Buch über die Polizeischule:Himmlers Kaderschmiede

Eine Studie des Gröbenzeller Historikers Sven Deppisch belegt, dass Absolventen der Brucker Polizeischule am Holocaust beteiligt waren. Mit einer gezielten paramilitärischen Ausbildung wurden die angehenden Polizeioffiziere darauf vorbereitet

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Die Polizisten zerrten ihre Opfer aus den Häusern, trieben sie auf dem Marktplatz zusammen, wobei sie schon einige erschossen. Etwa 800 Menschen, darunter Frauen und Kinder, pferchten die Ordnungshüter in der Hauptsynagoge zusammen und steckten diese in Brand. Soweit der Bericht über einen Einsatz des Polizeibataillons 309 am 23. Juni 1941 im ostpolnischen Bialystok, kurz nach Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion. Ein Kompanieführer dieser Einheit war Hauptmann Rolf-Joachim Buchs. Seine Ausbildung hatte er in der Polizeischule in Fürstenfeldbruck absolviert.

Polizeischule FFB, Nationalsozialismus, Offiziersausbildung
Buch Sven Deppisch 2017
Marsch einer Hundertschaft der Ordnungspolizei durch FFB
Fotonachweis: Archiv Sven Deppisch

Marsch einer Hundertschaft der Polizeischule durch Fürstenfeldbruck im Jahr 1940.

(Foto: Archiv Sven Deppisch)

Die Untaten von Buchs sind kein Einzelfall. Das zeigt eine Studie, die der Historiker Sven Deppisch am Donnerstag in der Fachhochschule der Polizei vorgestellt hat. Er hat die Geschichte dieser Einrichtung während der NS-Zeit recherchiert. Zu seiner eigenen Überraschung stellte der Historiker aus Gröbenzell dabei fest, dass sie eine zentrale Kaderschmiede Heinrich Himmlers war. Fast 1700 Polizisten absolvierten dort ihre Ausbildung zum Offizier, die meisten wurden später in den besetzten Ländern Europas eingesetzt, wo sie an entsetzlichen Verbrechen beteiligt waren.

Polizeischule FFB, Nationalsozialismus, Offiziersausbildung
Buch Sven Deppisch 2017
Imagepflege: Kinderreiten mit der Polizei auf dem Brucker Viehmarktplatz
Fotonachweis: Stadtarchiv Fürstenfeldbruck

Weitreichend konzipiert war auch das Einsatzgebiet der Brucker Polizeischüler. Sie marschierten in der Stadt auf und sorgten für das Kinderprogramm.

(Foto: Stadtarchiv Fürstenfeldbruck)

Den Polizisten muss von Anfang an klar gewesen sein, worauf sie sich einließen. Auf dem Lehrplan standen Übungen mit Maschinengewehren sowie die Bekämpfung von "Banden". Trainiert wurde, wie man ein Dorf umzingelt, den Kreis immer enger zieht, die Menschen aus ihren Häusern zerrt und abtransportiert, erzählt Deppisch. Später griffen Einheiten Dörfer in Slowenien, Griechenland, Polen und Russland an, plünderten diese, brannten sie nieder und massakrierten oder verschleppten die Bewohner in die Vernichtungslager.

Polizeischule FFB, Nationalsozialismus, Offiziersausbildung
Buch Sven Deppisch 2017
Lehrsaal der Polizei- und Gendarmerieschule FFB
Fotonachweis: Archiv Sven Deppisch

Im Lehrsaal deutete eine Europakarte bereits den Auslandseinsatz an.

(Foto: Archiv Sven Deppisch)

Zuhause an der Heimatfront in Fürstenfeldbruck betrieb die Polizei Imagepflege und präsentierte sich als Freund und Helfer. Beamte sammelten für das Winterhilfswerk oder ließen die Kinder bei Festen auf dem Viehmarktplatz auf ihren Pferden reiten. Bei sämtlichen Aufmärschen der lokalen NSDAP schickte die Polizei eine Abteilung. Die Polizeischule stellte in Bruck einen wichtigen Faktor dar, als Arbeitgeber und aufgrund der Kaufkraft ihrer Schüler und des ständigen Personals, erklärte Deppisch. In der Einrichtung konnten bis zu 600 Mann untergebracht und unterrichtet werden. Viele Lehrer und ihre Familien wohnten im Zentrum des Ortes. Rechnet man etwa 1200 Soldaten vom Fliegerhorst dazu, kann man nachvollziehen, wie stark Fürstenfeldbruck, mit etwa 8000 Einwohnern vor dem Zweiten Weltkrieg, von Uniformierten dominiert war.

Polizeischule

Der Historiker Sven Deppisch hat in Archiven des In- und Auslands über die Polizeioffiziere, ihre Ausbildung und Einsätze recherchiert. Seine hervorragende Arbeit schließt eine Forschungslücke.

(Foto: Günther Reger)

Der Historiker geht davon aus, dass Bruck seine Stadterhebung anno 1935 der Existenz der Polizeischule mit verdankt. Gleichwohl blieb das Verhältnis der Bevölkerung zu dieser Einrichtung ambivalent, weil sich manche Schüler immer wieder mal danebenbenahmen, in Kneipen randalierten und stahlen oder an den Eingang von Kirchen pinkelten. Gravierend war der Fall eines Polizeischülers, der einen älteren Mann so heftig zusammenschlug, dass dieser an den Folgen starb.

Deppisch hat die Teilnehmer von vier Lehrgängen besonders untersucht und festgestellt, dass die meisten der Generation angehörten, die den Ersten Weltkrieg als Kinder oder Jugendliche erlebt hatten. Sie stammten aus der unteren Mittelschicht, erlebten aber aufgrund der ökonomischen Kriegsfolgen einen sozialen Abstieg. Sie dürften gehofft haben, durch eine Karriere als Polizeioffizier wieder aufzusteigen. Über 83 Prozent waren Mitglieder der NSDAP, mehr als 95 Prozent schlossen sich der SS an. Die meisten traten während ihres Lehrgangs bei. "Aber opportunistische und ideologische Gründe schlossen sich nicht aus", stellt Deppisch fest.

Im Regelfall kamen die Täter straflos davon, etliche wurden nach kurzer Schamfrist wieder in den Dienst aufgenommen. "Niemand wurde für seine Verbrechen angemessen bestraft", sagt Deppisch. Einige waren in der Ausbildung junger Polizisten tätig. "Sie vermittelten die Denkweisen und Feindbilder an die nächste Generation von Gesetzeshütern", so der Historiker.

Sechs Jahre hat Deppisch für diese Studie, mit der er promovierte, in Archiven recherchiert. Er bedankte sich am Donnerstag bei dem Leiter der Fachhochschule, Ingbert Hoffmann, sowie dessen Vorgänger Hermann Vogelgsang für ihre Unterstützung. Hoffmann betonte in seiner Ansprache, wie wichtig die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit für die Ausbildung im Haus heute sei. Vogelgsang wiederum lobte die Studie als Beitrag gegen Verdrängung. Er erinnerte an die Schwabinger Krawalle 1962, die zu einem Umdenken bei der Polizei geführt hätten. Damals geriet die Polizei wegen massiven Schlagstockeinsatzes gegen Jugendliche in die Kritik. Als Seiteneinsteiger bei der Bereitschaftspolizei habe er 1980 keine nazistischen Haltungen mehr vorgefunden, aber manchen Betonkopf mit "militärischer Dienstauffassung".

Sven Deppisch, Täter auf der Schulbank. Die Offiziersausbildung der Ordnungspolizei und der Holocaust, Tectum-Verlag 2017, 672 Seiten, 39,95 Euro

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