Aufklärungskampagne:Depressionsaufklärung mit dem Tandem

Aufklärungskampagne: Bernhard Rieder und Katrin Spitta sprechen als Teilnehmer der Mut-Tour über ihre Erfahrungen mit Depression.

Bernhard Rieder und Katrin Spitta sprechen als Teilnehmer der Mut-Tour über ihre Erfahrungen mit Depression.

(Foto: Leonhard Simon)

Bei der Mut-Tour radeln Menschen durch die Republik, um über die Krankheit zu informieren. Auch in Fürstenfeldbruck wollen sie dazu beitragen, das Thema zu enttabuisieren.

Von Quirin Knospe, Fürstenfeldbruck

Obwohl mittlerweile etwa jede zwölfte Person in Deutschland irgendwann im Leben an einer Depression erkrankt, ist das Thema oft noch ein gesellschaftliches Tabu. Das möchte die Mut-Tour ändern. Auf Tandems, bepackt mit Campingausrüstung, reist das Aktionsprogramm des Vereins "Mut fördern" seit zehn Jahren für einige Wochen durch Provinz und Großstädte aller 16 Bundesländer, um Menschen für mehr Offenheit im Umgang mit Depressionen zu sensibilisieren und Wissen über die Krankheit zu vermitteln. Gestartet am 18. Juni im Norden Deutschlands, machen sich die Tandem-Teams aus je sechs Personen dieses Jahr erneut in Etappen auf die Reise entlang unterschiedlicher Routen.

Wie im vergangenen Jahr macht die Mut-Tour am Dienstag in Fürstenfeldbruck Station, um den offenen Austausch mit Menschen mit Depressionserfahrungen sowie Angehörigen zu fördern. "Depressionen sind noch immer ein Tabuthema. Wir wollen dazu beitragen, dass damit offener umgegangen wird", sagt Teilnehmer Bernhard Rieder. Das Team um den 48-Jährigen und Katrin Spitta, 46, ist am 1. September in Tuttlingen gestartet, um seine etwa 500 Kilometer lange Informationsreise über Sigmaringen, Ulm, Augsburg, Fürstenfeldbruck und München bis nach Regensburg zu absolvieren.

Aufklärungskampagne: Auf ihren Fahrrädern haben die Radfahrer positive Nachrichten angebracht.

Auf ihren Fahrrädern haben die Radfahrer positive Nachrichten angebracht.

(Foto: Leonhard Simon)

Auf ihren Tandems und den leuchtend blau-grünen Radshirts sind Sprüche wie "Macht Sinn, macht Spaß, macht Mut", "Für mehr Mut und Wissen im Umgang mit dem Thema Depressionen" oder "Für einen offenen Umgang mit Depressionen" zu lesen. Normalerweise wären sie, wie die anderen Teams, zu sechst unterwegs, aber ein Teilnehmer sei leider kurzfristig krank geworden, erklärt Rieder den leeren Platz auf einen der Tandems. Der Regensburger nimmt bereits zum zweiten Mal an der Mut-Tour teil. Der Physiker war selbst an einer schweren Depression erkrankt: "Ich habe die schwere Depression im Lockdown entwickelt. Der war für mich ein Baustein", sagt er. Bei ihm habe sich die Krankheit schrittweise durch starke Schlafprobleme und Minderwertigkeitskomplexe gezeigt, aber auch in Antriebslosigkeit, die schlussendlich in der Arbeitsunfähigkeit endete. Sein Arbeitgeber und seine Kollegen seien sehr gut damit umgegangen, dies sei jedoch alles andere als selbstverständlich. "Wir würden gerne den Zustand herbeiführen, dass beispielsweise auch Arbeitgeber informiert genug sind, Hilfe anzubieten und zu wissen, dass Arbeitnehmer nicht nur mehr Urlaub wollen".

Der Regensburger berichtet, er habe seine Depression durch einen Klinik-Aufenthalt gut therapieren können. Vor allem das offene Gespräch über das Thema sei wichtig für den Umgang mit der Krankheit. "Ich habe sehr positive Erfahrungen gemacht, dadurch, dass ich sehr offen mit dem Thema umgehe", sagt Rieder. "Man kommt dorthin, wo man gespiegelt wird und Menschen mit ähnlichen Problemen trifft." Es sei wichtig, Depressionen so offen als Krankheit zu thematisieren, wie man es auch bei physischen Beschwerden tun würde.

Die 46-jährige Katrin Spitta erzählt, dass sich ihre depressive Erkrankung durch eine verstärkte Freudlosigkeit bemerkbar machte. Ihr Mann habe zwar alles versucht, damit sie sich besser fühle. "das hat mich dann aber immer mehr unter Druck gesetzt", sagt die Sozialarbeiterin aus dem Landkreis Reutlingen. Bernhard Rieder fügt hinzu, es brauche auch "Aufklärung für die Angehörigen, dass eine Depression eine Krankheit ist, die viele Auslöser hat" und Betroffene nicht einfach nur unglücklich seien. Denn eine psychische Erkrankung könne auf lange Sicht auch für die Angehörigen belastend sein: "Wenn sie versuchen zu viel zu helfen, kann es schnell zur Überlastung kommen", sagt der Regensburger.

Die Tour sei nicht als direktes Therapieangebot gedacht. "Dafür sind wir zu große Laien", sagt Rieder lachend. Selten kämen Leute auf das Team zu und sagten "Ich glaube, ich habe Depression". Die meisten seien sich ihrer Erkrankung bereits bewusst. Es gehe vielmehr darum, mit Betroffenen, Angehörigen oder Interessierten in den Dialog zu treten und als Beratung oder Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen. "Wir wollen vor allem rüberbringen, dass Depressionen heilbar sind und wie wichtig es ist, sich Hilfe zu holen", erklärt Katrin Spitta.

Natürlich werde man bei einer solch langen Reise auch das ein oder andere Mal zornig angeredet: "Das sind doch alles Simulanten. Die sind ja nur zu faul zum Arbeiten", habe ein älterer Mann dem Team zugerufen, erzählt Bernhard Rieder. Das sei jedoch glücklicherweise die Ausnahme. Die ehrenamtlichen Mut-Teilnehmer sehen zuversichtlich in die Zukunft: "Wenn wir dazu beitragen können, dass das Thema offener angegangen wird, dann ist schon was gewonnen", sagt Katrin Spitta. Bernhard Rieder ist sich sicher, dass das Thema Depression in den letzten Jahren gesellschaftsfähiger geworden ist: "Das ist ein Tabu, das gerade aufbricht. Da ist momentan ein gesellschaftlicher Umschwung da."

Beratung und Unterstützung für Betroffene, Mitbetroffene und Angehörige gibt es unter anderem unter Telefon 0800/65 53 000 beim Krisendienst Bayern

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