Süddeutsche Zeitung

Germering:"Der Einstieg erfolgt über angenehme Gefühle"

Wie sich Drogenpolitik lokal auswirkt, erkunden der Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert und Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge bei einem Besuch in Germering.

Von Konstantin Hadzi-Vukovic, Germering

Ende der Siebzigerjahre hat das biografische Buch "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" die deutsche Öffentlichkeit schockiert. Es etablierte ein Bild des Drogensüchtigen, das wohl bis heute in manchen Köpfen herumschwebt. "Mit zwölf Haschisch, mit dreizehn Heroin, mit vierzehn auf den Strich", hieß es in der Ankündigung. Sind also Haschisch und Cannabis die klassischen Einstiegsdrogen, die ein junges Leben zerstören?

"Nein", sagt Thomas Christiani, "Cannabis ist keine Einstiegsdroge". Er leitet die Suchtberatungsstelle der Caritas in Germering. Das sei ein überkommenes Bild, unter anderem durch das Buch geprägt. Es stimme nicht, dass Cannabis sofort zu Heroin führe. Fast immer hätten die Jugendlichen vor illegalen Drogen Zigaretten und Alkohol konsumiert. Das seien die wahren Einstiegsdrogen.

Zu Besuch in der Suchtberatungsstelle sind Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge und der Drogen- und Suchtbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert. Er befindet sich auf politischer Tour durch das Land. Thema der beiden Sozialdemokraten ist die Legalisierung von Cannabis. In der Germeringer Beratungsstelle wollen sie die lokalen Aspekte der Drogenpolitik kennenlernen.

Betroffene und Angehörige werden beraten

Die Suchtberatungsstelle, eine Außenstelle des Caritas-Fachzentrums Fürstenfeldbruck, gibt es seit etwa zwanzig Jahren. Etwa 700 Menschen kommen pro Jahr dorthin. Beraten werden Betroffene und Angehörige bei Problemen mit Alkohol, Nikotin, Medikamenten, illegalen Drogen und stoffungebundenen Süchten. Probleme mit Alkohol sind der häufigste Grund zur Beratungsstelle zu kommen.

"Alkohol und Tabak sind ein Querschnittsthema unserer Gesellschaft", sagt Christiani. Etwa 70 Prozent der Klienten seien alkoholsüchtig. Danach folgen Cannabiskonsumenten und Menschen mit Medikamentensucht. Die Zahl von Suchterkrankten, bei denen es um illegale Drogen gehe, sei gering.

"Das Hauptthema sind Alkohol und Tabak"

"De facto sind es paar zehntausend Menschen in Deutschland, die problematisch mit harten Drogen umgehen. Das Hauptthema sind Alkohol und Tabak, woran hunderttausende Menschen jährlich sterben."

Wichtig ist es den Mitarbeiter der Suchtstelle zu erklären, dass es nicht den Typ der suchterkrankten Person gebe. "Unsere Klienten sind ein Querschnitt der Gesellschaft. Vom gut situierten Akademiker über die alleinerziehende Mutter und den Familienvater bis zum Semiobdachlosen gibt es alles", sagt Christiani.

"Es kann jeder zu uns kommen", fügt Gabriele Fortner, Suchttherapeutin und Sozialpädagogin, hinzu. Es gebe Menschen, die nur für eine Kurzberatung kommen, ebenso wie Klienten, die über Jahre betreut werden, erklärt der Leiter Christiani. Wobei nicht alle freiwillig kommen, wie Psychologin Raphaela Schütz sagt. "Es gibt auch Jugendliche, die, wenn sie zum ersten Mal auffällig oder erwischt werden, zu ein paar Gesprächen kommen müssen."

Allerdings sei das eine kleine Zahl. "90 Prozent kommen freiwillig", sagt Christiani. Wer komme, müsse auch nicht bereits abstinent sein. "Wir versuchen, mit den Erkrankten eine Motivation zu einer Veränderung zu erarbeiten" sagt Fortner.

Für so eine Veränderung sei die Teilnahme am Leben anderer wichtig. Deswegen ist das betreute Einzelwohnen ein weiteres Angebot der Caritas. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen besuchen die Suchterkrankten ein- bis zweimal die Woche zuhause. Man bleibe auch telefonisch in Kontakt, sagt Schütz. "Wir gehen auch manchmal einen Kaffee zusammen trinken oder unternehmen etwas."

Sucht sei immer ein Thema von Sozialisation und dem Umgangs mit unangenehmen Gefühlen, sagt Christiani. "Es ist aber nicht immer so, dass man nur versucht, etwas Unangenehmes wegzubekommen. Der Einstieg erfolgt nämlich über das Angenehme". So könne es über das Feiern, das Soziale sein, dass man anfange, viel zu trinken.

Der beste Weg zu helfen sei, den Menschen richtige Konsumkompetenz und den Umgang mit unangenehmen Gefühlen beizubringen. Klassische Prävention mit Vorträgen in Schulen habe bisher leider nicht viel bewirkt, erklärt Christiani.

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