Süddeutsche Zeitung

Dinge vom Speicher aus dem Keller:Das zweite Leben

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Vor allem Spielsachen, Haushaltsgegenstände und Taschen sind beim Gröbenzeller Hofflohmarkt gefragt. Die Sachen werden somit nicht einfach weggeworfen und die neuen Besitzer freuen sich über Funktionstüchtiges zu günstigen Preisen

Von Stefan Salger, Gröbenzell

Wer den Wetterbericht ignoriert hat, bekommt am Sonntagnachmittag eine zweite Chance, bevor es ihm nass reingeht: An einem Gartenzaun lehnen zwei schwarze Herrenschirme. Wem das zu oldfashioned ist, der kann ein paar Meter weiter auf der anderen Straßenseite den Regen-Fahrradponcho erwerben. Kostet ganze drei Euro - Verhandlungsbasis. Damit wäre man für den Platzregen gerüstet, der fünf Minuten später über dem Gröbenzeller Hofflohmarkt hereinbricht.

Die dunkelgrauen Wolken ballen sich zwar bereits wieder bedrohlich über den bunten Luftballons, mit denen die Standorte der über den Ort verteilten 190 Anbieter markiert sind. Aber noch weiß die Hausgemeinschaft an der Eschenrieder Straße nicht, dass über ihren Garten, die auf Tischen drapierten Sachen und die am Zaun hängenden Kinderkleider gleich die Sintflut hereinbrechen wird. Aber Sonne gehört zu einem Flohmarkt ebenso wie Regen.

Noch also sitzt Michael Metz ziemlich tiefenentspannt zwischen dem Gesamtkunstwerk aus Tischen und Kleiderständern an der Eschenrieder Straße auf seinem Campingstuhl. Und währen ein paar Leute an den Sachen vorbeiflanieren, sinniert er über das Flohmarktwesen. Metz verfügt schon über einschlägige Fachkenntnis, hat öfters mal Flohmärkte besucht im Umkreis. Meist aber als Käufer. Diesmal ist er Verkäufer. Gehandelt wird natürlich immer. Das gehört einfach dazu. "Alles okay", sagt Metz. Ein paar Meter weiter sitzt der fünf Jahre alte Selim. Er sieht das ähnlich. Das Puzzle vor ihm auf dem Tisch. Fünf Euro. Ob man es nicht doch für drei Euro haben könnte? Na klar, Selim lacht. Vor ihm liegt ein Berg an Spielen und Spielsachen. Nur die Autorennbahn, die hat er nicht rausgeräumt, die bleibt oben in der Wohnung. Unverkäuflich. Naja, vielleicht nächstes Jahr, mal sehen. Selims Mutter Funda Sadak hat gerade eine Decke für fünf Euro verkauft. Es hat sich wieder einiges angesammelt. Im vergangenen Jahr hat sie den Hofflohmarkt verpasst. Diesmal nutzt sie die Chance. Denn es ist einfach praktisch. Man braucht die Sachen nur aus dem Keller hochzutragen und muss sie nicht durch die Gegend fahren zu einem Flohmarkt. Ein bisschen Geld kommt auch rein, und außerdem kommt man ins Gespräch mit Nachbarn und Passanten. "Es macht schon auch Spaß", bestätigt Michael Metz. Seine Tochter Marlene, 5, ist gerade nicht da, also ist er auch vorübergehend zuständig für die angebotenen Spielsachen und Kinderkleider. Kinderkleider gehen aber nicht so gut wie Spielzeug, erklärt Marlenes Mutter Manuela Metz. Erwachsenenkleider noch weniger. Was erfahrungsgemäß gut geht, sind Taschen, Koffer, Haushaltswaren. Ein Topfset hat gerade für zehn Euro den Besitzer gewechselt. Irgendwo freilich ist der Verhandlungsspielraum auch am Ende: Für zwei Euro wollte Manuela Metz die hochwertigen Leder-Kinderschuhe nicht hergeben. Sieben Euro sind das Minimum. Da also wurde man sich ausnahmsweise nicht handelseinig. Aber es ist ja erst 14 Uhr, da bleiben also noch drei Stunden. Manche Kunden handeln erst mal, gehen dann weiter. Und wenn sie andernorts nicht fündig werden, kommen sie später noch mal. Günstig sind fast alle Dinge hier zu haben, denn es sind ja keine professionellen Händler am Werk. Was sich als Ladenhüter erweist, wird halt wieder in den Keller getragen. Manches wird dann in Online-Anzeigenportalen angeboten, auch wenn sich das wegen der Versandgebühren nur bei wertvolleren Dingen rentiert. Eines ist so oder so gewiss: Am Abend nach dem Hofflohmarkt wird die Hausgemeinschaft mindestens einen Teil der Erlöse gleich wieder investieren: in Grillgut und Getränke für die gemeinsame Feier.

Vuk Latinovic, 51, hört so etwas sehr gerne. Bei ihm laufen die Fäden des Gröbenzeller Hofflohmarkts zusammen. Seit zwölf Jahre gibt es den, jedes Jahr einmal im südlichen Ortsteil und einmal im nördlichen. Hinter der Zweiteilung steckt ein Plan. Auf diese Weise überwinden die Gröbenzeller die Bahnlinie, die den Ort in zwei Hälften trennt. Latinovic nennt es "Neue Ecken entdecken". Wer sich mit ihm unterhält, merkt schnell, dass es hier nicht ums große Geschäft geht. Das wird allein schon mit Blick auf die Kisten mit gut 200 Langspielplatten deutlich, die neben dem Tisch mit den Spielsachen unter dem am Bügel hängenden weißen Trachtenhemd für fünf Euro stehen. Für einen Euro gibt's vor der "Fotobude" an der Bahnhofstraße ausnahmsweise mal Klassiker aus Pop und Rock wie etwa das Album von Yazoo. 1982 haben die den Hit "Don't go" veröffentlicht. So was also gibt's jetzt für einen Euro - die Bücher daneben sogar gegen eine freiwillige Spende. Latinovic lacht nur. Zuhause hat er noch an die 3000 Schallplatten, ein paar müssen jetzt halt wieder raus, um Platz zu schaffen für neues Gebrauchtes. Auch das stecke hinter dem Konzept seines "Babys", das er in München kennen gelernt hat: kaufen, verkaufen, nicht einfach Sachen in den Müll werfen oder zum Containerplatz bringen, die andere noch gut gebrauchen können. Ihnen ein "zweites Leben" ermöglichen. Außerdem die Dinge anschauen und in die Hand nehmen können, statt nur Fotos im Internet zu sehen. Und die Leute zusammenbringen. Die seien fast so etwas wie "Gastgeber". Zwölf Euro hat jeder Teilnehmer gezahlt, im Gegenzug gibt's Werbung und bunte Luftballons als Wegweiser.

Latinovic hat einen "Deal" mit seinem neunjährigen Sohn Oskar gemacht. "Wenn der sein Zimmer ordentlich ausräumt und viele Sachen verkauft, dann könnte da ja dann Platz sein für ein Schlagzeug". Oskar nimmt die Sache ernst: bereits um kurz nach 10 Uhr, als es losgeht, verkauft er einen ganze Kiste mit Duplo-Bausteinen für 30 Euro.

Latinovic hat zu Hause ein paar Kartons. Das ganze Jahr über wandert das eine oder andere ausrangierte Ding in einer der Kisten und wird damit buchstäblich aussortiert. Im vergangenen Jahr wurde er aber auch mal wieder selbst fündig und erstand eine wunderschöne alte Schreibtischlampe für ganze 15 Euro. Um den Preis geht es gerade gar nicht vor dem Fotogeschäft. Da interessiert sich Elia für ein Lernpaket Elektrotechnik. Sein Vater Christian Feist ist nicht so überzeugt, denn der Achtjährige ist fürs Verlöten von Bauteilen und solche Aufgaben dafür noch etwas jung. Die Boxhandschuhe kommen für Elia als Alternative aber auch nicht in die engere Wahl. Der rechte Handschuh bewährt sich zwar beim Schaukampf gegen die Schwester, die mit dem linken Handschuh ausgestattet wird und locker pariert. Aber da geduldet sich Elia doch lieber. Der Flohmarktbummel hat ja gerade erst angefangen, nachdem die Familie vormittags bei einer Taufe war. Und wenn man anderweitig nicht fündig wird, dann kommt man ja vielleicht auf dem Rückweg noch mal an dem grünen Elektronik-Baukasten vorbei und der Papa entdeckt seinen sportlichen Ehrgeiz beim Handeln. Oskar Latinovoic jedenfalls würde sich freuen.

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Quelle:
SZ vom 23.07.2019
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