Bücherflohmarkt in Puchheim:Jagdfieber im Reich des gedruckten Worts

Im Kulturzentrum Puc sind Krimis sowie Kinderliteratur gefragt. Der zehnjährige Ignaz sucht unermüdlich nach Gregs Tagebuch. Da hat es ein anderer Besucher besser: Ihm wird ein historischer Roman sogar an die Haustür geliefert

Von Stefan Salger, Puchheim

Von Lieferservice war eigentlich keine Rede. Aber manchmal gehen die Freunde der Nachbarschaftshilfe eben neue Wege, um Lektüre und Leser zusammenzubringen. Und so macht Sabine Kellerer am Samstag halt auf Postbote und liefert ein Buch persönlich aus. Tags darauf steht sie mitten im Getümmel des Bücherflohmarkts im Kulturzentrum Puc und amüsiert sich über diese Anekdote: Ein Golfer aus Puchheim, den sie gut kennt, hatte sich an sie gewandt. Er suche ein ganz spezielles Werk - "Der Hase mit den Bernsteinaugen - Das verborgene Erbe der Familie Ephrussi". Das ist ein Roman von Edmund de Waal, in dem anhand kleiner japanischer Kunstfiguren, die in einer Bankiersfamilie in Paris, Wien und Tokio von Generation zu Generation weitergegeben werden, das Leben der jüdischen Oberschicht vom späten 19. Jahrhundert bis nach dem Zweiten Weltkrieg rekonstruiert wird. Beim Bücherflohmarkt im Puc, der Jahr für Jahr um die 30 000 Bücher im Angebot hat, stehen die Chancen ja grundsätzlich nicht schlecht, fündig zu werden. Aber da musste Sabine Kellner leider passen.

Und dann das: Ein paar Stunden später stolpert sie förmlich über genau diesen Roman, dessen Einband einen kleinen Porzellanhasen im Scheinwerferspot zeigt. Und so liefert sie eben kurz entschlossen an die Haustür und kassiert von dem gleichermaßen erstaunten wie erfreuten Literaturfreund vier Euro. Wie alle anderen Erträge der Bücher, die in der Regel für Beträge zwischen 50 Cent und drei Euro über den Tisch gehen, kommt das Geld dem Sozialdienst der Nachbarschaftshilfe zu Gute.

Der Samstag sei ein Rekordtag gewesen, sagt Matthias Zierer, Vorstandsmitglied des Vereins Freunde der Nachbarschaftshilfe. Genaue Umsatzzahlen will er nicht nennen, aber es sei wirklich gut gelaufen, erzählt er am Sonntag, an dem sich kurz nach Öffnung um elf Uhr schon wieder viele Besucher in den engen Gängen zwischen den Bücherkisten drängen und schmökern. 60 Fachbereiche gibt es, von Geschichte und Kochen, Weihnachten, Computer, Garten und Sport über Erotik bis hin zum Garten. Und neben den Kisten mit dem Schild "Kirche" stehen die mit dem Schild "Cartoon und Humor". Im Puc geht alles zusammen, das ganze interdisziplinäre Universum. Hier ist das Reich des gedruckten Worts. Für die Helfer bedeutet das viel Arbeit, aber auch viel Erfüllung - leisten sie doch einen Beitrag im Sinne der Nachhaltigkeit und der Bildung. Die Bücher erhalten eine zweite oder dritte Chance, sie werden nicht weggeworfen, stiften Sinn und Lesefreude.

Nun gut, manchmal führt letztlich doch kein Weg vorbei am Altpapiercontainer. Diese mehrbändige Time-Life-Serie aus dem Jahr 1982 mit ihren schwarzen Hardcovern, die sich der Frühzeit der Menschen widmet, ist trotz der vielen Abbildungen ein Ladenhüter. Otto Stecher hat ihn in den letzten Jahren immer wieder in einer Anwandlung unverbesserlicher Hoffnung auf den Tisch gewuchtet hat. Sie bekommt ebenso wie der Bildband "Die Kelten und ihre Geschichte" noch einmal bis zum Abend eine Gnadenfrist. Aber ebenso wie längst überholte Fachliteratur über Computertechnik lässt sich so etwas kaum noch an die Frau oder den Mann bringen. Auch Sven Brach, der seit acht Jahren mithilft bei diesem Flohmarkt und bei Stammgästen beinahe Kultstatus genießt, zuckt mit den Schultern. Ihn erfüllt es durchaus mit Wehmut, dass Klassiker der Literatur von Goethe bis Schiller kaum noch gefragt sind. Nicht einmal Karl Mays Abenteuerromane ziehen noch. Es gibt aber auch Lichtblicke: Krimis und Romane für Erwachsene sind immer noch begehrt. Und so ist es keine Seltenheit, dass Besucher sich für 80 oder 90 Euro in Puchheim mit der Jahreslektüre eindecken - und diese dann bei einem der Sammelterminen im Januar und Februar der Folgejahre als Spende wieder abgeben. Auch am Sonntag hat sich einer der Besucher eine ordentliche Last aufgebürdet. Während er mit der einen Hand den Inhalt einer Kiste inspiziert, hat er sich einen ganzen Stapel Fundstücke unter den anderen Arm geklemmt: Da sind ein Baedeker-Reiseführer Bodensee, ein Italienischkurs mit Buch, Arbeitsheft und CD und alle möglichen weitere Bücher, darunter auffällig viele Backbücher. "Die brauche ich beruflich", sagt der Mann und lacht. Es ist der Puchheimer Bäckermeister Martin Schönleben, einer der Stammgäste.

Unter den Besuchern finden sich auch jüngere Menschen und Familien, bei denen das gedruckte Buch noch ein hohes Ansehen genießt. Im Bereich der Kinderbücher zeigt sich, dass die Suche ein regelrechtes Jagdfieber entfachen kann. Ignaz Kapilowich, 10, sucht zwar bislang vergeblich nach Gregs Tagebuch. Seine Schwester Amina, 8, ist aber bereits fündig geworden. Sie präsentiert ein Buch aus der Sternenschweif-Serie, ein Manga-Taschenbuch und ein Französisch-Sprachbuch für Kinder. Ignaz hat noch nicht aufgegeben. Er knöpft sich den nächsten Karton vor. "Ich lese jeden Tag mindestens vier Seiten", sagt er. Seine Mutter freut sich über diese Begeisterung für Bücher, die man noch in den Händen halten und durchblättern kann. Solche Bücher können manchmal mit Überraschungen aufwarten, die elektronischen Varianten versagt bleiben. Sie können eine Bereicherung im wörtlichen Sinn darstellen: Voriges Jahr habe jemand einen alten Schmöker für drei Euro gekauft, erzählt Zierer. Anschließend habe sich herausgestellt, dass er um die 250 Euro wert war. Manchmal werde das Bekenntnis zum Buch sogar noch schneller honoriert: Sven Brach erinnert sich, dass einmal aus einem Jugendbuch ein Zehn-Mark-Schein herausflatterte.

Die handschriftliche Widmung deutete darauf hin, dass da ein Großvater seinen Neffen zum Lesen anregen wollte und zum Geburtstag gleich noch was fürs Sparschwein beigelegt hatte. Das Kind hätte also doppelt profitiert, wenn es das Buch nicht ungelesen weggelegt hätte.

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