Dachau:Wirklich sehen

Ruth Strähhuber zeigt in der Galerie der Künstlervereinigung Bilder und Videos, die sich um eine einzige Frage drehen: um die Grenzen und Chancen der Malerei. Eine Ausstellung zum Thema Offenheit und Verletzlichkeit

Von Wolfgang Eitler, Dachau

So viele Geschichten auf einmal. Da ist zunächst die Szenografin Ruth Strähhuber am Bauernhofmuseum in Jexhof im Landkreis Fürstenfeldbruck, die historische, kulturelle und religiöse Themen visualisiert. Dieser biografische Aspekt ließe sich wunderbar mit ihrem Pferdehof bei Maisach verbinden, schon der bäuerlichen Assoziation wegen. Ruth Strähhuber erfüllt sich gerade den Traum von einer speziellen Tierhaltung. Sie baut ein Anwesen auf, das sich am Leben von Wildpferden orientiert. Der Staat fördert das Vorhaben finanziell, weil es sich um ein aus ökologischer Sicht einzigartiges handelt.

Ein Porträt der Strähhuber-Dynastie wäre ebenfalls spannend, weil Vater Alfons als leidenschaftlicher Humanist das Dom-Gymnasium in Freising leitete und Mutter Annemarie Grundschullehrerin war. Beide sind im Landkreis Fürstenfeldbruck kulturell enorm tätig. Vielleicht lassen sich Strähhubers Geschichten in der einen vereinen? Denn eigentlich ist Ruth Strähhuber Malerin und Videokünstlerin. Sie stellt gerade in der Galerie der Künstlervereinigung Dachau (KVD) aus. Schwägerin Cosima ist auch Künstlerin.

Aber mit einem skeptisch staunenden Blick - er findet sich in den Porträts ihrer beiden Töchter wieder - schaut sie einen an, als müsste sie erst noch klären, ob sie dem Gegenüber so recht trauen will. Sie lacht dann doch. Selbstverständlich könnte sie, sagt sie, auf zahlreiche Erlebnisse und Erfahrungen verweisen. Bloß seien sie allenfalls "Auslöser" für ein Bild oder ein Video. "Wirklich wichtig sind sie nicht."

Überhaupt ist ihr ein Diskurs über Kunst fremd, der sich um Wesenhaftes oder um das Sein und um die eigene, selbstverständlich unglaubliche Tiefe dreht. In einem kleinen Film gräbt eine Hand ständig hinein in eine ominöse Dunkelheit. Aus dem Off spricht die Künstlerin: "Tief in meinem Drinnen muss doch etwas sein, muss bestimmt etwas sein." Ist der Text ironisch gemeint? Ruth Strähhuber nickt.

Ausstellung to be or not to be

Das Pferd ist eigentümlich visuell präsent, obwohl es im weißen Raum verschwindet. Ruth Strähhuber lotet das Verhältnis von Sichtbarem und Unsichtbarem aus.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Kommen wir zur Kunst. Ein Frau schält sich aus einer Dunkelheit heraus, die sie raumfüllend umhüllt. Um solche Effekte zu erreichen, löst die Malerin Ölfarbe in extrem viel Terpentin auf. Die Masse lasiert sie auf die Leinwand. Deren Struktur bleibt erhalten. Einerseits entstehen Abbildungen von Menschen, andererseits werden der künstlerische Prozess und die Farbe als Material sichtbar. Dieses Verfahren führt mitten hinein in Ruth Strähhubers Idee von Kunst.

Eine vermutlich ältere Frau ist in einer Rückenansicht zu sehen. Sie löst sich im Hintergrund auf, der durch ein paar Linien als geometrischer Raum angedeutet wird. Er deutet ein Schaufenster an, in dem jemand ausgestellt wird. Mit einer leichten roten Linie konturiert die Malerin den Körper der Frau, der dadurch verletzlich wirkt und den voyeuristischen Blick auf den Akt blockiert. Die Scham verbietet ihn. Ins Extreme treibt Strähhuber ihr malerisches Verfahren in dem Bild eines Pferdes, das sich ins Weiß auflöst und unsichtbar wird. Die Geschichte dazu erzählt sie in einem Video. Ihr Lieblingspferd, das, wie sie sagt, vertrauensvoll "alles mit sich machen lässt", hüllt sie in einer Schneelandschaft in weiße Tücher. Die beiden Werke sind auch ein kunstgeschichtliches Zitat. Denn Paul Cézanne war einer der ersten Maler, der die Darstellung in dieser Weise auf die Spitze trieb. Bekannt sind Stillleben, in denen der Betrachter Früchte sieht, die nicht mehr gemalt sind. Der Maler zwingt zu einem Sehen, das nicht wiedererkennt, sondern erkennt. Der Zuschauer wird zum Teil des malerischen Prozesses, der deswegen sichtbar bleiben muss und nicht in der Illusion einer nur täuschend echten Abbildung untergehen darf.

An den Bildern von Ruth Strähhuber ließe sich deshalb wunderbar zeigen, wie sinnlos die Dauerdebatte über die nur vermeintlichen Gegensätze von gegenständlicher und abstrakter Kunst ist. Ihre figurative Malerei ist beides. Und manchmal sehr anstrengend, wenn sich ein Körperteil langsam aus der lasierten Fläche hervorschält. "Da bin ich nach sechs, sieben Stunden an einem einzigen Detail ziemlich kaputt."

Ruth Strähhuber reflektiert in ihrer Kunst die Möglichkeiten der Malerei. Sie lotet sie aus, indem sie zu einem aktiven Sehen herausfordert. Der klassische Spruch, wonach man in einem Bild das sieht, was man bekommt, ist in ihrem Falle falsch. Der Betrachter braucht wie die Malerin die Offenheit zu verstehen, sich zu erinnern und die eigenen Geschichten zu finden. Beide müssen ein Reservoir an Bildern und Erinnerungen, die im Dunklen liegen, herausschälen und an die Oberfläche bringen. Insofern ist das Hamlet-Zitat als Titel der Ausstellung "to be or not to be" nicht als Gegensatz zu verstehen. Sondern in ihm greift die Künstlerin die Frage nach der Präsenz eines Menschen oder auch eines Tieres auf.

Ausstellung to be or not to be

Im Porträt ihrer Tochter thematisiert die Künstlerin das aktive Sehen.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Schließlich verdichtet sich die gesamte Ausstellung zu einem Video. Es beginnt damit, dass Körperteile schimärenhaft sichtbar werden, bis eine sitzende Frau erkennbar wird, die sich wäscht. Sie bürstet sich schwarze Farbe ab. In der verlangsamten Bewegung, die Ruth Strähhuber durch eine extreme Belichtung erreicht, entstehen expressionistisch anmutende Porträts in einer Mehransichtigkeit, wie sie beispielsweise für Francis Bacon typisch sind.

In diesem Sinne und in dieser kunstgeschichtlichen Tradition stellt die Künstlerin auf visuelle Weise die entscheidenden Fragen nach der Grenze zwischen Offenheit, Scham und Verletzlichkeit. Auf der Vernissage sagte Kunsthistorikerin Gudrun Szczepanek von der staatlichen Schlösser- und Seenverwaltung: "Die Bilder und Videos sind geprägt von einer großen Liebe und Achtung zum Menschen, ja zum Lebewesen allgemein." Insofern bilden neuer Pferdehof und die Kunst bei Ruth Strähhuber tatsächlich eine Einheit.

Ruth Strähhuber: "To be or not to be", KVD-Galerie in der Kulturschranne, bis Sonntag, 19. März.

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