Süddeutsche Zeitung

Derblecken:Die Kreisstadt, ein Affenzirkus

Starke Worte zum starken Bier: Beim Fürstenfelder Salvator lastet Fastenprediger Jürgen Kirner den Politikern den Stillstand in Bruck an. Mit Armut und Klimaschutz schreckt er aber auch nicht vor ernsten Themen zurück

Von Karl-Wilhelm Götte, Fürstenfeldbruck

Georg Stockinger hatte Losglück und darf das Starkbierfest "Fürstenfelder Salvator" eröffnen. Der Freie-Wähler-Stadtrat erledigt die Aufgabe ganz souverän mit drei kräftigen Schlägen - dann fließt das Bier in Strömen, und die Blaskapelle "Die Bayerischen Löwen" schreitet zu den Klängen des Defiliermarschs durch die Reihen. Hintendrein kommt Fastenprediger Jürgen Kirner in der Mönchskutte und grinst verschmitzt. Bei den lokalen Politikergrößen steigt der Blutdruck, wissen sie doch, dass der Starkbierredner ihnen gleich ordentlich den Kopf waschen wird. Auch die Brucker "Bürgerinnen und Bürger" in dem mit 350 Gästen ausverkauften Kleinen Saal werden von Kirner dieser "Stagnations- und Verwesungskommune" zugerechnet.

Landrat Thomas Karmasin sitzt zusammen mit der CSU-Bundestagsabgeordneten Katrin Staffler ganz vorn. Doch zunächst nimmt Kabarettist Kirner Erich Raff - vier Plätze weiter hinten - aufs Korn. Der Brucker Oberbürgermeister werde von den Stadträten ständig "öffentlich verbal ausgepeitscht", weil sie ihn für die Misere der Kreisstadt verantwortlich machen. Acht Millionen weniger Gewerbesteuer innerhalb von zwei Jahren, Kaufhaus Kohl und Rossmann weg und kein Flair, zählt Kirner auf. "Erich, gefällt dir das?", fragt er. "Gingst du ned lieber zu einer Domina in die Hasenheide zum Auspeitschen, als dich von der Geißler Karin vorführen zu lassen?" Da lacht der Saal. Der Fastenprediger empfiehlt Raff dann, den Fußballclub SCF im Nebenerwerb zu übernehmen, kenne er sich doch mit "zahlungsunfähigen Betrieben" gut aus.

Dann fixiert Kirner kurz den Tisch der SPD. "Philipp Heimerl, du wackerer Kämpfer der letzten Sozialdemokraten", begrüßt er den Fraktionschef der SPD und spricht von einem "Verfallsprodukt", wendet sich aber dann sofort den Begriffspaar "Politiker" und "Dummheit" zu. Für den dann folgenden klugen Satz erhält Kirner Szenenapplaus: "Das Kernproblem ist, dass intelligente Menschen voller Selbstzweifel und dumme voller Selbstvertrauen sind." Jetzt bekommt der Stadtrat die kollektive Schelte vom Redner ab: "Euer Haushalt ist eine Luftnummer. Nichts geht voran. Das ist wie in einem Affenzirkus bei euch. Ihr seid gewählt, um gemeinsam eure Kommune voranzubringen, nicht euch persönlich. Ihr braucht Lösungen, zum Beispiel beim Wohnungsbau." Donnernder Applaus.

Landrat Karmasin kommt glimpflich davon. Kirner nimmt sich seine Afrikasolidarität vor und schreibt ihm ins Stammbuch: "Solange Konzerne wie Nestlé den Menschen auf diesem Kontinent die Lebensgrundlagen systematisch entziehen, helfen keine Solidaritätszahlungen."

Der Fastenprediger unternimmt auch einen Ausflug in die Landespolitik. Oberste Zielscheibe ist, wenig überraschend, natürlich das "Landesoberchamäleon" Markus Söder, "der fränkische Minijob-Vordenker", der "notfalls jede weibliche Blüte in Bayern persönlich bestäuben würde." Dafür wird die große Abordnung der Grünen, mit Landtags-Fraktionssprecher Ludwig Hartmann ganz vorne, vom CSU-Mitglied Kirner eher zahm behandelt. Der SPD rät er noch, sich mal freitags auf der Straße bei den jungen Demonstranten nach politischem Nachwuchs umzuschauen. Motto: "Fridays for SPD."

Dann wird die Politikerkaste insgesamt zur Zielscheibe des Fastenpredigers, der das Land von "einer Bande drittklassiger Büffetgrinser" schlecht regiert sieht. Kirner zeigt sich empört, dass in diesem unendlich reichen Land "neun Millionen Menschen unter zehn Euro in der Stunde verdienen" und alte Menschen mit Minirenten abgespeist und der Tafel überlassen würden. Den größten Beifall erntet Kirner, als er das Engagement der jungen Schwedin Greta Thunberg für den Klimaschutz kommentiert: "Ich möchte niemals so ein zynischer alter Sack werden, wie die, die eine 16-Jährige beleidigen, ganz einfach nur, weil sie sonst nix zu tun haben."

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SZ vom 01.04.2019
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