Bürger-Workshop:Landkreis der Träume

Bürger-Workshop: Der Bürger-Workshop unter der Leitung von Christian Hörmann (links) und Kerstin Mahrenholz ist ein Ideenaustausch, bei dem der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind. Letztlich entscheiden aber die Kreisgremien.

Der Bürger-Workshop unter der Leitung von Christian Hörmann (links) und Kerstin Mahrenholz ist ein Ideenaustausch, bei dem der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind. Letztlich entscheiden aber die Kreisgremien.

(Foto: Günther Reger)

Bei einem Workshop im Landratsamt diskutieren Bürger Ideen für die zukünftige Entwicklung. Teilweise finden sie radikale Ansätze, andere gehen es pragmatischer an. Klar ist, dass sie mit ihrer Beteiligung etwas bewegen können

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Kommunale Grundstücke sollen generell nicht mehr an gewinnorientierte Investoren veräußert werden, die Ansiedlung von Industrie- und Gewerbegebieten nur noch in Erbpacht und nach einer Gemeinwohlprüfung erfolgen. Geht es nach einem kleinen Kreis engagierter Bürger, könnten sich irgendwann politische Gremien mit solchen radikalen Vorschlägen zur Siedlungs- und Wirtschaftsentwicklung befassen. Oder mit der Frage, keine Kiesgärten mehr zuzulassen. Als Vertreter der Landkreisbevölkerung suchten am vergangenen Samstag im großen Sitzungssaal des Landratsamtes 25 Bürger gemeinsam nach Ideen für Projekte zur Umsetzung der Ziele des Leitbildes für den Landkreis.

Mit Bürgerbeteiligung zur Verbesserung der Lebensqualität hat der Landkreis gute Erfahrungen gemacht. Nach der Verabschiedung des Leitbildes vor acht Jahren wurden unter Einbeziehung von Vorschlägen aus der Bevölkerung 79 daraus abgeleitete Projekte beschlossen, von denen laut dem Regionalmanagement 29 umgesetzt wurden. Weitere 26 befinden sich noch in der Umsetzung.

Verwirklicht wurden Familienpaten, die Ehrenamtsbörse der Bürgerstiftung, das "Wohnen für Hilfe" oder die Räumliche Entwicklungsstrategie für den Landkreis. Letzteres ist ein Orientierungs- und Handlungsleitfaden für die Entwicklung der Landkreiskommunen bis zum Jahr 2040. Entstanden ist damit auch ein großer Wurf wie der Kreisentwicklungsplan.

Da zurzeit das Leitbild aktualisiert wird - Landrat Thomas Karmasin vergleicht den Prozess mit dem Update eines Navigationsgeräts -, sind wieder die Bürger als Ideengeber gefragt. Als häufigste Gründe für die Bewerbung um die Teilnahme am Workshop werden der Klimawandel, überlastete Straßen und die Dominanz des Autos als Verkehrsmittel genannt. Ein Landkreis, in dem es annähernd so viele Autos wie Einwohner gibt und alternative Bau- oder Wohnmodelle kaum gefördert werden, gilt als nicht mehr zeitgemäß.

Ob radikal oder gemäßigt, die auf Wandtafeln festgehaltenen Ideen passen zu Leitbild-Vorgaben die lauten: "Ziel des Landkreises ist eine klimaneutrale und emissionsarme Mobilität"; die Siedlungsentwicklung solle klima- und ressourcenschonend erfolgen und der Landkreis eine gemeinwohlorientierte, kommunale Bodenpolitik unterstützen. Also warum nicht neues Baurecht mit einem größeren Nutzen für die Allgemeinheit verbinden, mehr Freiräume zur Begegnung schaffen und mehr vom Planungsgewinn für die Kommunen abschöpfen?

Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, auch weil die Ideengeber keinen Einfluss darauf haben, was aus ihren Anregungen wird. Niemand weiß, welche Vorschläge von den Kreistagsgremien letztlich beschlossen werden. Aber der Landkreis muss ja nicht alles selbst umsetzen. So zeigt sich ein Teilnehmer fest entschlossen, eine Energiegenossenschaft zu gründen. Einem anderen ist die von einigen Kommunen und dem Landkreis gegründete Wohnungsbaugesellschaft suspekt. Er wittert Machtmissbrauch und plädiert stattdessen für eine Wohnungsbaugenossenschaft.

Wer über Energieversorgung, Bildungspolitik, Kultur, Wirtschaft, Familie oder Soziales mitdiskutiert, weiß, warum er bei hochsommerlichen Temperaturen einen Tag in einem Behörden-Betonkubus auf sich nimmt. Es geht den Teilnehmern darum, den nächsten Generationen einen lebenswerten Landkreis zu bewahren. Dafür müssen alle Opfer bringen.

Daher lautet der allererste Vorschlag in der großen Runde, die jedem zustehenden 50 Euro Aufwandsentschädigung zu spenden. Man sei nicht gekommen, um Geld abzugreifen. Ob und wofür gespendet wird, wird jedem selbst überlassen.

Dass die Gruppe ihre Aufgabe ernsthaft angeht, erfährt Landrat Karmasin, als er die Gäste begrüßt. Bevor er zum nächsten Termin entschwindet, will Detlef Walter von ihm wissen, warum bisher nicht alle Ziele erreicht wurden. Mit Karmasins vager Antwort, dass doch so manches infolge des Leitbildprozesses geschehen sei, ist der Gröbenzeller nicht ganz zufrieden.

Ein Mitglied der Germeringer Bürgerinitiative Kreuzlinger Feld erwartet sich im Landratsamt mehr Verständnis als in seiner Heimatstadt. Dort sei nämlich Bürgerbeteiligung nur ein Feigenblatt, sagt er. Aufgrund schlechter Erfahrungen mit auf den örtlichen Verkehr beschränkten Gutachten regt er an, zu großen Bauvorhaben in Kommunen künftig generell Gesamtverkehrskonzepte zu erstellen, die auch die Folgen auf den überregionalen Verkehr berücksichtigen. Führten doch erst diese Verflechtungen zu den großen Staus.

Die kommunale Ebene könnte ein Spielfeld der großen Veränderungen der nächsten Jahre sein. Das belegt der wegweisende Beschluss des Kreistages aus dem Jahr 2000, den gesamten Landkreis bis zum Jahr 2030 in der Energieversorgung autark zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energiequellen zu versorgen. Zum Erreichen solcher Ziele bedarf es vieler Schritte. Deshalb gleichen viele der Vorschläge dem, was zurzeit in vielen Kommunen diskutiert wird.

Gefordert werden unter anderem ein Netzwerk für klimaneutrale Unternehmen, eine Foodsharing-Börse, eine autarke Nahrungsmittelversorgung, Shopping-Radwege, die Förderung von Selbstvermarktern, eine Internetplattform für Straßenkünstler, eine Kunst, die wandert, also Kulturschaffenden wechselnde Auftritts- und Ausstellungsflächen bietet.

Nicht immer ist jeder Teilnehmer auf dem aktuellen Informationsstand. Was Michaela Bock überrascht. Die Leiterin des Agenda 21-Büros sagt, "erstaunlich viele Projekte, die wir hier machen, sind nicht bekannt". Manchmal genügt es eben, auf Altbewährtes zurückzugreifen, beispielsweise die Schaffung von Anreizen für Eltern, die ihre Kinder nicht mehr mit dem Auto zur Kita oder Schule bringen. So etwas soll es angeblich schon mal gegeben haben und, so der Wunsch, bald wieder eingeführt werden.

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