Süddeutsche Zeitung

Ehrung in Germering:Da sein, wenn Menschen in Not sind

Für ihr vielfältiges ehrenamtliches Engagement wird Isolde Schuster aus Germering mit der Bezirksmedaille ausgezeichnet. Dabei sieht sie das, was sie tut, als Selbstverständlichkeit an. Für die jungen Leute indes hat sie einen Rat parat

Von Kim Romagnoli, Germering

"Mit zehn Jahren habe ich meiner Oma Morphium gespritzt", erinnert sich Isolde Schuster an ihre Kindheit. "Meine Großmutter hat im Zweiten Weltkrieg drei Söhne verloren - das hat sie körperlich und psychisch zerstört. Indem ich half, sie zu versorgen, lernte ich im Kindesalter das Pflegen." Engagement, egal ob familiärer, lokaler oder überregionaler Art, war für die nunmehr 79-jährige Germeringerin von Kind auf eine Selbstverständlichkeit. Als sie erfährt, dass sie nun mit der Bezirksmedaille für ehrenamtliches Engagement ausgezeichnet werden soll, geht sie zunächst von einem Missverständnis aus. "Für mich ist das ein wenig verwunderlich. Ich habe mir viele Gedanken über die Frage gemacht, wofür genau ich geehrt werden soll. Um ehrlich zu sein, weiß ich es immer noch nicht so recht."

Ein paar Vermutungen hat sie sich dann doch notiert. Ihre Worte sind teils so nüchtern, dass es klingt, als halte sie ein Referat über eine ihr fremden Person. Einige Facetten ihres Engagements streift sie nur flüchtig, andere lässt sie gänzlich weg. Sie wird sich selbst nicht ganz gerecht. Denn wenn Isolde Schuster auf einen Menschen in Not trifft, dann hilft sie. Wenn sie Handlungsbedarf in einem bestimmten Bereich empfindet, dann handelt sie. Über die Frage der Zuständigkeit denkt sie nicht lange nach. Als sie nach ihrer Studienzeit in München in ihre Heimatstadt Germering zurückkehrt und dort den Mangel an Volksmusik bemerkt, initiiert sie kurzerhand gemeinsam mit Familie und Freunden in der Kirche Sankt Jakob erstmals die Veranstaltung "Volksmusik im Advent". Im kommenden Jahr wird das "Germeringer Adventssingen" sein 50. Jubiläum feiern.

Schusters wohl größtes Projekt ist jedoch ein anderes: Sie ist Initiatorin der nach einer Verwandten benannten Dita-Randebrock-Stiftung, die mittlerweile etwa zwei Millionen Euro verwaltet und jährlich hohe Summen zu Gunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher an die Heckscher Klinik in München spendet. Auch die Sozialstiftung Germering erhält von Schuster finanzielle Unterstützung, ebenso wie ein Kinderdorf in Kathmandu, in dem sie seit Jahrzehnten Patenschaften übernimmt. Von alledem erzählt die Rentnerin ohne eine Spur von Eitelkeit. "So sind wir erzogen worden", erklärt sie ihre Bescheidenheit: "Mein Großvater war ein kluger, aber sehr strenger Mann. Wenn ich als Kind meinte, etwas gut gemacht zu haben, erwiderte er, ich sei hoffärtig - das heißt: überheblich, eitel, arrogant." Damit lässt sich womöglich auch begründen, dass sich Schuster rückblickend als ein "unbedeutendes Kind" beschreibt.

Dieses Selbstbild scheint sich während ihrer Volksschulzeit zu bestätigen: Aufgrund häufiger Schulwechsel hat sie bis zur siebten Klasse mit großen Defiziten zu kämpfen, die an ihrem Selbstbewusstsein nagen. Später schließt sie an einem Internat in Wasserburg mit Mittlerer Reife ab und beginnt eine Lehre als Großhandelskauffrau. Nach einigen Jahren im Beruf begibt sie sich erneut auf die Schulbank und schließt an der Fachhochschule München erfolgreich ein Studium als Diplom-Betriebswirtin ab. Sie arbeitet sich hoch und gründet schließlich zwei erfolgreiche Unternehmen, die sich mit Marktforschung, Managementtraining und Unternehmensberatung beschäftigen. Zahlreiche renommierte Unternehmen hat Schuster beraten. Mit 72 Jahren geht sie in Ruhestand.

Von einem ruhigen Rentnerdasein ist jedoch nichts zu spüren: Ihre Zeit und Energie steckt Isolde Schuster nun in Projekte, die ihr besonders am Herzen liegen - etwa Denkmalschutz und Heimatpflege. Dass ihr Tradition wichtig ist, davon erzählen die Polster des alten Ohrensessels, altes Kobaltgeschirr der verstorbenen Verwandtschaft und die historischen Landschaftsmalereien ihres Onkels Hans Lechner. Die Kunstwerke des im Jahr 1957 verstorbenen Heimatmalers sind ihr besonders wichtig. "Ein wirklich interessanter Mann", wiederholt sie immer wieder. "Als Siebenjährige habe ich ein Jahr lang bei meinem Onkel und meiner Tante gelebt. Manchmal hat er die Staffelei, seine Malutensilien und mich auf sein Rad gepackt. Wir sind gemeinsam an den Abtsdorfer See gefahren. Dort hat er mir dann einen kleinen Rahmen gegeben", erzählt sie, "Ich durfte einzelne Motive in der Landschaft auswählen und sie quasi einrahmen. Mein Onkel hat meine Motive bewertet und das Beste hat er für mich gemalt. Damals wurde eine Liebe zur Kunst begründet, die mein ganzes Leben lang angehalten hat".

Heute sucht, sammelt und stiftet Schuster die Bilder Lechners, die in Chiemgau, Kreuzwertheim oder im Rupertiwinkel entstanden sind. Sie übergibt diese dann etwa an die Stadt Laufen oder die Burg Tittmoning und sorgt dafür, dass sie nicht im Archiv verschwinden, sondern im Sinne des Denkmalschutzes und der Heimatpflege für die Allgemeinheit gut sichtbar ausgestellt werden. "Ich will, dass die Bilder dort hinkommen, wo sie hingehören." Demonstrativ zeigt sie auf ein Landschaftsgemälde, das am anderen Ende des Wohnzimmers hängt. "Dort ist in sicherlich zehnerlei Grüntönen die Salzach-Au abgebildet. Wer heute dieselbe Stelle betrachtet, wird feststellen: Sie ist kanalisiert. Ich möchte, dass dieser Vergleich sichtbar ausgestellt wird. Nur so kann die nächste Generation erfahren, was verloren gegangen ist."

Die Beschäftigung mit der Vergangenheit wäre ein höchst erfreulicher Zeitvertreib, ginge es dabei nur um die Präsentation hübscher Landschaftsmalereien. Aber Isolde Schuster möchte auch jene Facetten der Geschichte bewahren, die weniger schön anzuschauen sind. Dafür gräbt sie tief in der eigenen Familiengeschichte und fordert düstere Erkenntnisse zu Tage, die lange Zeit bewusst verschwiegen wurden. Nach dem Tod ihrer Mutter beginnt sie intensiv über den eigenen Vater, dessen Involvierung in die Nazi-Diktatur und sein Verschwinden im Zweiten Weltkrieg zu recherchieren. In ihrem Buch "Der vermisste Vater" rekonstruiert sie das Leben von Alois Ramgraber und trägt durch ihre Suche nach der Wahrheit nicht nur zur Offenlegung der eigenen Familienchronik, sondern auch zur Aufklärung der Ortsgeschichte bei.

Die 79-Jährige gibt sich Mühe, in der Familie mit gutem Beispiel voran zu gehen

Isolde Schuster ist eine Frau, die vieles bewegt und von vielem bewegt wird. Deshalb beschäftigt sie sich nicht nur mit der Vergangenheit, sondern auch mit zentralen Themen der Zukunft - etwa den Schwachpunkten des Bildungssystems, den Folgen des Klimawandels und der zunehmenden Anonymisierung der Gesellschaft. Im Hinblick auf die künftigen Sozialstrukturen bereitet ihr insbesondere die abnehmende Bereitschaft, sich zu engagieren, Sorge. Schuster seufzt und nimmt sich Zeit, ihre Worte sorgfältig zu wählen: "Ich möchte den jungen Leuten sehr stark raten, in diesem Bereich mehr Einsatz zu zeigen. Den Egoismus ein wenig zurückzustellen. Ich habe als Kind in den Dorfgemeinschaften ein Sozialgebilde erlebt, das ich heute so nicht mehr kenne", sagt Schuster. "Aus der Geschichte des Nationalsozialismus habe ich gelernt, dass es sehr lange dauert, bis die Auswirkung einer negativen Entwicklung deutlich zu Tage tritt. Ich hoffe, dass die jüngeren Generationen nicht zu lange warten."

Lobende Worte findet sie für die hohen Ziele, die etwa im Bereich des Umweltschutzes angestrebt werden. Doch auch hier scheitere es an der konkreten Umsetzung. Für die jungen Menschen - darunter ihre vier Enkelkinder - geht Schuster daher mit gutem Beispiel voran: Sie bemüht sich innerhalb ihres Bekanntenkreises um die Integration von Ausländern, hat in ihrem Garten gleich mehrere Komposthaufen, und wenn am Straßenrand Müll liegt, hebt sie ihn auf. Das sei vielleicht nicht weltbewegend. "Aber ich tue wenigstens etwas!" Und damit möchte Isolde Schuster auch künftig nicht aufhören. Wenn man die beinahe Achtzigjährige nach ihren Zukunftsplänen befragt, erzählt sie von zahlreichen weiteren Projektideen. "Ich habe das Gefühl, ich muss jetzt aufräumen: Bilder dorthin bringen, wo sie hingehören, Geschichten aufschreiben, all das erzählen, was ich nie ausgesprochen habe. Wer soll mich jetzt noch bremsen?"

Am Samstag, 23. Oktober, liest Isolde Schuster um 18 Uhr in der Stadtbibliothek Germering aus ihrem Buch "Der vermisste Vater". Eintritt frei.

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Quelle:
SZ vom 16.10.2021
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