Was ist die Erststimme, wen wählt man mit der Zweitstimme, was hat es mit der Briefwahl auf sich? Fragen wie diese zur Bundestagswahl in zwei Wochen werden am Dienstagnachmittag im großen Sitzungssaal des Landratsamtes Fürstenfeldbruck beantwortet, und im Publikum sind etliche, die ganz genau zuhören. Das Wahlrecht gilt für jeden und eben auch für Menschen, die mit einem Handicap leben. Die benötigen vielleicht Erklärungen in einfacher Sprache oder Hilfsmittel, um das Wahlsystem der Bundesrepublik verstehen und ihre Wahl treffen zu können. Und all die Möglichkeiten und Werkzeuge werden dann auch gezeigt und erläutert. Zum Beispiel eine Assistenz.
„Ich habe es schon erlebt, dass der Wähler und seine Assistenzperson in der Wahlkabine angefangen haben zu streiten“, berichtetet Holger Kiesel, der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für Menschen mit Behinderungen, und löst damit Heiterkeit aus. Kiesel ist an diesem Nachmittag nach Fürstenfeldbruck gekommen, um den vom Landratsamt eingeladenen Publikum das Prozedere dieser Wahl zu erläutern. Gemeinsam mit Julia Stecher, Beauftragte für Menschen mit Behinderung im Landkreis Fürstenfeldbruck, führt er durchs Programm, das neben dem Vortrag auch praktische Übungen in einer Wahlkabine beinhaltet. „Das mit den Assistenzpersonen in der Wahlkabine ist gar nicht so bekannt“, sagt Kiesel und verweist darauf, dass auch Wahlhelfer in den Wahllokalen angehalten sind, Behinderten die Abgabe ihrer Stimme zu ermöglichen. Natürlich gebe es Grenzen, um die freie Wahl nicht einzuschränken: „Suchen Sie sich deshalb eine Assistenzperson, die der gleichen Meinung ist wie Sie“, rät er seinen Zuhörerinnen und Zuhörern, die in einer Werkstatt für Behinderte arbeiten.

Es sind die Kleinigkeiten aus der Praxis von Abstimmungen, auf die Kiesel hinweist, wie etwa das eigentlich einfache Ankreuzen. Die Kreuze müssten erkennbar in den Kreisen der Erst- und Zweitstimmen sein, sonst sei die Wahl ungültig. Es dürften eben auch nur zwei Stimmen vergeben werden, „Sie dürfen auch nix draufschreiben auf den Stimmzettel“, warnt er.
Ein immer noch großes Problem sei, überhaupt in den Wahlraum zu kommen. Auf jeder Wahlbenachrichtigung sei der angegeben und in der Regel auch kenntlich gemacht, ob er barrierefrei sei. Gerade aber in älteren Schulen gebe es nur Treppen und keinen Lift zum Wahllokal.„Jedes Wahllokal sollte für alle Bedürfnisse barrierefrei sein“, fordert der Landesbeauftragte, wohl wissend, dass dies ein Wunsch bleibt.
Damit Sehbehinderte abstimmen können, hat der Blindenbund wieder eine Schablone für den Stimmzettel der Bundestagswahl entworfen. Auf einer CD, erläuterte Julia Stecher, würden die Namen der Kandidatinnen und Kandidaten sowie der Parteien in der Reihenfolge wie auf dem Stimmzettel vorgelesen, und auf der mit Blindenschrift versehenen Schablone sei dann das Ankreuzen anonym und selbständig möglich. Die Schablone mit der für den Wahlkreis spezifischen CD kann beim Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund unter Telefon 089/55988 oder per E-Mail an wahlschablone@bbsb.org angefordert werden.

Kiesel, der sich seit 2019 um die Belange von Menschen mit Behinderung in Bayern kümmert und die Staatsregierung berät, hat die Erfahrung gemacht, dass Behinderte sehr an der Politik und an Wahlen interessiert seien. „Sie sollten noch sehr viel sichtbarer in der Politik und in den Verbänden sein.“