Eichenau:Forscher in der Armutsfalle

Nikolai Popov ist 84 Jahre alt und sitzt noch täglich am Schreibtisch. Der in Leningrad geborene Physiker hat im Jahr 1990 mit der Familie in Deutschland politisches Asyl beantragt. In der Folgezeit konnte er sich nur eine minimale Rente erarbeiten

Von Andreas Ostermeier, Eichenau

Nikolai Popov sitzt am Schreibtisch und arbeitet. Das tut er jeden Tag. Die Kernphysik lässt den Wissenschaftler nicht los, obwohl er bereits 84 Jahre alt ist. Seine Leidenschaft hat ihn ein Leben lang begleitet und ihn viel arbeiten lassen. Dennoch bezieht Popov nur eine minimale Rente, obwohl er es bis zum Physik-Professor gebracht hat. Wie kann das sein? Die Antwort auf diese Frage hat viel zu tun mit der Sowjet-Diktatur und der in ihr praktizierten Unterdrückung der freien Meinungsäußerung. Diese Unterdrückung hat Popov, wie viele andere, aus Russland getrieben und den Physiker arm gemacht. Jetzt braucht er Unterstützung. Denn von seiner schmalen Rente kann er sich keinen neuen Herd leisten. Ersatz für den alten ist aber nötig, denn das Gerät in seiner kleinen Küche ist kaputt. Der Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung möchte deshalb helfen, ein Ersatzgerät zu finanzieren.

Popovs Geschichte beginnt in Leningrad (heute Sankt Petersburg). Im Jahr 1934 wird er dort geboren. Der Vater ist Chemiker - und das mathematisch-naturwissenschaftliche Erbteil hat auch Popovs Berufswunsch beeinflusst. Schon als Schüler habe er sich vor allem für Mathematik interessiert, erzählt er. Er studiert Physik und arbeitet am Joffe-Institut, das nach Abram Fjodorowitsch Joffe benannt ist, dem Begründer der modernen Physik in Russland. Später ist der Kernphysiker an einem Forschungsreaktor beschäftigt. Besonderes Interesse hat er an den Myonen, kleinsten negativ geladenen Teilchen, die allerdings viel mehr Masse haben als Elektronen. Noch heute schreibt er Aufsätze über diese Teilchen. Dabei geht es ihm darum, wie die Myonen zu Kernfusionen und damit zur Gewinnung von Energie beitragen könnten.

Eichenau: Arbeitsplatz in der Wohnung: Nikolai Popov schreibt an einem Manuskript für ein Buch, das in einem Verlag in der englischen Universitätsstadt Cambridge erscheinen soll.

Arbeitsplatz in der Wohnung: Nikolai Popov schreibt an einem Manuskript für ein Buch, das in einem Verlag in der englischen Universitätsstadt Cambridge erscheinen soll.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Doch Popov ist nicht nur als Wissenschaftler tätig. Der Kommunismus und die Unterdrückung der Menschenrechte gefallen ihm nicht. In seinem Institut habe der Liedermacher und Schauspieler Wladimir Wyssozki gespielt, erzählt Popov. Wyssozki war äußerst populär, seine Lieder handelten oft von den Defiziten im Sowjetstaat, weswegen er von den Machthabern nicht geschätzt wurde. Als Mitte der Achtzigerjahre Michail Gorbatschows Politik der Perestroika begann, schloss sich Popov einer Menschenrechtsorganisation an. Doch sein Glaube, in Russland wirklich Verbesserungen erreichen zu können, war gering. Nachdem er eine Einladung zu einem wissenschaftlichen Kongress in der Schweiz erhalten hatte, beantragte er in Deutschland politisches Asyl.

Weil das Visum für die Schweiz mit einer Ausreisegenehmigung für die ganze Familie verbunden war, kommen auch seine Frau Antonina und der Sohn Kirill mit nach Deutschland. Der Sohn findet Arbeit als Computerspezialist, die Frau ist Innenarchitektin und malt. In mehreren Ausstellungen im süddeutschen Raum präsentiert sie ihre Bilder. Nikolai Popov forscht an der Ludwig-Maximilians-Universität. Einige Jahre nach der Flucht zieht seine Mutter ebenfalls nach Puchheim, wo die Familie anfangs wohnt.

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Der Familie Popov geht es gut, politisches Asyl bekommt sie schnell. Doch seine Flucht in den Westen kostet ihn die Staatsbürgerschaft und damit seine Rentenansprüche. 56 Jahre ist er alt, als er die Sowjetunion verlässt. Viel Zeit, in der neuen Heimat nennenswerte Rentenansprüche aufzubauen, hat er nicht. Darunter leidet Popov noch heute. Vor Jahren ist er noch ins Ausland gefahren, um Vorträge an Universitäten halten. Doch das Reisen fällt ihm zunehmend schwer, sein Herz macht ein unstetes Forscherleben nicht mehr mit. Und auch einige Schicksalsschläge trafen ihn: Vor elf Jahren starb der Sohn, vor drei Jahren seine Frau. Nun ist er viel allein. Geblieben sind ihm seine drei Enkelinnen, auf dem Regal neben dem Schreibtisch stehen Fotos von ihnen. Sie wohnen in München. Das Geld für eine Fahrkarte hat Popov nur selten.

So sitzt er tagtäglich in einem kleinen Wohn- und Arbeitszimmer am Schreibtisch. Umgeben nicht nur von den Fotos der Enkelinnen. Auch Aufnahmen, die seine Frau, seine Mutter und seinen Sohn zeigen, stehen da. Zudem wissenschaftliche Bücher, die Buchrücken in lateinischen und kyrillischen Buchstaben. An der Wand hängen Urkunden, die die Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Gesellschaften dokumentieren. Schaut er von seinem Schreibtisch auf, dann fällt sein Blick auf Bilder, die seine Frau gemalt hat. Die ganze Wand gegenüber dem Schreibtisch ist voll von ihnen. Porträts sind zu sehen, ebenso Landschaftsbilder, oft expressionistisch in der Farbgestaltung.

Auf dem Schreibtisch liegt das Manuskript, an dem er gerade arbeitet. Dabei handelt es sich um zwei Beiträge für ein Buch. Die Beiträge schreibt der Physiker in Englisch. Das Buch soll in einem Verlag der Universitätsstadt Cambridge herauskommen. Er verfasst es gemeinsam mit weiteren Physikern, unter ihnen auch Russen, die ebenso ausgewandert sind wie er. Sie leben und arbeiten zumeist in den Vereinigten Staaten. Den Kontakt zu ihnen stellt Popov per Skype her, also über Online-Anrufe. Diese Gespräche lassen Popov weiterhin an der Welt der Wissenschaften beteiligt sein, einer Welt groß und weit, ganz anders als sein enges Studierzimmer mit den relativ wenigen Erinnerungen an sein Privat- und sein Wissenschaftlerleben.

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