Egenhofen:Hintersinniger Ernst

Tina-Nicole Kaiser und Jürgen Wegscheider widmen sich in der Furthmühle dem oft unterschätzten Literaten Ringelnatz

Von Renate Zauscher, Egenhofen

Wer eigentlich war Joachim Ringelnatz? Nur der komische Kauz, Verfasser von Nonsens-Gedichten, skurrilen Erzählungen und witzigen Aphorismen, als den ihn viele sehen? Oder doch ein Künstler von hohen Graden? Tina-Nicole Kaiser und Jürgen Wegscheider gaben mit einem Ringelnatz-Abend am vergangenen Samstag eine sehr persönliche Antwort auf diese Frage. Sie hatten Ringelnatz-Texte aus ganz verschiedenen Phasen seines Lebens und Schreibens ausgewählt und präsentierten sie im kleinen, intimen Rahmen der idyllisch an der Glonn gelegenen Furthmühle zwischen Odelzhausen und Egenhofen. Nur knapp zwei Dutzend Zuschauer hatten sich in der Museumsmühle eingefunden, in der bis vor kurzem noch Getreide gemahlen wurde und seit einigen Jahren ein anspruchsvolles Kleinkunstprogramm angeboten wird.

Mit Tina-Nicole Kaiser und Jürgen Wegscheider waren diesmal zwei Schauspieler in die Furthmühle gekommen, die ganz offensichtlich einen besonderen Bezug zu Ringelnatz und seinem Werk haben. Sie sehen hinter dem 1883 geborenen und 1934 verstorbenen Mann, der ein von Geldnot und zeitweilig selbst von Obdachlosigkeit geplagtes Wanderleben geführt hat und erst in späteren Jahren künstlerische Anerkennung fand, einen sensiblen, durchaus tiefgründigen, oft auch melancholischen Menschen.

Das Schreiben, auch das Zeichnen und Malen, hat das Leben von Ringelnatz, der eigentlich Hans Gustav Bötticher hieß, von Kindheit an bestimmt: Eine der Erzählungen, die Kaiser und Wegscheider vortrugen, hat Ringelnatz als nur Zwölfjähriger geschrieben. Von Kindesbeinen an hat Ringelnatz offenbar auch unter seiner körperlichen Erscheinung gelitten, unter seiner langen Nase und der kleinen Statur, weshalb der Einstieg ins Programm von Wegscheider und Kaiser auch diesen von Ringelnatz selbst thematisierten Äußerlichkeiten galt.

Aber auch etwas Anarchisches steckte offenbar in dem gebürtigen Sachsen: Seine Rotkäppchen-Version "aus Sicht eines Seebären" stellt alle gängigen Vorstellung, wer hier der Gute und wer der Böse ist, lustvoll auf den Kopf: Die Großmutter nämlich frisst alle Akteure der Geschichte einschließlich des "bösen" Wolfes selber auf.

Selbst dort, wo fantastische Ideen, Wortwitz, die Lust am Reimen und überraschende Wendungen den Inhalt der oft nur ganz kurzen Gedichte von Ringelnatz bestimmen, ist spürbar, dass es ihm zugleich auch um hintersinnigen Ernst geht. So etwa bei seinem bekannten Gedicht von den Hamburger Ameisen, die nach Australien aufbrechen, bereits auf der Altonaer Chaussee aber "weise auf den zweiten Teil dieser Reise" verzichten: Ihnen tun inzwischen die Beine weh. "Gib nach, wenn die Dinge zu beschwerlich werden", heißt hier offensichtlich der Ratschlag, den der von so vielen schwierigen Lebensumständen geplagte Dichter wohl auch sich selber gibt. Das Leben als Seemann, Schlangenbändiger, kurzzeitigem Tabakladenbesitzer, Bohemien in Schwabing und "Hausdichter" im Münchner "Simplicissimus" unter Kathi Kobus, als reisender Vortragskünstler und erst ab 1920 in Berlin und auf vielen anderen Bühnen erfolgreicher Kabarettist zwang Ringelnatz oft genug dazu, sich mit einem lachenden und weinenden Auge in die Umstände zu fügen.

Gegen Ende dieses Lebens, das zuletzt noch von einem Veröffentlichungs- und Auftrittsverbot der Nazis gekennzeichnet war, werden Ringelnatz' Themen ernster, stärker von der Erinnerung an den Vater oder von der Suche nach Verständnis und Liebe - die er bei seiner Frau Leonharda Pieper fand - geprägt.

Wie zeitlos die Texte von Ringelnatz sind, und wie sehr sie gerade auch in unsere Zeiten passen, zeigt ein Aphorismus, mit dem Kaiser und Wegscheider den Abend beschlossen. "Die Leute sagen, die Zeiten werden schlimmer - die Zeiten bleiben immer - die Leute werden schlimmer", heißt das Resümee des hellsichtigen Ringelnatz.

Was dem Abend in der Furthmühle seinen besonderen Reiz verlieh, war die Interpretation der Texte durch Tina-Nicole Kaiser und Jürgen Wegscheider. Als Schauspieler, die an verschiedenen Bühnen tätig sind und gemeinsam oder auch mit anderen Partnern literarische Lesungen geben, können sie den Texten eine zusätzliche Dimension verleihen: die des körperlichen Ausdrucks. Wunderbar waren ihr auf einander bezogenes Mienenspiel, die Gesten, mit der sie Sprache untermalten und zusätzlich gestalteten. "Grandios" urteilte eine Zuhörerin, als sie Kaiser und Wegscheider für den unterhaltsamen Abend dankte.

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