Eichenau:Gehen - läuft bei ihr

Eichenau: Sauberes Gehen heißt, immer einen Fuß auf dem Boden zu haben: Sarah Friedrich beim Training.

Sauberes Gehen heißt, immer einen Fuß auf dem Boden zu haben: Sarah Friedrich beim Training.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Die 16 Jahre alte Sarah Friedrich aus Eichenau hat eine wenig bekannte Leichtathletik-Disziplin für sich gewählt

Von Valentina Finger, Eichenau

Sarah Friedrich verkörpert das Ideal zahlreicher ambitionierter Teenager-Mädchen: Sie ist eine Einser-Schülerin, engagiert sich politisch, sieht mit den blonden Haaren und dem scheuen Lächeln sehr hübsch aus und treibt Sport auf Bundesniveau. Allerdings trainiert Sarah keine populäre Sportart wie Volleyball oder Fußball. Sie schwimmt nicht, sie tanzt nicht, und sie läuft auch nicht. Nein, Sarah geht. Seit vier Jahren ist die 16-Jährige, die mit ihren Eltern und den beiden Geschwistern in Eichenau lebt, in der Leichtathletikdisziplin Gehen aktiv. Drei Mal war sie darin in ihrer Altersklasse bereits bayerische Meisterin. Im Februar ist sie in Sindelfingen erstmals bei den deutschen Meisterschaften in der Halle angetreten und schaffte es unter die besten Acht. Am Freitag kommender Woche geht es nach Ulm. Dort finden die deutschen Freiluftmeisterschaften statt, für die Sarah seit einiger Zeit täglich trainiert.

"Wenn ein Wettkampf ansteht, plane ich meinen gesamten Alltag um das Training herum", sagt Sarah, die das Gymnasium in Puchheim besucht. Erst seit Kurzem nimmt sie Fahrunterricht, von der Schule aus musste sie ein einwöchiges Betriebspraktikum absolvieren, ihre Freunde will sie hin und wieder auch treffen. Doch was auch immer tagsüber ansteht: "Das Training am Abend ist gesetzt."

In dieser Intensität trainiert Sarah noch nicht lange. Im Sommer 2018 nahm sich der Marathon- und Gehtrainer Klaus Schäfer ihrer an. Während sie sich zuvor sporadisch für Wettkämpfe anmeldete und sich darauf ohne Anleitung vorbereitete, geht sie seitdem strukturiert an ihren Sport heran. Ihre aktuelle Bestzeit für die Wettkampfstrecke von drei Kilometern liegt bei 15 Minuten und 55 Sekunden. Bei den deutschen Meisterschaften nächste Woche hofft sie, 25 Sekunden weniger zu benötigen.

Dass Sarah so sportlich ist, ist kein Zufall, es liegt vielmehr in der Familie. Ihr 14-jähriger Bruder Lukas spielt leistungsorientiert Fußball, ihre zehn Jahre alte Schwester Mona turnt. Ihre Mutter, eine leidenschaftliche Joggerin und Marathonläuferin, ist Lehrerin für Mathe und Sport. Ihr Vater, ein studierter Physiker, war früher selbst als Leichtathlet erfolgreich. Als Sarah fünf Jahre alt war, zog die Familie von München nach Eichenau. Beim FC Puchheim, dessen Leichtathletikabteilung zum Verband LG Würm Athletik gehört, für den Sarah bei Wettkämpfen antritt, engagierte sich ihr Vater als Trainer. Sie war in der Kinder-Leichtathletikgruppe, wo sie über die Jahre hinweg alle Disziplinen kennenlernte, bis sie merkte, dass das Laufen ihr besonders lag.

Noch immer macht sie regelmäßig Dauerläufe, doch nur Gehen betreibt sie auf Wettkampfniveau. Zum ersten Mal mit dieser weniger bekannten Sportart in Berührung kam sie, als ihr ein benachbarter Eichenauer, der früher selbst als Geher aktiv war, die Technik zeigte. Nur eine Woche später, im Herbst 2015, feuerte sie ihren Bruder, der damals noch Leichtathletik machte, bei einem Wettkampf an. Dort las sie auf dem Zeitplan auch die Disziplin Gehen. Zuerst musste sie lachen: "Ich nehme es keinem übel, der erst einmal schräg schaut, wenn er mich gehen sieht. So habe ich am Anfang auch reagiert." Ihr Vater motivierte sie, es einfach mal auszuprobieren. Also meldete sie sich an und absolvierte direkt ihre erste Gehstrecke. Seitdem reizt sie die Komplexität ihrer Disziplin: "Laufen kann jeder, Springen ist nach einem Versuch vorbei. Doch beim Gehen braucht man Ausdauer und Technik."

Wenn sich Sarah Friedrichs Weg auch wie der perfekte Werdegang einer zukünftigen Profisportlerin anhört, so lief doch nicht immer alles glatt. Bei vielen Wettkämpfen konnte sie kurzfristig nicht antreten, weil Verletzungen dazwischenkamen. Einmal war es ein Blinddarmdurchbruch, oft leidet sie unter Bänderrissen. Auch seien die Reaktionen von Gleichaltrigen auf ihre Sportart nicht immer leicht wegzustecken. Die meisten ihrer Mitschüler wissen nur, dass sie Leichtathletik macht. Nach Details fragt keiner und Sarah erzählt es nicht, weil vielen das Verständnis dafür fehle. Besonders unangenehm sei es, wenn sie, wie sie es aufgrund des geeigneten Bodens manchmal tut, am Puchheimer Skateplatz trainiert.

Auf die ungewöhnlich aussehende Geh-Technik reagieren die Jugendlichen dort oft mit Sprüchen und Gelächter: "Vor allem am Anfang ist das hart, aber wir Geher haben uns inzwischen ein dickes Fell zugelegt." Vielen sei nicht klar, dass Gehen nicht minder anstrengend ist als andere Sportarten, sagt Sarah. Um die Disziplin wieder bekannter zu machen, hat der Bayerische Leichtathletikverband es kürzlich in die Mehrkampfausbildung von Kindern unter 13 Jahren integriert. Nun gibt es auch im FC Puchheim endlich eine Geher-Kindergruppe, bei der auch Sarahs Schwester mitmacht. "Ich finde es wichtig, dass sich junge Leute trauen, auf weniger Bekanntes umzusatteln", sagt Sarah. Im Verein ist sie die einzige Wettkampfgeherin.

Für den Nachwuchs ist sie ein Vorbild. "Es ist schön, dass ich dabei helfen kann, das Gehen präsenter zu machen", sagt sie. Eine richtige Profigeherin will sie später allerdings vermutlich nicht werden. Dennoch wird sie wohl auch als Erwachsene junge Menschen zum Sport motivieren: Nach dem Abitur möchte Sarah Spanisch und für Sport studieren - fürs Lehramt an Gymnasien.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: