Digital:Bildung als Gegengift zum Antisemitismus

Ludwig Spaenle, 2020

Ludwig Spaenle, der Antisemitismus-Beauftragte der Staatsregierung, sprach beim Brucker Forum.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Im Rahmen der Wochen gegen Rassismus warnt Ludwig Spaenle vor Querdenkern und der AfD

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Die Querdenker beunruhigen Ludwig Spaenle, den Antisemitismus-Beauftragten der bayerischen Regierung. Tausende versammelten sich in München, "bestes Bürgertum", das "irrstes und gefährlichstes Zeug" beklatsche. Unmut und Protest gegen die Maßnahmen mögen berechtigt sein, aber die Bewegung befördere antisemitische Tendenzen, warnte der CSU-Landtagsabgeordnete auf einer Veranstaltung des Brucker Forums am Mittwoch im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus.

Die Veranstaltung fand digital statt, mit 25 Teilnehmern, die von Spaenle zunächst einen kompakten Vortrag über das Phänomen erhielten. Antisemitismus sei fast so alt wie das Judentum und leider "unausrottbar", begann der Referent. Über Jahrhunderte sei der Judenhass christlich-religiös geprägt worden, basierend auf dem wahnhaften Vorwurf des Gottesmordes, später der Brunnenvergiftung und des Ritualmordes. In Altbayern vertrieben die Wittelsbacher die Juden zu Beginn der Neuzeit, erst nach Aufklärung, Säkularisation und den Napoleonischen Kriegen durften sie im 19. Jahrhundert wieder ins Land.

Eine wichtige Etappe stellte der völkisch-rassistische Antisemitismus dar, der sich im 19. Jahrhundert parallel zur rechtlichen Gleichstellung der Juden in Deutschland ausbreitete und am Ende des Ersten Weltkrieges eine "dramatische Beschleunigung" erfuhr, wie Spaenle erklärte. Die Nationalsozialisten griffen diese Doktrin auf. Dabei dürfe man die Schoah nicht mit den Verbrechen des Stalinismus gleichsetzen, betonte der CSU-Politiker. Die Singularität der deutschen Verbrechen - Spaenle bevorzugte die Formulierung "Verbrechen in deutschem Namen" - besteht in ihrer Irrationalität und der industriellen Form. Während es der Stalin-Diktatur bei ihren millionenfachen Morden um Machtpolitik gegangen sei, wurden die Juden wegen ihrer Zugehörigkeit getötet. Selbst in den letzten Kriegsjahren hatten deshalb Züge, die Juden in die Vernichtungslager transportierten, Vorrang vor denen der Wehrmacht, die Nachschub an die Front bringen sollten.

In der Diskussionsrunde bekannte Spaenle später, was ihn "dramatisch umtreibe" sei der Umstand, dass von den Hunderttausenden Tätern nur einige wenige strafrechtlich verfolgt worden seien. Erst die amerikanische Fernsehserie "Holocaust", die 1979 in der Bundesrepublik ausgestrahlt wurde und das Schicksal einer jüdischen Familie schilderte, habe ein Umdenken ausgelöst und das "kollektive Schweigen in der Nachkriegszeit" beendet.

Leider sei der Antisemitismus nach 1945 nicht verschwunden, sagte Spaenle. Neben traditionellen Vorurteilen und rechtem Antisemitismus finde sich ein linker Antizionismus, der sich gegen die Existenz des Staates Israel richtet. Die Dämonisierung und Delegitimierung Israels bereite ihm große Sorgen, weil sie bis "in die Mitte der Gesellschaft" reiche. Dazu gibt es einen islamischen Antisemitismus sowie einen sekundären Antisemitismus, den Spaenle als "deutschlandspezifisch" bezeichnete. Diese Variante ziele darauf ab, die Juden selbst noch für die Schoah verantwortlich zu machen und ihnen vorzuwerfen, bis heute daraus Vorteile zu schlagen. Der Begriff der "Auschwitzkeule", den der Schriftsteller Martin Walser in seiner berüchtigten Paulskirchenrede verwendete, fällt in diese Kategorie.

Die Digitalisierung erleichtere die Verbreitung antisemitischer Vorstellungen, sagte Spaenle. Dazu betreibe die AfD, deren Namen er nicht nennen mochte, eine Geschichtspolitik, die darauf abziele, Grenzen des Sagbaren zu verschieben. Er verwies auf die Rede des Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland, der davon gesprochen hatte, dass der Nationalsozialismus nur ein "Vogelschiss" in tausend Jahren deutscher Geschichte sei. Die Formulierung von den tausend Jahren sei das Schlüsselwort, erklärte Spaenle. Diese Partei fungiere als "Brandbeschleuniger", warnte er.

Als Gegengift empfahl der Antisemitismusbeauftragte mehr Aufklärung und Bildungsarbeit, in Schulen, unter Erwachsenen und in Vereinen. Denn der Antisemit sei dumm. Auf die Frage, wie es zu werten sei, wenn eine Mehrheit des Brucker Stadtrates nach jahrelanger Diskussion die Straßennamen des SS-Mannes Wernher von Braun oder von Julius Langbehn, einem antisemitischen Hassprediger, belasse, sagte Spaenle, man solle das als "Zwischenetappe" nehmen. Beharrlich und sensibel, klug und mit Argumenten müsse man agieren, um einen "Erkenntniskonsens" zu erzielen.

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