Die Alten im Blickpunkt:Lebensfreude in Schwarzweiß

Im Evangelischen Pflegezentrum Eichenau wird die Fotoausstellung "Hier kann ich gehen" eröffnet. Sie zeigt ohne übertriebene Rührseligkeit den umsorgten Alltag betagter Menschen

Von Stefan Salger, Eichenau

Einen Tag verbringt Wolfgang Noack im Frühjahr 2017 im Evangelischen Pflegezentrum. Ein Tag, der ihn anrührt, ein Tag, an dem er betagte Frauen und Männer kennen lernt, die so viel Lebensfreude ausstrahlen. Noack ist Fotograf. Ein gutes Jahr ist es her, dass er im Auftrag des Diakonischen Werkes Bayern das Pflegeheim besuchte. Am Freitag, als die Wanderausstellung unter dem Titel "Hier kann ich gehen" eröffnet wird, trifft er irgendwann eine der Frauen, die er damals porträtiert hat. In einer gestreiften Strickjacke ist Anna Schneider an der Seite einer Pflegerin zu sehen, die sie ein wenig fragend anblickt. Das Bild hängt hinter dem Buffet und den Bistrotischen, die für die kleine Feier im zweiten Stock aufgebaut worden sind. Die Frau ist zwei Köpfe kleiner als der Fotograf. Sie strahlt übers ganze Gesicht, als er sich zu ihr hinunterbeugt und sie vorsichtig in den Arm nimmt.

Die 24 großformatigen Schwarz-Weiß-Bilder sind noch bis Mitte Februar zu sehen. Sie zeigen in authentischer Weise Menschen in ihrem Alltag. Ohne aufwendige Kulisse, ohne Blitzanlage, motivbedingt mal mit mehr, mal mit weniger Schärfentiefe aufgenommen von einem Fotografen, der als stiller Beobachter gekommen ist. Der niemanden in Szene setzen, sondern einen Augenblick im Leben dokumentieren und konservieren will. Alle Aufnahmen bilden dem Ausstellungstitel zufolge die Zeit vor dem unerbittlich nahenden Lebensende ab. Die letzte Umschlagseite der Begleitbroschüre mit den Fotos zeigt nicht ohne Gund - ausnahmsweise in Farbe - die mit Stern und Engel verzierte Tür zum Sterbezimmer der Eichenauer Einrichtung. Und doch wirken die Bilder so optimistsch, lebensbejahend, empathisch. Keine Spur von Schwermut. Zusammengetragen wurden sie in Eichenau, im Mathildenhaus-Hospiz Nürnberg-Mögeldorf und in der Diakonie Neuendettelsau. Sie spiegeln den Alltag im Hier und Jetzt und lassen doch Platz für die Vergangenheit: Da lächelt ein Mann mittleren Alters - auf eine Namensnennung aller Porträtierten wurde bewusst verzichtet - neben seinen aufgereihten Medaillen und scheint beseelt von der Erinnerung an seine sportlichen Erfolge. Auf einer anderen Aufnahme sind Pflegerinnen zu sehen, die einer bettlägerige Seniorin offenbar gut gelaunt einen Ostergruß überbringen. Einige Aufnahmen vermitteln durchaus auch Nachdenklichkeit und Würde. So wie bei der Frau im Mögeldorfer Hospiz, die mit großen Augen den Blickkontakt zur Pflegerin sucht. Oder bei der älteren Frau, die in Eichenau gemeinsam mit vier Mitbewohnerinnen sehr konzentriert an einer Klangschalentherapie teilnimmt.

Das Evangelische Pflegezentrum hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Menschen an ihrem Lebensabend zu begleiten und dem Tod seinen Schrecken zu nehmen. Nach dem Gottesdienst rückt Einrichtungsleiter Dirk Spohd vor den etwa 60 Bewohnern und Gästen sein Helferteam in den Blickpunkt: den Hospizbeauftragten, die Seelsorger, die als "gelbe Engel" bekannten spirituellen Begleiter und die Palliativ-Fachkräfte. Einige von ihnen sind auf den Bildern von Wolfgang Noack zu sehen.

Der 65 Jahre alte Braunschweiger ist Reportage- und Reisefotograf. Themen wie Pflegebedürftigkeit und Demenz sind ihm von seiner eigenen Mutter vertraut. Und doch ist ein Pflegeheim eher "nicht meine Location", wie er am Rande der Vernissage unumwunden einräumt. Gleichwohl hat ihm dieses ungewöhnliche Shooting viel Freude bereitet. Bevor er zur Kamera greifen konnte, musste er das Vertrauen der Menschen gewinnen, die passende Atmosphäre schaffen. Er redete mit ihnen, hörte zu, unter Wahrung der kritischen Distanz. Und manchmal musste er dann doch auch selbst schmunzeln. Etwa als ihn an jenem Tag eine ältere Demenzpatientin ansprach und sich mal eben seine Kamera borgen wollte - um den Fotografen zu fotografieren.

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