit jedem Tag wachsen die Sorgen

Eichenau: Asylbewerberunterkunft - Syrer der nach Ungarn abgeschoben werden soll

Hayel Alkhlyef ist in seiner Unterkunft, einem Wohncontainer für Asylbewerber in Eichenau.

(Foto: Johannes Simon)

Türkei, Kos, Mazedonien, Ungarn - nur Durchgangstationen für den Syrer Hayel Alkhlyef, der vor dem Bürgerkrieg floh. Nun wartet er in Eichenau auf seine Familie, die seit einer Woche unterwegs ist

Von Erich C. Setzwein, Eichenau

Als Hayel Alkhlyef von seinen fünf Kindern erzählt, schlägt er die Hände vors Gesicht und schluchzt. Der 50 Jahre alte Syrer, der seit Februar in der Eichenauer Asylbewerberunterkunft am Schreberweg lebt, hat Angst um seine Frau und seine Kinder, seit er sie im September vorigen Jahres in einem türkischen Flüchtlingslager zurücklassen musste. Damals machte er sich auf seine schließlich zwei Monate dauernde Flucht nach Deutschland. Und gerade vor einer Woche hat sich auch seine Familie auf den gefährlichen Weg gemacht. Hayel Alkhlyef (sein Familienname wird "Alkolef" ausgesprochen) hat viele Sorgen und sie werden nicht weniger, wenn er alle 24 Stunden von seiner Frau eine Nachricht erhält. Während er von seiner eigenen Flucht erzählt, erfährt er, dass der zweite Versuch seiner Frau und der Kinder, an der türkischen Küste ein Boot auf irgendeine griechische Insel zu bekommen, gescheitert ist. Die Verzweiflung ist dem Familienvater anzusehen.

Zur Seite steht Hayel Alkhlyef der Asylhelferkreis Eichenau. Er hat ein Treffen arrangiert, um vor dem Hintergrund vieler Tausend weiterer Flüchtlinge, die Deutschland als Ziel haben, die Fluchtgründe und die Fluchtrouten zu erläutern. Es ist der Versuch, Verständnis für die Situation derer zu schaffen, die auf dem Weg zu uns sind und für die, die Gefahr und Erniedrigung ertragen haben, um ein besserer Leben in Freiheit führen zu können. Hayel Alkhlyef hat sich bereit erklärt, seine Geschichte zu erzählen. Sein Asylverfahren ist noch nicht abgeschlossen, seit er im November vergangenen Jahres einen Antrag in München stellte. Aber er will in Deutschland leben, fährt seit einem Monat täglich zum Deutschkurs nach München. Weil die paar Brocken Deutsch zur Verständigung noch nicht ausreichen, berichtet er in arabisch. Eine Dolmetscherin übersetzt seine Geschichte.

Die Familie Alkhlyef führt ein gutes Leben in Deir ez-Zor im Nordosten von Syrien. Die Stadt mit einst fast 300 000 Einwohnern ist eine florierende Großstadt mit langer Geschichte, Hayel Alkhlyef arbeitet in der Verwaltung einer Erdölfirma, die damals vier Kinder wachsen in sicheren Verhältnissen auf. Bis die militärischen Auseinandersetzungen 2011 das Zentrum der syrischen Erdölförderung erreichen. Die bewaffnete Opposition kämpft gegen Regierungstruppen, es fallen Bomben. Nach zehn Tagen Kriegszustand beschließt die Familie, die umkämpfte Stadt zu verlassen und in ein friedliches Gebiet zu ziehen. Alkhlyef erinnert sich noch genau an den Tag, als die Familie ihre Sachen packte: "Es war der 12. Juli 2011." Doch wohin? Die Stadt ar-Raqqa, ebenfalls im Nordosten, wird das erste Ziel der Flucht. Alkhlyef geht weiter seiner Arbeit in der Ölfirma nach, doch den Beschäftigten wurde, wie er erzählt, das Gehalt auf die Hälfte gekürzt. Das fünfte Kind kommt, doch es wird in eine feindliche Umwelt geboren. Im März 2013 übernehmen Rebellen die Stadt, und als in der Nähe von Alkhlyefs Wohnung eine Rakete einschlägt, packt die Familie erneut ihre Sachen. Nun, um sich aus Syrien abzusetzen und in die Türkei zu gehen. Alkhlyef verlässt damit nicht nur seine Heimat, sondern auch den Unrechtsstaat, in dem die Polizei allein durch ihr Erscheinen Angst auslöst. Angst "jederzeit ohne Grund verhaftet zu werden", wie der 50-Jährige die Drohkulisse beschreibt.

Das Auffanglager im Südosten der Türkei soll nur eine Zwischenstation sein für den weiteren Weg der Familie nach Deutschland. Doch es kommt anders, als sich das die Alkhlyefs vorstellen. "Es war wie ein Gefängnis", erzählt Hayel Alkhlyef und ist erschüttert, als er von seinen jüngsten Kindern, die jetzt drei und fünf Jahre alt sind, berichtet: "Sie kennen kein Haus, keine Zimmer, keine Türen. Sie kennen nur das Zelt." In den Lagern, so Alkhlyef weinend, gebe es keine Kindheit.

Also macht sich der Vater auf den Weg, raus aus der Türkei Richtung Deutschland, wohin er, so hofft er, seine Familie später auch nachholen kann. Die Strapazen der Flucht, von denen Hayel Alkhlyef erzählt, sind nachvollziehbar vor allem deswegen, weil die Bilder von Flüchtlingen auf der griechischen Insel Kos, den überfüllten Zügen in Mazedonien und den Zuständen in Ungarn tagtäglich im Fernsehen und den sozialen Medien gesendet werden. Mit dem Schlauchboot übers Meer von der türkischen Küste auf die Insel, von dort nach Athen, Fußmärsche und Mitfahrten im Auto Richtung Norden, Prügel und Demütigungen von Grenzbeamten und Polizisten, das alles kommt auf den 50-Jährigen noch zu, als er am 20. September vergangenen Jahres das Flüchtlingslager verlässt. Seine Frau hat Goldschmuck verkauft, damit er die Schlepper und Schleuser bezahlen kann, dass er Geld hat, um sich auf der Flucht zu versorgen. Durch Mazedonien war die Gruppe um Alkhlyef acht Tage zu Fuß unterwegs, ging entlang der Bahngleise, auf denen derzeit jeden Tag Tausende in Zügen Richtung Serbien und Ungarn drängen, um noch vor Schließung des ungarischen Grenzzauns die EU zu erreichen.

In Ungarn, sagt Hayel Alkhlyef, habe er "alle möglichen Papiere unterschrieben", weil das ein syrischer Dolmetscher geraten habe. Er wurde registriert, seine Fingerabdrücke seien ihm unter der Drohung abgenommen worden, ihm die Finger zu brechen, falls er es nicht tun werde. Das alles lässt Alkhlyef mit sich geschehen. Er sitzt zwei Tage im Gefängnis, ehe er ausreisen kann. Durch Österreich fährt mit dem Zug zum Münchner Hauptbahnhof. "Ich bin am 23. November 2014 kurz vor Mitternacht angekommen. Dann ging es nach Kieferngarten." Vom Erstaufnahmelager in München wurde er bald nach Eichenau verlegt. Dort möchte er bleiben.

Was er vorhat? "Weil es keine Erdölindustrie hier gibt, vielleicht eine Arbeit im Altenheim." Aber erst muss die Angst weggehen. Seine Familie ist noch nicht in Sicherheit.

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