Bürgerentscheid I:Warmes Wasser oder heiße Luft

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Am Sonntag sind knapp 16 000 Puchheimer zum ersten Bürgerentscheid in Bayern über den Einsatz der Geothermie aufgerufen. Mehr als 2000 Wähler haben sich bereits per Brief entschieden

Von Peter Bierl, Puchheim

Soll für die Gemeinde Herrsching eine Baumschutzverordnung erlassen werden? Über diese Frage können die Bürgerinnen und Bürger in Herrsching im Dezember abstimmen - falls nicht das Landratsamt einschreitet. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Am Sonntag stimmen die Puchheimer über Geothermie ab. Zur Wahl stehen ein Ratsbegehren für und ein Bürgerbegehren gegen das Projekt, dazu gibt es eine Stichfrage. Es ist das erste lokale Plebiszit in Sachen Geothermie in Bayern überhaupt und könnte insofern eine Signalwirkung haben.

Wahlberechtigte und Quorum

Stimmberechtigt sind rund 15 900 Einwohner. Das Quorum von 20 Prozent, damit ein Votum gültig ist, liegt bei etwa 3180 Bürgern. Von der Briefwahl haben bereits etwa 2200 Wähler Gebrauch gemacht, überdurchschnittlich viele im Stimmbezirk der Schule Süd, wo die meisten leben, die sich direkt betroffen fühlen können. Unterdurchschnittlich ist die Beteiligung in der Planie, wo viele wahlberechtigte EU-Bürger wohnen. Die Wahllokale sind am Sonntag bis 18 Uhr geöffnet, das Ergebnis wird am Abend im Sitzungssaal des Rathauses bekannt gegeben.

Das Projekt

Experten vermuten etwa 80 Grad heißes Wasser in etwa 2400 Meter Tiefe. Damit könnte man Haushalte über das bestehende Fernwärmenetz mit etwa 20 Gigawattstunden im Jahr versorgen. Um die Quelle anzuzapfen sollen zwei Bohrungen auf einem städtischen Grundstück südwestlich des Gewerbegebietes Ikaruspark niedergebracht werden. Die Bohrenden in der Tiefe liegen auf unbebautem Gelände. Die Stadt Puchheim will seit eineinhalb Jahrzehnten eine Anlage einrichten, tat sich aber schwer, einen Partner zu finden. Eine Kooperation mit Germering kam nicht zustande, das Bayernwerk, welches das Puchheimer Fernwärmenetz betreibt, wollte nicht. Partner wäre nun die Bohrfirma Exorka, eine Tochter der Daldrup & Söhne AG mit Sitz in Grünwald, mit der die Kommune eine gemeinsame Gesellschaft gründen will.

Der Protest

Widerstand unter den Einwohnern rührte sich erst nach Erdbeben, die im vergangenen Sommer in Poing möglicherweise durch die dortige Geothermie ausgelöst wurden. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Widerstand unter den Einwohnern rührte sich erst nach Erdbeben, die im vergangenen Sommer in Poing möglicherweise durch die dortige Geothermie ausgelöst wurden. In Puchheim formierte sich eine Bürgerinitiative, die im Frühjahr mehr als 2400 gültige Unterschriften für einen Bürgerentscheid einreichte. Daraufhin formierte sich im Stadtrat ein Bündnis aus CSU, Grünen, SPD und UBP für das Projekt. Lediglich die FW und einige CSU-Räte lehnen Geothermie ab.

Angst vor Erdbeben

Die Gegner des Projekts fürchten, dass durch Erdbeben Häuser beschädigt werden. Selbst bei geringer Stärke könnten Haarrisse in den Kellerwannen entstehen, in die die Häuser gebaut wurden, weil in dem ehemaligen Moorgebiet das Grundwasser sehr hoch steht, argwöhnen sie. Die Befürworter argumentieren, dass bei anderen Geothermie-Anlagen zwar Beben aufgetreten sind, aber nur von geringer Stärke und ohne Schäden anzurichten. Ein gewisses Restrisiko bleibe jedoch, so Wissenschaftler und der Umweltbeirat der Stadt, der das Projekt unterstützt.

Die Haftungsfrage

Im Schadensfall würde eine Haftpflichtversicherung in Höhe von zehn Millionen Euro einspringen. Reicht das Geld nicht, zahlt die Förderfirma oder gesamtschuldnerisch die Gesellschafter, also Exorka und die Stadt. Bürgermeister Norbert Seidl (SPD) betonte, eine Kommune könne nicht pleite gehen. Dagegen fürchten die Gegner, dass im Schadensfall ein langwieriger und teuerer Rechtsstreit auf Hausbesitzer zukommen würde, zumal solche Prozesse nicht durch Rechtsschutzversicherungen gedeckt sind.

Die Beweisführung

Kommune und Bohrfirma verweisen auf Messstellen, die Erschütterungen registrieren, so dass ein Nachweis geführt werden kann. Außerdem soll der bauliche Ist-Zustand einiger aber nicht aller Gebäude im Einwirkungskreis der Anlage dokumentiert werden. Die Bürgerinitiative führt die Auseinandersetzungen in Poing an, wo der Betreiber einen Zusammenhang zwischen Beben und Rissen bestreitet und ein Gutachter ältere Spannungen in Gebäudeteilen als Auslöser bezeichnet hat. Zuletzt haben die Stadt und Exorka einen Ombudsmann für kleinere Schäden sowie einen Fonds für Prozesskostenhilfe in Höhe von 50 000 Euro angekündigt.

Beitrag zum Klimaschutz

Die Befürworter sagen, mit Hilfe der Geothermie könne der Ausstoß von Kohlendioxid in Puchheim um etwa 6400 Tonnen im Jahr reduziert werden. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Die Befürworter sagen, mit Hilfe der Geothermie könne der Ausstoß von Kohlendioxid in Puchheim um etwa 6400 Tonnen im Jahr reduziert werden. Die Gegner halten die Rechnung für unseriös: Denn die Blockheizkraftwerke werden abgeschaltet, die mit hoher Effizienz auch Strom produzieren und zu einem Drittel mit Biogas betreiben werden. Berücksichtige man, dass dieser Strom künftig eingekauft werden muss, dazu Strom für die Förderpumpe der Geothermie, mit dem bundesweit üblichen Anteil an fossilen Quellen, würden sogar mehr Schadstoffe freigesetzt, behauptet die Bürgerinitiative. Die Stadt wirbt damit, dass die Förderpumpe mit 100 Prozent Ökostrom betrieben werden soll.

Stilfragen

Am Anfang ging es einmal unter die Gürtellinie, als suggeriert wurde, der Bürgermeister würde persönlich profitieren. Die Stadt lud zu einer Informationsveranstaltung, auf der Bürger kein Rederecht hatten, sondern nur schriftlich Fragen einreichen konnten. Auf der Zielgerade gab es ein Hickhack über Plakate, die von Unbekannten entfernt worden waren. Davon abgesehen, verlief die Debatte über weite Strecken zwar kontrovers aber sachlich.

© SZ vom 21.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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